Notfallversorgung vom Patienten aus gedacht!
Artikel aus Bremen
Ein Kommentar von Dr. Susanne Klein, Leiterin der TK-Landesvertretung Bremen.
Wer kennt das nicht: Es geht einem nicht gut. Aber muss man zum Arzt? Reicht abwarten? Wie ist das erst in einer Notsituation, wo es nicht mehr um die Frage geht "Arzt ja/nein", sondern rufe ich den Rettungswagen oder fahre ich in die Notfallambulanz oder besser gleich in die Notaufnahme des Krankenhauses.
Wie wäre es, wenn mich jemand durch den Dschungel der (Notfall-)Versorgung lotst, egal ob ich die 112 oder die 116 117 wähle? Oder wenn es eine zentrale Anlaufstelle gäbe, zu der ich - sofern noch möglich - fahren kann. Und wenn dann - losgelöst von dem Zugangsweg, den ich gewählt habe - mir umfassend, kompetent, bedarfsorientiert und strukturiert geholfen wird? D.h. je nach Bedarf wird der Rettungswagen gerufen, erfolgt eine Notfallversorgung vor Ort, eine telemedizinische Behandlung oder eine haus- bzw. fachärztliche Versorgung. Ich muss mich um nichts kümmern, Termine werden für mich gemacht.
Wunschdenken Rundumversorgung?
Handelt es sich hier um einen Traum nach Rundumversorgung, der ein Traum bleibt? Wenn man dem Referentenentwurf des BMG für eine Reform der Notfallversorgung liest, dann soll genau dies Realität werden: Die Lotsenfunktion übernimmt das über die 112 oder 116 117 erreichbare gemeinsame Notfallleitsystem (GNL) und integrierte Notfallzentren (INZ), zentral ausgerichtet und rund um die Uhr an 7 Tagen die Woche verfügbar, sie stellen die zentrale Anlaufstelle für die Patienten dar. Die Vergütung erfolgt über die gesetzliche Krankenversicherung und ist im Detail zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu vereinbaren.
Egal, ob der Patient sich telefonisch bei der 112 (Rettungsleitstelle) oder 116 117 (Kassenärztliche Vereinigung) meldet oder direkt in ein integriertes Notfallzentrum fährt, wird immer die gleiche strukturierte Ersteinschätzung durchgeführt. Die Steuerung in die Versorgung erfolgt softwaregestützt durch eine qualitätsgesicherte Triage. Je nach Ergebnis der Ersteinschätzung erfolgt
- ein Einsatz des Rettungsdienstes
- eine Notfallversorgung vor Ort
- eine telemedizinische Behandlung
- eine haus- bzw. fachärztliche Versorgung.
Die INZ sollen laut Referentenentwurf an "… dafür geeignete Krankenhausstandorte …" eingerichtet werden und können - je nach Bedarf - eine notdienstliche Versorgung erbringen oder eine stationäre Versorgung veranlassen. Weiter heißt es: "INZ werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern gemeinsam unter fachlicher Leitung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung betrieben." Diese im Referentenentwurf angelegte enge Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und stationären Sektor stellt hohe Anforderungen an die Kooperations- und Integrationsfähigkeit der Akteure. Über viele Jahre wird nun schon die sektorübergreifende Versorgung gefordert. Hier könnte sie nun im Sinne des Patienten und einer effektiven und effizienten Versorgung praktiziert werden, wenn das Gedankengut des Referentenentwurfs sich in einem Gesetz wiederfindet. Die fachliche Leitung der INZ soll den KVen obliegen, schließlich haben diese auch den Sicherstellungsauftrag. Das dies dem stationären Sektor nicht schmeckt, ist gut nachzuvollziehen, d.h. es ist zu vermuten, dass hier noch viel Integrationsarbeit geleistet werden muss.
Corona als Lehrbeispiel
Grundsätzlich gehen die Inhalte des Referentenentwurfs in die richtige Richtung. Wir müssen im Gesundheitssystem lernen, vom Patienten aus zu denken und nicht ausgerichtet an den eigenen Interessen zu agieren. Digitalisierung und Integration sind die Stichworte, die hier Vorschub leisten. Corona hat uns gezeigt, wie schnell wir unser Gesundheitssystem in Richtung Digitalisierung voranbringen können. Das gilt es jetzt zu bewahren und gerade in der Notfallversorgung umzusetzen.
Der Anspruch der Patienten auf eine schnelle, angemessene und qualitativ hochwertige Akut- und Notfallversorgung steht außer Frage und berührt ein existentielles Interesse jedes Menschen. Aber auch die Ärzte und das Pflegepersonal in der Notfallversorgung haben einen legitimen Anspruch auf eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation. Deshalb muss die permanente strukturelle Überforderung der Notfalleinrichtungen, die sich bekanntermaßen dadurch ergibt, dass nicht nur Notfälle in den Notfalleinrichtungen landen, durch eine sinnvolle Steuerung abgewendet werden.
Aus Sicht der TK ist es jetzt wichtig, dass sich alle Beteiligten auf das Ziel verständigen und konstruktive Vorschläge beisteuern, wie eine effiziente und transparente Struktur für die Notfallversorgung aussehen kann. Kritik am Verhalten der Patienten sowie Verteilungs- und Sektorendiskussionen helfen nicht weiter. Der vorgelegte Referentenentwurf würde erstmals eine bundesweit einheitliche und für alle Beteiligten - insbesondere den Patientinnen und Patienten - transparente Notfallversorgung ermöglichen, die gleichzeitig die bisherige Fehlinanspruchnahme deutlich reduziert und den medizinisch gebotenen Versorgungsstufen zuführt.
Bremen als Vorreiter
Das Bundesland Bremen ist dem Referentenentwurf bereits zuvor gekommen und zeigt, dass Digitalisierung und Integration in der Notfallversorgung funktionieren kann. Das St. Joseph-Stift und die KV Bremen kooperieren am Standort des St. Joseph-Stifts miteinander und haben dort einen gemeinsamen Tresen für Notfallpatienten eingerichtet. Die Steuerung erfolgt über ein strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungsverfahren (SmED). Dies entspricht schon heute im Wesentlichen den Anforderungen der INZ. Bleibt nun also abzuwarten, wann der Referentenentwurf zur Notfallversorgung vom Gesetzgeber wieder aufgegriffen und in eine konkrete Umsetzung überführt wird. Im Übrigen können die Grundideen bereits im Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2018) nachgelesen werden. Hoffen wir also, dass der Traum nach Rundumversorgung nicht nur ein Traum bleibt, sondern seinen Weg in die Umsetzung findet.