Lernen im Schlaf - ein Interview mit Schlafforscher Jan Born
Im Schlaf hat unser Gehirn Nachtschicht. Es sortiert und festigt das, was wir tagsüber gelernt haben. Der Tübinger Schlafforscher Professor Dr. Jan Born erklärt im Interview, wie es funktioniert.
TK: Herr Professor Born, warum ist der Schlaf so wichtig für unser Gedächtnis?
Born: Der Schlaf - genauer gesagt, der Tiefschlaf - festigt und konsolidiert das, was wir im Laufe eines Tages gelernt haben. Dazu muss man wissen: All die Erfahrungen des Tages werden erst einmal in einer Art Zwischenspeicher abgelegt. Diese Aufgabe hat der Hippokampus. Das ist eine Hirnregion, die für unser Gedächtnis von sehr großer Bedeutung ist. Abends erinnern wir uns deshalb recht genau und mit vielen Details daran, was wir tagsüber wann und wo gemacht haben. Aber wenn diese Erinnerungen nicht konsolidiert werden, zerfallen sie und werden vergessen. Erst wenn sie im Langzeitgedächtnis abgespeichert sind, vor allem in der Hirnrinde, werden sie zu dauerhaften Erinnerungen. Und dieses Übertragen vom Hippokampus in die Hirnrinde - wir nennen es Konsolidierung - findet hauptsächlich im Tiefschlaf statt.
TK: Wie funktioniert das genau?
Born: Während des Tiefschlafs gibt es besonders viele sehr langsame Deltawellen. Sie werden von der Hirnrinde ausgelöst und bringen weite Teile des Gehirns ins Schwingen. Mit diesen langsamen, großen Wellen signalisiert die Hirnrinde dem Hippokampus: Ich bin aufnahmebereit. Schick mir die Information. Und dann werden im Hippokampus genau die Neuronen erregt, die auch erregt waren, als Sie den Inhalt gelernt hatten. Durch dieses neuronale Reaktivieren werden die Gedächtnisinhalte in die Hirnrinde übertragen, ins Langzeitgedächtnis. Es ist eine Art neuronales Erinnern, was da im Schlaf passiert. Wir nennen das '"Replay'" Der neuronale Replay ist der zentrale Mechanismus beim Konsolidieren. Und er ist immer notwendig, ganz egal, ob Sie Erlebnisse abspeichern, Wissen oder Bewegungsabläufe, die Sie gelernt haben.
TK: Was bewirkt das Konsolidieren?
Born: Es sorgt zum einen dafür, dass das Gelernte dauerhaft gespeichert wird. Aber zugleich verändert sich der Inhalt auch qualitativ. Er geht quasi durch einen Filter. Nur das Wesentliche bleibt hängen. Zum Beispiel emotional Bedeutsames, aber auch Strukturen und Regeln, die ich vorher bewusst gar nicht erkannt habe.
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TK: Wie findet das Gehirn denn die Regeln?
Born: Das wissen wir noch nicht genau. Aber selbst ein Baby kann das. Babys finden zum Beispiel die Strukturen der Grammatik im Tiefschlaf heraus. Sie machen zwar zunächst auch Fehler, aber sie finden eine Struktur, indem sie nach den relativ kurzen Wachphasen immer wieder schlafen.
TK: Kann ich etwas tun, um das Konsolidieren zu fördern? Oder gibt es etwas, was ich vermeiden sollte?
Born: Alles, was den Tiefschlaf stört, stört auch die Konsolidierung. Etwa zu viel Alkohol am Abend. Oder die meisten Schlafmittel.
Der Lernerfolg durch die Konsolidierung ist besonders stark, wenn ich mir das, was ich lernen will, am Abend vor dem Schlafen noch mal bewusst vor Augen führe und mir dabei auch bewusst mache, dass ich das Gelernte später brauche.
Wir können aber auch die langsamen Delta-Schwingungen, auf die es ankommt, verstärken. Wenn wir das tun, erhöht sich die Erinnerungsleistung enorm. In Experimenten setzen wir dafür einen leisen Ton ein. Er erklingt immer dann, wenn eine dieser großen, langsamen Wellen in Gehirn auftritt. Der Ton verstärkt die Schwingung, als würde jemand einem Kind auf einer Schaukel Schwung geben. Mittlerweile gibt es diverse Firmen, die diesen Effekt mit technischen Geräten für den Alltag nutzen wollen. Aber noch ist das Zukunftsmusik.
Man kann jemandem aber auch während des Tiefschlafs einen Duft zu riechen geben, den er schon beim Lernen gerochen hat. Das fördert das Erinnern ebenfalls deutlich.
TK: Herr Professor Born, vielen Dank für das Gespräch!
Zu Professor Dr. Jan Born
Der Psychologe, Gedächtnisforscher und Neurowissenschaftler Professor Dr. Jan Born, leitet das Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen. Seine Forschungen zur Gedächtnisbildung im Schlaf werden international beachtet; er erhielt dafür den renommierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgesellschaft. Jan Born ist Mitglied der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften.