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Hanni Rützler

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Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin. Als solche setzt sie sich insbesondere mit den aktuellen Food-Trends und dem Wandel der Esskultur in Europa auseinander.
Die Ernährung ist bei uns in Europa längst zum Lifestyle-Thema geworden. Wie kommt das? 

Was früher die Haare, die Mode oder die Musik waren, ist heute eben die eigene Ernährung. Die Gesellschaft strebt nach immer mehr Individualisierung und fragt sich: Was passt zu mir? Was will ich essen? Der heutige Überfluss an Lebensmitteln bietet da sehr viel Spielraum, sich über die Ernährung selbst auszudrücken.

Doch wie passen Essen und Selbstdarstellung zusammen?

Das Schöne am Essen ist: Wir tun es alle - und das mehrmals täglich. Dadurch, was wir zu uns nehmen, können wir ein Statement setzen, das unseren Werten sowie unserem jeweiligen Lebensstil entspricht und damit Veränderungen in unserer Esskultur vorantreiben. Wir können neue Dinge ausprobieren und nebenbei noch etwas Gutes für die Umwelt tun.

Wir können neue Dinge ausprobieren und nebenbei noch etwas Gutes für die Umwelt tun.  

Thema Umwelt: Ist es Zeit für eine Ernährungswende?

Ernährungswende, Food Change oder Zeitenwende - wie auch immer wir es nennen wollen: Wir stecken jetzt schon mittendrin. Die vergangenen Jahre lag der Fokus bei der Lebensmittelversorgung nur auf "schneller, billiger, mehr". Das hat lange so funktioniert, aber auf der anderen Seite auch viele Probleme entstehen lassen, die wir mit dem bloßen Streben nach noch mehr Effizienz nicht lösen können.

Welche Probleme sind das?

An allererster Stelle steht natürlich der Klimawandel. Es geht aber auch um die Qualität unserer Böden und wie wir diese nutzen. Wir verwenden inklusive des Anbaus von Futtermitteln weltweit 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen für die Produktion tierischer Nahrungsmittel und tragen damit wesentlich zu den zu hohen CO2-Emissionen bei. Es wird Zeit, die Nahrungsmittelversorgung nachhaltiger zu gestalten und zugleich die Chancen zu nutzen, die sich damit auch kulinarisch bieten.

Es wird Zeit, die Nahrungsmittelversorgung nachhaltiger zu gestalten.

Als eine Lösung nennen Sie in Ihren Food Reports die Glokalisierung. Was genau bedeutet das?

Beim Thema Glokalisierung geht es um die Frage: Wie sehr sollten wir noch auf die Globalisierung vertrauen? Und an welcher Stelle können wir wieder stärker auf lokale Produkte setzen? Die Corona-Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine haben uns gezeigt, wie fragil die globalen Lieferketten eigentlich sind. Da macht es Sinn, sich wieder mehr auf die eigenen Stärken zu besinnen und zu schauen, was die eigene Region zu bieten hat. Frei nach dem Motto: Die Mischung macht's.

Werden wir künftig überhaupt noch Fleisch essen?

Ich kann mir unseren Kulturkreis zumindest nicht ganz ohne Fleisch vorstellen. Voraussichtlich wird das Fleisch künftig viel teurer sein, während die Alternativen immer günstiger werden. Die größte Herausforderung wird es dann sein, unsere Esskultur so weiterzuentwickeln, dass wir deutlich weniger Fleisch essen, ohne dass es sich wie Verzicht anfühlt. Nur so kann der Wandel funktionieren.

Neben Soja und Erbsen werden auch immer wieder "ausgefallenere" Fleischalternativen gehandelt. Wie steht es beispielsweise um Laborfleisch?

Ich hatte vor ein paar Jahren die Ehre, in das weltweit erste Burger-Patty aus kultiviertem Fleisch zu beißen. Dieser eine Biss hat damals noch um die 250.000 Dollar gekostet. Das geht heute schon deutlich billiger. Aber es ist natürlich das Ziel, dass es so günstig wird wie traditionelles Fleisch, damit es sich auf dem Markt erfolgreich als Alternative durchsetzen kann. 

Und wie verhält es sich mit Insekten?

Insekten bieten als Teil des natürlichen Kreislaufs ein riesiges Potential für die Welternährung. Dennoch sind wir hier in Europa noch sehr zurückhaltend, da Insekten bis auf wenige Ausnahmen nie Teil unserer Esskultur waren. Vielleicht fangen wir erst einmal damit an, sie den Hühnern, den Schweinen oder Fischen zu verfüttern. Doch am Ende handelt es sich hierbei um hochwertige tierische Proteine, die auch für uns Menschen unendliche Potenziale bergen.

Wie gesund sind denn unsere herkömmlichen Fleisch-Ersatzprodukte?

Nur wenige Alternativprodukte haben sich bislang das Ziel gesetzt, Fleisch ernährungsphysiologisch nachzubauen oder die Nährwertqualität gar zu verbessern. Dadurch ist der Verzicht auf Fleisch und Milch auch oft mit einem Mangel an Nährstoffen wie Kalzium, Vitamin D oder Vitamin B12 verbunden, den es irgendwie auszugleichen gilt. Es gibt verschiedene nah- und fernöstliche Esskulturen, die dieses Problem nicht haben. Dort werden Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte so gut kombiniert, dass man auch mit einer Ernährung ohne Fleisch und Milchprodukte ausreichend mit essenziellen Proteinen versorgt wird. Dazu werden zahlreiche fermentierte Produkte kombiniert, die wunderbare Vitaminspender sein können. 

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Was können die Menschen heute schon ganz konkret tun, um sich nachhaltiger zu ernähren?

Das Eindämmen von Verpackungsmüll und Lebensmittelverschwendung sind da zwei zentrale Stellschrauben. Dazu sollte man beim Einkauf auf die Qualität und Regionalität der Lebensmittel achten. Hierfür eignen sich insbesondere Wochenmärkte, die zudem in der Regel auch eher saisonale Produkte anbieten. Das kann zusätzlich eine schöne Inspirationsquelle für eine abwechslungsreichere Ernährung sein. Wichtig ist, dass man den Genuss und die Freude am Essen nicht verliert. Ab dem Zeitpunkt, in dem wir das Essen herunterschlucken, sind es einfach nur noch Kalorien, Eiweiß, Fette und Kohlenhydrate. Aber davor - auf dem Weg dorthin sollten wir genießen, das vergessen wir oft.

Das Eindämmen von Verpackungsmüll und Lebensmittelverschwendung sind zwei zentrale Stellschrauben

Haben die Jahre der Pandemie unsere Esskultur verändert? Und wenn ja, wie?

Die Pandemie hat einiges verändert, so auch die Esskultur vieler Menschen: Wir haben besser und regionaler eingekauft, mehr gekocht, zum Teil das Kochen überhaupt erst für uns entdeckt. Zudem haben wir viel mehr Zeit am Esstisch verbracht als in den Jahren zuvor. Interessant wird nun sein, ob sich dieser Wandel über die Jahre verfestigt oder ob viele wieder in alte Muster verfallen.

Zum Schluss noch eine Prognose: Wie schmeckt denn nun die Zukunft?

Ich bin optimistisch, dass die Zukunft sehr vielfältig und bunt schmecken wird. Denn darin liegt der Schlüssel für die Lösungen vieler Ernährungsprobleme.

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