"Gesundheitspolitik muss ein zentraler Bestandteil künftiger Regierungsarbeit bleiben"
Interview aus Bremen
Wie kann die stationäre Versorgung in Bremen auf sichere Beine gestellt werden? Wie lösen wir den Pflegenotstand? Und wie steht es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen? Antworten hierzu und auf weitere gesundheitspolitische Fragen liefert Claudia Bernhard, Spitzenkandidatin der Linken in Bremen.
TK: Die Pandemie hat die Gesundheitspolitik ins Zentrum des Interesses schnellen lassen, nun sind im letzten Jahr weitere Krisen in anderen Politikbereichen hinzugekommen, die die Menschen bewegen. Welchen Stellenwert hat die Gesundheitspolitik in Ihrem Wahlprogramm für die nächste Legislaturperiode?
Claudia Bernhard: Ich finde es schade, dass wir im öffentlichen Bewusstsein eine Pandemie gebraucht haben, um den Stellenwert von Gesundheitspolitik zu erkennen. Blickt man auf die Jahre vor der Pandemie zurück, wurde Gesundheitspolitik doch häufig nur mit steigenden Kosten verbunden. Egal, ob für stationäre oder ambulante Behandlungen oder auch für Präventionsarbeit, es sollte gespart werden. Während der Pandemie hat sich der Blick darauf ein wenig geändert. Ich habe aber die große Sorge, dass das nur eine vorübergehende Phase war und Gesundheit insgesamt wieder stiefmütterlich behandelt werden wird. Leider sehen wir ja schon im Wahlkampf, dass andere Themen dominieren. Für mich und meine Partei ist hingegen klar: Gesundheitspolitik muss ein zentraler Bestandteil künftiger Regierungsarbeit bleiben. Es war absolut richtig, dass das Gesundheitsressort endlich ein eigenständiges Ressort geworden ist und nicht mehr nur ein Anhängsel. Diese Stellung muss beibehalten und ausgebaut werden. Wir müssen die Gesundheitsversorgung in den Quartieren weiter ausbauen und unsere Krankenhäuser zukunftsfähig aufstellen. All das sind für mich und meine Partei ganz zentrale Bausteine.
Es war absolut richtig, dass das Gesundheitsressort endlich ein eigenständiges Ressort geworden ist und nicht mehr nur ein Anhängsel. Diese Stellung muss beibehalten und ausgebaut werden.
TK: Das Thema stationäre Versorgung und die damit zusammenhängende Krankenhausreform sind zurzeit ein viel diskutiertes Thema im Land. Wie stellen Sie sicher, dass Bremen und Bremerhaven im stationären Bereich gut und bedarfsgerecht aufgestellt sind?
Bernhard: Aktuell laufen ja verschiedene Prozesse parallel. Es gibt die großen Reformbestrebungen auf Bundesebene, die die Krankenhausfinanzierung und die Aufstellung der Krankenhäuser neu ordnen soll. Gleichzeitig sehen wir bundesweit und auch in Bremen neue Tendenzen, die sich in der Pandemie teilweise verstärkt haben: einen großen medizinischen Fortschritt, eine zunehmende Ambulantisierung und dadurch weniger stationäre Behandlungen und der Personalmangel in der Pflege schlägt inzwischen richtig durch. Wir haben in Bremen glücklicherweise schon 2021 damit begonnen zu untersuchen, wie die Krankenhausversorgung in 2030 aussehen muss. Damit sind wir schon einige Schritte vor anderen Bundesländern. Wir führen im Ressort fortlaufend Gespräche mit allen Krankenhäusern in Bremen und Bremerhaven und haben gemeinsam eine Zielplanung entwickelt. Die Krankenhäuser sind jetzt gefragt diese Zielplanung auch umzusetzen, die Gesundheit Nord geht dabei ja schon vorweg. Ich sehe Bremen und Bremerhaven hier auf einem guten Weg.
TK: Eine kleinräumige Planung allein bringt noch keine Ärztinnen und Ärzte nach Bremen. Was sind Ihre Ansätze für die zukünftige Gestaltung der ambulanten Versorgung? Und wie kann die Versorgung noch besser sektorenübergreifend gedacht werden?
Bernhard: Vorneweg muss ich sagen: Eine kleinräumigere Planung halte ich für richtig, um den Bedarf in den kleineren Planungsbereichen messen und darüber dann auch steuern zu können. Aber richtig ist natürlich auch, dass alleine das nicht mehr Ärztinnen und Ärzte bringt. Die Landes- und Kommunalpolitik haben hier nicht viele Möglichkeiten. Was wir aber tun wollen, ist die Schaffung eines attraktiven Arbeitsumfelds für Ärztinnen und Ärzte. Viele junge Ärztinnen und Ärzte scheuen die individuelle Übernahme einer Praxis, weil sie dieses Modell nicht mehr zeitgemäß finden. Statt 60-Stunden-Wochen stehen hier viel mehr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen an. Das können wir bieten, indem wir in Stadtteilen, in denen die Versorgungslage besonders angespannt ist, kommunale MVZs einrichten. Dort können Ärztinnen und Ärzte angestellt werden, wenn gewünscht auch mit 20 oder 30 Wochenstunden. Dabei entfällt viel Verwaltungs- und Organisationsaufwand für die angestellten Ärztinnen und Ärzte. Durch die enge Verzahnung mit Gesundheits- und Hebammenzentren oder Gesundheitsfachkräften entsteht dabei ein multiprofessionelles Team, das insgesamt ein sehr attraktives Arbeitsumfeld ermöglicht.
TK: Was tun Sie, um zu verhindern, dass Fachkräfte aus Pflegeberufen aussteigen und um zu erreichen, dass sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden - sowohl in der Krankenpflege als auch in der stationären und ambulanten Langzeitpflege?
Bernhard: Die Entwicklung in den Pflegeberufen ist erschreckend und gleichzeitig nachvollziehbar. Wir müssen aufhören uns zu bedanken, das hilft den Pflegekräften nicht. Es müssen endlich ernsthafte Verbesserungen her. Hier ist vor allem die Bundespolitik gefragt. Wir brauchen in Deutschland endlich eine Personalbemessung, die den tatsächlichen Bedarf ermittelt. Die PPR 2.0 ist da ein richtiger Schritt. Es braucht aber auch mehr Engagement der Arbeitgeber. Ein Arbeitsumfeld, in dem Pflegekräfte einen sicheren Dienstplan haben, in dem freie Tage auch tatsächlich freie Tage sind, in dem auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen gearbeitet wird. Das sind Aspekte, die müssen die Arbeitgeber endlich umsetzen. Wir haben gerade ein Modellprojekt auf den Weg gebracht, bei dem wir genau solche Arbeitsbedingungen schaffen wollen. Aber natürlich kann das nur ein Einstieg sein, ein Vorbild für viele weitere.
Die Entwicklung in den Pflegeberufen ist erschreckend und gleichzeitig nachvollziehbar. Wir müssen aufhören uns zu bedanken, das hilft den Pflegekräften nicht. Es müssen endlich ernsthafte Verbesserungen her.
TK: Ein weiteres Thema, das in der Gesundheitspolitik bewegt, ist die Digitalisierung. Digitale Angebote in der Versorgung werden von immer mehr Menschen nachgefragt. Was kann das Land im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens tun und was möchten Sie bewegen?
Bernhard: Ich glaube es ist schwierig Digitalisierung zu greifen, ohne konkrete Beispiele zu nennen. Deswegen vielleicht nur zwei beispielhafte Punkte: Digitalisierung im Gesundheitsamt bedeutet, dass wir Servicedienstleistungen nicht mehr nur vor Ort anbieten, sondern eben auch digital. Das reicht von der reinen Terminvereinbarung für Reiseimpfungen bis hin zur Onlineberatung rund um sexuelle Gesundheit. Ein zweites Beispiel ist die Telemedizin. Wir stehen, wie angesprochen, vor einer großen Krankenhausreform, die auch die Zentralisierung von Angeboten und Leistungen mit sich bringen wird. Dabei müssen unbedingt telemedizinische Verfahren etabliert werden. Dabei reden wir nicht von der Fern-Operation, aber von der Fern-Diagnose. Nicht in jedem Krankenhaus werden Ärztinnen und Ärzte aus allen Fachbereichen vorhanden sein. Für eine Konsultation zu einem bestimmten Fachbereich muss man aber Patientinnen und Patienten nicht zwingend durch die halbe Stadt und wieder zurück fahren. Hier kann die Telemedizin zu schnellen und schlanken Behandlungsabläufen beitragen und eine qualitativ hochwertige Versorgung ermöglichen.
TK: Woran erkennen wir am Ende der neuen Legislatur die erfolgreiche Handschrift der Linken in der Gesundheitspolitik im Land Bremen?
Bernhard: Im Jahr 2027 haben wir Hebammen- und Gesundheitszentren in den benachteiligten Stadtteilen in Bremen und Bremerhaven eingerichtet. Um eine gute ärztliche Versorgung zu ermöglichen, haben wir die ersten kommunalen MVZs eingerichtet und damit dem Ärzt:innenmangel entgegengewirkt. Unsere Bremer Krankenhäuser sind entscheidende Schritte gegangen, um sich zukunftssicher aufzustellen und haben den begonnenen Prozess zur Zentralisierung bestimmter Leistungen fortgesetzt. Und im neuen Hulsberg-Viertel baut die GeNo das Bettenhaus um zu einem neuen Ausbildungszentrum.