Pendeln kostet Zeit - und Nerven
Im Home-Office arbeiten zu können, erspart vor allem weite Arbeitswege. Aber weiterhin müssen sehr viele Menschen täglich zum Arbeitsplatz pendeln, oft mehrere Hundert Kilometer pro Woche. Das kostet nicht nur viel Zeit, sondern geht auch auf die Gesundheit - vor allem aber an die Nerven.
Ab ins Auto - und los zur Arbeit. Am Morgen so in den Tag zu starten, ist in Deutschland für fast jeden zweiten Berufstätigen Normalität. Denn der Weg zum Job wird mit dem Auto "gependelt". Oft sind die Strecken, die zurückgelegt werden, wahnwitzig: 100 Kilometer, die während des Berufsverkehrs absolviert werden müssen, überall Baustellen, Chaos und Fülle an Kreuzungen und auf Zubringerstraßen. Zwei Stunden Fahrzeit (oder auch mehr!) sind keine Seltenheit für passionierte Pendler. Das ist nicht nur stressig, sondern nervt auch gewaltig.
Obwohl das ständige "unter Strom stehen" auf Straßen und Autobahnen die Gesundheit angreift, sind Menschen, die pendeln, nur selten krankgeschrieben. Laut TK-Report "Mobilität in der Arbeitswelt" fallen Berufspendler im Job seltener aus als Beschäftigte mit kurzem Arbeitsweg. Albrecht Wehner, Gesundheitsexperte der TK, vermutet dahinter den sogenannten Healthy-Worker-Effekt: Das bedeutet, dass weitere Arbeitswege eher von Menschen mit guter Gesundheit in Kauf genommen werden.
Pendler sind anfälliger für psychische Leiden
Doch auch an den vermeintlich Gesünderen geht das Pendeln nicht spurlos vorüber: Laut TK-Report geht es vor allem an die Nerven. Zwar sind Pendler insgesamt seltener krankgeschrieben, wenn sie jedoch ausfallen, dann steckt häufiger eine psychische Diagnose dahinter als bei Nicht-Pendlern.
Die Fehltage wegen Depressionen und anderen psychischen Leiden liegen demnach bei Pendlern fast 11 Prozent höher, bei Frauen sind es sogar 15 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass die höheren psychisch bedingten Fehlzeiten durch das Pendeln selbst entstehen", erklärt TK-Experte Wehner. Denn Pendler seien überdurchschnittlich häufig in Berufen tätig, die sonst eher durch geringere psychische Belastungen gekennzeichnet seien. Dem Report nach sind das Berufe, die höhere Qualifikationen und Bildungsabschlüsse abverlangen, so wie bei Jochen H., dem studierten Bauingenieur.
Mehr Schmerzen, mehr funktionelle Beschwerden
Pendeln führt jedoch nicht nur zu psychischem Stress, sondern auch zu einer ganzen Reihe körperlicher Beschwerden. Zahlreiche Untersuchungen belegen inzwischen, dass Pendler häufiger unter Rücken- und Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und anderen funktionellen Beschwerden leiden. Zudem gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Herzinfarkt- und Adipositas-Risiko.
Die Mobilität einer 24-Stunden-Gesellschaft hat ihren Preis.
"Die Mobilität einer 24-Stunden-Gesellschaft hat ihren Preis", sagt Dr. Steffen Häfner, Chefarzt Verhaltensmedizin und Psychosomatik an der Deutschen Klinik für Integrative Medizin und Naturheilverfahren in Bad Elster. Zwar fehlten Langzeituntersuchungen, "aber auf die Dauer ist Pendeln offenkundig gesundheitsschädigend", so der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Die gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Pendelns bestätigt eine aktuelle Metastudie, in der das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) für den TK-Report 79 Studien zur Arbeitsmobilität ausgewertet hat. Danach nehmen die psychischen und physischen Beschwerden proportional mit der Entfernung und Fahrzeit zu. Mit anderen Worten: Je länger der Arbeitsweg, desto häufiger treten gesundheitliche Probleme auf. Nicht nur die Zahl der Fehltage steigt dann an, auch die Unzufriedenheit über die eigenen Work-Life-Balance und Lebensqualität wächst mit jedem zurückgelegten Kilometer.
Ab 45 Minuten Fahrtzeit wird es kritisch
"Kritisch wird es, wenn der einfache Arbeitsweg mehr als 45 Minuten beträgt", sagt Dr. Häfner. Pendeln sei deswegen so anstrengend, weil nicht nur die Fahrten an sich stressig seien, sondern auch, weil die sozialen Folgen stressten. "Besonders betroffen sind familienorientierte Menschen und solche mit sozialen Netzwerken, denen wegen langer Fahrzeiten schlicht die Möglichkeiten fehlen, die ihnen wichtigen Beziehungen zu pflegen."
Kritisch wird es, wenn der einfache Arbeitsweg mehr als 45 Minuten beträgt."
So zeigen einzelne Studien, dass besonders bei weiblichen Pendlern die Beziehungen häufiger kriseln und Partnerschaften öfter zu Bruch gehen als bei Arbeitnehmerinnen mit einem kurzen Arbeitsweg.
Autofahren am schlimmsten
Laut TK-Report sind es lange Autofahrten, die den Berufspendlern am meisten psychisch zusetzen. Das heißt aber nicht, dass der Kampf um den Sitzplatz im Bus oder das Erwischen des Anzugschlusszugs nicht auch an die Nerven geht. Bloß, dass Autofahren eben noch stressiger ist als die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Straßenverkehr ist nach der TK-Stressstudie von 2016 eine der Hauptstressursachen von Erwerbstätigen und ein genauso großer Stressfaktor wie die ständige Erreichbarkeit.
Was rät der Experte? Zunächst einmal betont er, dass Menschen, die der Fahrzeit einen Sinn geben können, generell weniger Beschwerden haben. Das kann Zeitunglesen, Stricken oder die Unterhaltung mit einem Kollegen sein. Für Autofahrer seien Fahrgemeinschaften eine gute Idee. Allerdings sollte beim Fahren abgewechselt werden, denn für den Fahrer einer Fahrgemeinschaft sei der Stress größer als für Alleinfahrer, meint Häfner.
Pendeln gesünder gestalten
Ansonsten sollte jeder regelmäßig überprüfen, ob sich die Situation nicht doch verändern lässt, etwa durch einen Umzug, flexiblere Arbeitszeit, die Fahrten außerhalb der "Rush Hour" erlauben, oder durch einen Tag Home-Office in der Woche.
Vielen Unternehmen ist oft nicht klar, dass sie mit intelligenten Schichtplänen, guter Arbeitsorganisation und Digitalisierung großen Einfluss darauf haben, wie sehr Pendeln belastet.
Sind wenig Ausweich-Varianten möglich, bleibt aber immer noch "besser auf sich selbst acht zu geben": Zum Beispiel mit einer gesunden Ernährung, ausreichend Bewegung in der verbleibenden Freizeit (um das lange Sitzen im Auto auszugleichen) und - ganz wichtig - Stressabbau. Stress führt nämlich oft zu weiterem ungesundem Verhalten. Einige Studien zeigen, dass Pendler mehr Fastfood essen, mehr Fernsehen gucken und am Computer spielen und insbesondere Männer gerne einen über den Durst trinken.
TK-Gesundheitsexperte Wehner: "Die Beschäftigten haben mit ihrem Verhalten durchaus Einfluss darauf, wie belastend das Pendeln für sie wird und wie sie gegensteuern können."
Tipps für Berufspendler
Utz Niklas Walter vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung sagt: "Den Belastungen können Berufspendler am besten durch eine Stärkung ihrer Ressourcen begegnen":
- Ausreichend Bewegung, Entspannung und Schlaf sind hier ganz entscheidend.
- Auch der soziale Aspekt ist wichtig. Wenn schon zusätzlich zur Arbeit einige Stunden auf der Straße oder im Zug verbracht werden, dann ist es umso wichtiger, zuhause möglichst viel Zeit für sich und die Familie zu haben. Eine klare Trennung von Arbeit und Privatleben ist bei Pendlern besonders essenziell.
- Auf der Wegstrecke nach Hause sollte der Schalter umgelegt werden. Hier bieten sich Rituale wie das Hören von Podcasts oder ein Anruf bei Freunden an.
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