TK: Wie bewerten Sie den Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen?

Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker: Im internationalen Vergleich ist Deutschland im Bereich der Gesundheitsdigitalisierung noch nicht führend. Das ist nicht unbedingt schlecht, denn Digitalisierung bringt auch Risiken mit sich, wie etwa Datenschutzprobleme. Ein langsamer, aber durchdachter Ansatz kann langfristig nachhaltiger sein. Projekte wie die elektronische Patientenakte (ePA) haben vielversprechende Ansätze, aber auch hier gibt es noch Herausforderungen. Es ist wichtig, die Digitalisierung mit einem gewissen Augenmaß voranzutreiben und sicherzustellen, dass alle Beteiligten - vom Staat bis hin zu privaten Anbietern - angemessen berücksichtigt werden.

TK: Wie kann die Digitalisierung den Zugang zur Gesundheitsversorgung aus Ihrer Sicht verbessern?

Kipker: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen muss nicht nur Effizienz schaffen, sondern auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern, insbesondere für vulnerable Gruppen wie Menschen in ländlichen Gebieten, mit niedrigem Einkommen oder Migrationshintergrund und ältere Menschen. Trotz eines gut ausgebauten Sozialsystems gibt es hier deutliche Ungleichheiten. Digitale Lösungen könnten den Zugang zu Heilbehandlungen, Diagnosen und gesundheitsbezogenen Informationen verbessern. Zudem könnte Telemedizin und Digitalisierung Ärzten helfen, Verwaltungsaufgaben zu reduzieren und den Fachkräftemangel auszugleichen. Personalisierte Medizin und digitale Selbstvermessung bieten neue Möglichkeiten, individuelle Gesundheitsverläufe zu verfolgen und die Prävention zu stärken.

Personalisierte Medizin und digitale Selbstvermessung bieten neue Möglichkeiten, individuelle Gesundheitsverläufe zu verfolgen und die Prävention zu stärken.
Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, Vorsitzender des Digitalbeirates der gematik und Professor für IT-Sicherheitsrecht

Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker

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Vorsitzender des Digitalbeirates der gematik und Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen

TK: Als TK sehen wir, dass das aktuelle Potenzial der Digitalisierung nicht vollständig ausgeschöpft wird. Es bedarf einer Vereinfachung vieler Prozesse, die die Menschen unmittelbar betreffen, um eine höhere Akzeptanz und eine bessere Nutzung digitaler Angebote zu erreichen. Wie fällt Ihre Einordnung dazu aus?

Kipker: Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist, gerade auch für Deutschland, ein zentraler Punkt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ohne Akzeptanz und das Erkennen des Mehrwerts durch die Bürger bleibt jede Digitalisierung ineffektiv und letztlich eine Fehlinvestition.

Der Ausgangspunkt der Digitalisierung des Gesundheitswesens ist für mich die elektronische Gesundheitskarte gewesen, die seit Jahrzehnten gut funktioniert. Durch die Corona-Pandemie stieg die Akzeptanz telemedizinischer Anwendungen, die sowohl den Personalmangel abmildern als auch Menschen ermutigen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ohne Akzeptanz und das Erkennen eines Mehrwerts durch die Bürger bleibt jede Digitalisierung ineffektiv und letztlich eine Fehlinvestition.
Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, Vorsitzender des Digitalbeirates der gematik und Professor für IT-Sicherheitsrecht

Es gibt viele Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, Innovationen voranzutreiben. Der Staat kann Gesetze erlassen und Fördermittel bereitstellen, aber Innovation lässt sich nicht nur durch solche Mittel erreichen. Ein Beispiel ist die wissenschaftliche Forschung: Projekte werden oft abgeschlossen, ohne dass sie wirklich die Praxis erreichen. Dies ist auch im Gesundheitswesen ein Problem, wo die bürokratischen Hürden nicht selten den Fortschritt bremsen.

TK: Seit dem letzten Jahr haben Sie den Vorsitz des Digitalbeirates der gematik inne. Welche Aufgaben erfüllt das Gremium?

Kipker: Unsere Arbeit zielt darauf ab, die technische Grundlage für den Austausch von Gesundheitsdaten zu schaffen. Das umfasst unter anderem die elektronische Patientenakte, die es ermöglichen soll, dass Daten zwischen verschiedenen Leistungserbringern wie Ärzten sicher ausgetauscht werden können. Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und administrative Prozesse zu vereinfachen.

Der Digitalbeirat bewertet und berät die Entwicklungen im Bereich der Gesundheitsdigitalisierung aus einer interdisziplinären Perspektive. Wir kümmern uns um technische Spezifikationen, Datenverknüpfungen und die Implementierung neuer Technologien wie der elektronischen Patientenakte.

TK: Die elektronische Patientenakte ist weiterhin ein vielbesprochenes und wichtiges Thema. Wie kommt die "ePA für alle" 2025 schnell und sicher in ganz Deutschland ins Fliegen?

Digitalisierung muss nachhaltig und gut geplant sein, da viele Akteure beteiligt sind.
Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, Vorsitzender des Digitalbeirates der gematik und Professor für IT-Sicherheitsrecht

Kipker: Die elektronische Patientenakte ist sinnvoll, um Heilbehandlungsunterlagen zu speichern. Das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen setzt ab 2025 eine Widerspruchsregelung (Opt-Out) für die Patientenakte durch, was datenschutzrechtlich umstritten ist. Andererseits will man natürlich vorankommen. Und wenn man auf die freiwillige Mitwirkung baut, passiert am Ende gar nichts. Das heißt, man befindet sich an dieser Stelle in einer Art "Digitalisierungsdilemma". Deswegen kann ich den politischen Willen nachvollziehen, das Ganze gesetzlich zu beschleunigen. Das heißt aber nicht automatisch, dass es dann Erfolg haben wird. Die Umsetzung erfordert Aufklärung, besonders bei älteren Menschen. Digitalisierung muss nachhaltig und gut geplant sein, da viele Akteure beteiligt sind.