Zur Sache: Neues Geburtshilfekonzept in Hamburger Asklepios Kliniken
Interview aus Hamburg
Weniger Kaiserschnitte, weniger Interventionen während der Geburt, ein optimales Geburtserleben und höhere Stillraten - das sind die Ziele, die ein neues Geburtshilfekonzept in den Hamburger Asklepios Kliniken Altona, Nord-Heidberg, Wandsbek und Barmbek verfolgt. Die Grundlage ist ein neuer bundesweiter Qualitätsvertrag, den die Techniker Krankenkasse (TK) und die BARMER mit den Asklepios- und RHÖN Kliniken abgeschlossen haben. An der Entwicklung waren Ärztinnen, Ärzte und Hebammen beteiligt. Zum Einsatz kommt auch eine App.
Hon.-Prof. Dr. Holger Maul, Chefarzt der Geburtshilfe der Asklepios Kliniken Barmbek und Wandsbek, erklärt, wie der Qualitätsvertrag Schwangere unterstützt, warum die Hebammen profitieren und welche Vorteile es bringt, sich mit einer App auf die Geburt vorzubereiten.
TK: Herr Prof. Maul, wie unterstützt das neue Konzept werdende Mütter?
Hon.-Prof. Dr. Holger Maul: Die Qualität der Geburtshilfe in Deutschland ist sehr hoch. Die objektiven Qualitätsparameter, die in der Qualitätssicherung erfasst werden, zeigen das. Trotzdem heißt das nicht, dass alle Frauen subjektiv mit der Geburt zufrieden sind. Der Qualitätsvertrag verfolgt erstmalig das Ziel, die subjektive erlebte Qualität strukturiert zu erfassen: Wie geht es Frauen tatsächlich nach der Geburt? Und zwar nicht nur unmittelbar nach der Geburt noch vor Entlassung aus der Geburtsklinik, sondern nach sechs Wochen und nach sechs Monaten. Zur Erfassung dienen strukturierte Fragebögen zu unterschiedlichen Themen, die die Frauen über unsere App MindDistrict erhalten. Hier erfassen wir sogenannte PROMs (Patient Reported Outcome Measures) und PREMs (Patient Reported Experience Measures).
Um die geburtshilfliche Versorgung in Deutschland weiter zu verbessern, müssen wir wissen, wie viele Frauen noch Monate nach der Geburt möglicherweise unter Inkontinenzbeschwerden leiden, Stillprobleme haben oder an Wochenbettdepression erkrankt sind.
Der Qualitätsvertrag verfolgt erstmalig das Ziel, die subjektive erlebte Qualität strukturiert zu erfassen: Wie geht es Frauen tatsächlich nach der Geburt? Und zwar nicht nur unmittelbar nach der Geburt noch vor Entlassung aus der Geburtsklinik, sondern nach sechs Wochen und nach sechs Monaten.
TK: Wie stärkt der Vertrag die Rolle der Hebammen?
Hon.-Prof. Dr. Maul: Der Qualitätsvertrag greift nicht in die bestehenden Versorgungskonzepte im ambulanten Bereich durch Frauenärztinnen und -ärzte oder Hebammen ein. Wir wissen aber, dass ca. 30 Prozent der Frauen keine Hebamme für die vor- und vor allem nachgeburtliche Betreuung finden. Hier hilft der Qualitätsvertrag, Lücken zwar nicht vollständig, aber teilweise über spezielle Schulungsprogramme zu unterschiedlichen Themen (zum Beispiel Stillen, Neugeborenenvorsorgung etc.) zu schließen. Stellt die teilnehmende Schwangere mit dem durch den Qualitätsvertrag zur Verfügung gestellten Blutdruckmessgerät wiederholt hohe Blutdruckwerte fest, weiß sie, dass sie sich zeitnah bei ihrer Frauenärztin oder ihrem Frauenarzt melden soll.
In der Klinik selbst können über den Vertrag jetzt erstmalig ausführlichere Hebammengespräche stattfinden, die über das bisherige Angebot deutlich hinausgehen.
TK: Welche Rolle spielt die App im neuen Konzept? Wie profitieren die Frauen vor und nach der Geburt von deren Nutzung?
Hon.-Prof. Maul: Die App ist sozusagen das "Rückgrat" des Qualitätsvertrags. Sie enthält nicht nur einfach zu findende Informationen für die Schwangere, sondern erfasst auch die PROMs und PREMs. Bei auffälligen Befunden gibt die App Hinweise, dass sich die Schwangere an ihren Frauenarzt, ihre Frauenärztin oder ihre Hebamme wenden soll.
Hintergrund
Kliniken und Krankenkassen können miteinander zeitlich befristete Qualitätsverträge schließen. Ziel ist zu erproben, ob sich die Qualität stationärer Behandlungsleistungen über Anreizsysteme zur Einhaltung besonderer Qualitätsanforderungen weiter verbessern lässt. Einer der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das oberste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, festgelegten Leistungsbereiche für Qualitätsverträge ist der Bereich Geburten/ Entbindung.
Der Qualitätsvertrag Geburtshilfe wird bundesweit in 15 teilnehmenden Asklepios-Kliniken eingeführt. Inzwischen sind mehr als 40 weitere Krankenkassen dem Qualitätsvertrag beigetreten, sodass in Hamburg bis zu 80 Prozent der in den Kliniken entbindenden Frauen an dem Programm teilnehmen können.
Die Qualitätsverträge lassen die Schwangerenvorsorge durch niedergelassene Frauenärztinnen und -ärzte unberührt. Das heißt: Schwangere, die am Qualitätsvertrag teilnehmen, werden nicht vorzeitig in die klinische Versorgung überwiesen, sondern bleiben wie gewohnt in der Betreuung ihrer niedergelassenen Frauenärzte. Die Qualitätsverträge sind ein Zusatzangebot zur bestehenden Vorsorge mit dem Ziel, die sektorenübergreifende, hervorragende Versorgung in Deutschland weiter zu verbessern.