"Wir müssen schauen, woran es liegt, dass junge Ärztinnen und Ärzte sich nicht mehr selbstständig niederlassen wollen."
Interview aus Bremen
Wir haben den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, Ole Humpich, im Interview unter anderem gefragt, wie die sektorenübergreifende Versorgung verbessert werden kann und wie er zur Delegation niedrigschwelliger ärztlicher Leistungen an Pflege- und Assistenzkräfte steht.
TK: Herr Humpich, haben Sie eigentlich Ihre Gesundheitsdaten tagtäglich im Blick? Also zählen Sie Ihre Schritte, messen Ihre Herzfrequenz oder protokollieren Ihren Schlaf mit Hilfe von Wearables?
Ole Humpich: Über meine Smartwatch habe ich einen Überblick darüber, wie viele Schritte oder auch Kilometer ich gegangen bin. Gerade an Tagen mit vielen Terminen innerhalb der Stadt fällt es nicht schwer, die Aktivitätsringe zu schließen. In Plenarwochen wiederum ist dies nicht ganz so einfach.
Die Digitalisierung bietet das Potential, Informationsbarrieren abzubauen und Prozesse in der Gesundheitsversorgung für alle Beteiligten zu verbessern.
TK: Digitale Angebote kommen auch immer stärker in der Versorgung an und werden zunehmend von den Patientinnen und Patienten nachgefragt. Ab 2025 wird die "ePA für alle" verfügbar sein. Welche Vorteile ergeben sich aus Ihrer Sicht hierbei?
Humpich: Die Digitalisierung bietet das Potential, Informationsbarrieren abzubauen und Prozesse in der Gesundheitsversorgung für alle Beteiligten - also sowohl die Beschäftigten als auch die Patientinnen und Patienten - zu verbessern. Eine sichere, stabile und anwenderfreundliche ePA unterstützt nicht nur den Austausch von Gesundheitsinformationen, sondern steigert die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten. Informationen sind schnell verfügbar, was im Notfall entscheidend sein kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens die individuelle Patientenversorgung verbessern kann.
TK: Die ambulante Versorgung steht vor großen Herausforderungen. Viele Ärztinnen und Ärzte gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Junge Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner streben seltener eine Niederlassung an. Welche Versorgungsmodelle können eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Arztpraxis sein?
Humpich: Ich finde, dass Medizinische Versorgungszentren eine gute Ergänzung zu einer klassischen Praxis sein können. Wir müssen aber schauen, woran es liegt, dass junge Ärztinnen und Ärzte sich nicht mehr selbstständig niederlassen wollen. Ob vielleicht eine nicht vorhandene Kinderbetreuung oder auch überbordende Bürokratie ursächlich dafür sind. In einem MVZ können die Medizinerinnen und Mediziner wesentlich mehr Zeit am Patienten verbringen, als sich im Praxisalltag mit Bürokratie herumzuschlagen. Für mich liegen die Vorteile einer Selbstständigkeit aber im Wesentlichen darin, flexibel zu sein und sich seine Arbeitszeit besser einteilen zu können. Allerdings habe ich Verständnis, wenn man sich in der aktuellen Zeit nicht mehr selbstständig machen möchte. Bremen muss Anreize schaffen, dass sich junge Mediziner in Bremen niederlassen, wie z. B. eine Kitaplatz-Garantie.
Unsere Pflegekräfte können mehr als Waschen, Trocknen und Füttern!
TK: Neben neuen digitalen Anwendungen wird zur Entlastung von Medizinerinnen und Medizinern auch die Delegation niedrigschwelliger ärztlicher Leistungen an Pflege- und Assistenzkräfte diskutiert. Wie stehen Sie dazu und wie kann dieses Konzept zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung beitragen?
Humpich: Ich bin ein großer Freund davon, Pflegekräften mehr Kompetenzen anzuvertrauen. Die Praxis zeigt doch, dass es - wie in skandinavischen Ländern - sehr gut funktionieren kann. Für mich persönlich braucht ein Hausarzt nicht rauszufahren, um einer pflegebedürftigen Person ein Pflaster aufzukleben. Das ist natürlich etwas überspitzt, beschreibt die Situation aber ganz gut. Pflegekräfte haben hohe Kompetenzen im medizinischen Bereich, kennen ihre Pflegeperson sehr gut und wissen, was dort benötigt wird. Dadurch könnten Hausärzte wiederum mehr Termine und Zeit in Ihren Praxen haben. Die höhere Kompetenzzuweisung muss unter der Einhaltung aller Versorgungs- und Qualitätsstandards geschehen. Unsere Pflegekräfte können mehr als Waschen, Trocknen und Füttern!
TK: Die Zusammenarbeit zwischen stationärem und ambulantem Sektor wird regelmäßig als ausbaufähig beschrieben. Welche Ideen haben Sie, um die beiden Versorgungspfade besser zu verzahnen - zum Beispiel im Bereich der Notfallversorgung?
Humpich: Das gesamte Gesundheitssystem kann seine Effizienz durch eine stärkere Verzahnung steigern und so auch die Patientenversorgung optimieren. Wichtig ist eine bessere und qualifiziertere Ersteinschätzung noch vor Aufsuchen der Notaufnahme. Wir müssen die Strukturen so gestalten, dass die Patienten niedrigschwelligen Zugang zur richtigen Versorgung erhalten und ihnen angemessen geholfen wird. Hier muss aber auch das Bewusstsein der Bevölkerung gesteigert werden. Wann ist es wirklich nötig, in die Notaufnahme zu fahren, und wann können ein kalter Lappen und Bettruhe schon helfen?
TK: Braucht es neue Formate, um das Handeln der verantwortlichen Bremer Akteurinnen und Akteure im Bereich Versorgung besser abzustimmen? Ist aus Ihrer Sicht das Landesgremium nach § 90a SGB V in seiner bisherigen Form geeignet, Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation anzustoßen?
Humpich: Zunächst müssen sich KV und Gesundheitssenatorin Bernhard an einen Tisch setzten und einen gemeinsamen Weg einschlagen, um die bestmögliche ambulante und stationäre Versorgung sicherzustellen. Sich ständig gegenseitig die Schuld zuzuschieben, hilft niemandem und erst recht nicht der gesundheitlichen Versorgung in Bremen, damit muss Schluss sein. Es ist wichtig, dass es ein gemeinsames Gremium gibt, wo die relevanten Akteure des Bremer Gesundheitswesens zusammenkommen. Wichtig sind bedarfsorientierte Planungen der Versorgungsstrukturen, gepaart mit einem sektorübergreifenden Versorgungsmonitoring. Über solch ein Monitoring könnte das Gremium dann in unterversorgten Bereichen Versorgungsaufträge formulieren.