Zur Sache: Projekt zur Stress- und Trauma-Prävention am UKE
Interview aus Hamburg
Im Arbeitsalltag in der Akutmedizin kann der Umgang mit Schwerkranken und sterbenden Patientinnen und Patienten die Pflegekräfte stark belasten. Deshalb hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit seiner Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie das Projekt "Stress- und Traumaprävention" ins Leben gerufen, in dem Mitarbeitende zu kollegialen Peer-Beratenden ausgebildet werden.
Die Beratenden stehen ihren Kolleginnen und Kolleginnen zur Verfügung, um auf Augenhöhe Hilfestellung in besonders belastenden Situationen anbieten zu können. Im April 2024 wird bereits die hundertste Person als Peer-Beratende am UKE ausgebildet.
Das Projekt ist eines von vier ausgewählten Entwicklungsprojekten des "UKE Inside HR", die seit 2019 aus dem Gesundheitsmanagement der Techniker Krankenkasse (TK) unterstützt werden. Wie das Projekt UKE-Beschäftigte im klinischen Bereich dabei unterstützt, mit belastenden Arbeitssituationen umzugehen, und welche Erfahrungen bisher gesammelt wurden, erklären Michael van Loo, Leiter des Geschäftsbereichs Personal am UKE, und Dagmar Wendt aus dem Gesundheitsmanagement der TK im Interview.
TK: Frau Wendt, warum ist die Vorbeugung von Stress und psychischer Belastung im Pflegeberuf aus Sicht der TK wichtig?
Dagmar Wendt: Wir beobachten seit Jahren, dass Pflegekräfte in Hamburg - aber auch bundesweit - im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gesundheitlich besonders belastet sind. Eine Sonderauswertung aus dem TK-Gesundheitsreport 2024 zeigt: Hamburger Pflegekräfte, die bei uns versichert sind, waren 2023 im Schnitt rund 29,9 Tage krankgeschrieben. Das waren rund zehn Tage mehr als bei TK-Versicherten, die nicht in einem Pflegeberuf arbeiten (19,4 Tage). Bundesweit zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: 2023 waren die bei uns versicherten Fachkräfte in der Altenpflege durchschnittlich sogar 34,2 Tage krankgeschrieben.
Aus einer Sonderauswertung des TK-Gesundheitsreports von 2019 wissen wir, dass für die überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten in der Pflege nicht nur körperliche, wie zum Beispiel Rückenschmerzen, verantwortlich sind, sondern ebenso psychische Belastungen. Die Arbeit in der Pflege ist und bleibt ein Knochenjob. Wirft man einen Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege, ist diese Entwicklung nicht verwunderlich: Die Anzahl der zu betreuenden Patientinnen und Patienten wächst kontinuierlich, gleichzeitig verschärft sich die Personalsituation in der Pflege. Aber auch der Umgang mit den Fachkräften vor Ort wird vermehrt rauer; es kommt häufiger zu An- und Übergriffen. Betriebliches Gesundheitsmanagement kann hier Entlastung schaffen. Ich freue mich, dass wir als TK bereits seit 2019 gemeinsam mit dem UKE dieses Leuchtturmprojekt haben, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKE dabei unterstützt, mit sehr belastenden Arbeitssituationen umzugehen und ihre psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten.
Im Laufe des Projekts haben sich auch Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Peers weiterbilden lassen - das verändert die Kultur des Miteinanders positiv.
TK: Und wie unterstützt das Projekt Pflegekräfte und Mitarbeitende im klinischen Bereich konkret dabei, mit belastenden Arbeitssituationen besser umzugehen?
Michael van Loo: Das von unseren Expertinnen und Experten aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie geleitete Projekt verfolgt vor allem zwei Ziele: Einerseits führen wir Fortbildungen zu den Folgen psychisch stark belastender Arbeitssituationen durch und lernen, wie damit konstruktiv umgegangen werden kann. Zu wissen, wie chronischer und extremer Stress entsteht, und dafür zu sensibilisieren, kann in der jeweiligen Situation helfen. Dieses Wissen wird auch projektübergreifend vermittelt. Eine in diesem Projekt entwickelte Unterrichtseinheit wurde in Kooperation mit dem AZUBI-Projekt in fünf Kursen mit über 80 Auszubildenden und Studierenden unserer UKE-Akademie durchgeführt. Im AZUBI-Projekt geht es um die Identifikation von Bedürfnissen und Stressfaktoren, speziell zugeschnitten auf die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegekraft, um die Ausbildung attraktiver zu gestalten und bestmöglich auf den Beruf vorzubereiten.
Es ist uns wichtig, unsere Beschäftigten nach besonders belastenden Arbeitssituationen zeitnah, niedrigschwellig und fachgerecht zu unterstützen. Auf Initiative von Beschäftigten in der Zentralen Notaufnahme haben unsere Trauma-Expertinnen und -Experten ein Konzept zur Ausbildung und Begleitung von sogenannten Peer-Beratenden entwickelt und umgesetzt. Das geschah noch bevor die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung ihre Standards für kollegiale Erstbetreuung veröffentlichte, die unser Konzept mehr als erfüllt. Bis Ende April 2024 haben wir damit insgesamt 101 Peer-Beraterinnen und -Berater ausgebildet und weitere Kurse sind schon geplant.
Es ist uns wichtig, unsere Beschäftigten nach besonders belastenden Arbeitssituationen zeitnah, niedrigschwellig und fachgerecht zu unterstützen.
Wendt: Der Prozess, der hier entwickelt wird, ist wegweisend: Im besonders fordernden Bereich der Akutmedizin werden betriebseigene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren qualifiziert und etabliert. Die kollegialen Peer-Beratenden stehen niedrigschwellig und auf Augenhöhe für alle Pflegekräfte und Beschäftigte im klinischen Bereich bereit, wenn diese besonders schwere emotionale Belastungen erleben. Das geschieht auch vorbeugend. Im Laufe des Projekts haben sich auch Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Peers weiterbilden lassen - das verändert die Kultur des Miteinanders positiv. Wir hoffen, gemeinsam mit dem UKE als Vorreiter andere Kliniken zu motivieren, ähnliche Maßnahmen in ihr betriebliches Gesundheitsmanagement aufzunehmen. Nachahmen ist hier also ausdrücklich erwünscht.
TK: Herr van Loo, welche Erfahrungen konnten Sie bisher im Projekt sammeln und wie geht es weiter?
van Loo: Wir haben im Projektverlauf viele sehr positive Rückmeldungen bekommen und auch schon viel erreicht - in den Bereichen Zentrale Notaufnahme, Intensivmedizin und Anästhesie sind zum Beispiel Peer-Teams fest etabliert. Allerdings merken wir auch, dass ein Kulturwandel - welcher dieses Konzept bedeutet, - viel Geduld und Zeit braucht. In einer Befragung unserer Beschäftigten in klinischen Bereichen im Rahmen dieses Projektes gaben über 90 Prozent der Teilnehmenden an, mindestens einmal pro Jahr eine psychisch besonders belastende Arbeitssituation zu erleben. Beschäftigte aus medizinischen Akutbereichen aber auch aus der Onkologie sowie der Geburtshilfe und Kinder- und Jugendmedizin gaben noch deutlich höhere Häufigkeiten an - über ein Drittel nannte mindestens elf Mal pro Jahr. Die Peer-Beratung sehen wir als sehr wichtiges Präventionselement in diesem Kontext und in der genannten Befragung schätzen auch über 20 Prozent der Teilnehmenden betriebliche Unterstützungsangebote als ziemlich wichtig und über 60 Prozente diese als sehr wichtig ein.
Inzwischen ergänzen wir diese Angebote noch weiter - etwa durch ein Projekt zur Unterstützung der Beschäftigten und Teams der Klinik für Intensivmedizin vor Ort durch eine psychosoziale Fachkraft. Damit verstetigen wir zum einen Maßnahmen aus der Corona-Pandemie und setzen zum anderen wieder proaktiv fachliche Standards um, zum Beispiel von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI).
Deshalb freuen wir uns, dass wir das Projekt zur Stress- und Traumaprävention mit Unterstützung der TK bis Ende Juli 2025 fortführen und weitere Bausteine - wie Schulungen von Azubis in Psychischer Erster Hilfe oder den Einsatz psychosozialer Fachkräfte für Beschäftigte akutmedizinischer Bereiche vor Ort - erproben können.
Hintergrund
Ein weiteres Entwicklungsprojekt des UKE im Rahmen von "UKE INside HR", " Arbeiten 5.0 ", sorgt mit flexiblen Arbeitszeitmodellen für eine bessere Work-Life-Balance von Pflegekräften am UKE. Die TK unterstützt seit 2019 über die Förderung "Starke Pflege" ausgewählte Teilprojekte des "UKE Inside HR".
Einen Überblick über aktuelle Hamburger Projekte und Angebote der TK im Bereich Pflege werden auf der Themenseite " Gut gepflegt in Hamburg " zusammengefasst.