"Es gibt eine enorme Menge an Forschung zu Parkinson."
Interview aus Bremen
Prof. Dr. Per Odin, Oberarzt am Klinikum Bremen-Nord und Leiter der dortigen Parkinson-Ambulanz, forscht seit Jahrzehnten über Parkinson. Unter anderem auch an der Universität im schwedischen Lund. Im TK-Interview gibt Odin Tipps zum Umgang mit der Krankheit und beschreibt innovative Behandlungsansätze, die aufhorchen lassen.
TK: Rund ein Prozent der Menschen über 60 sind von Parkinson betroffen. Welche Ursachen führen zu der Krankheit und wie kann sie frühzeitig erkannt werden?
Prof. Dr. Per Odin: Die Ursachen der Parkinson-Krankheit sind noch nicht vollständig geklärt. Was wir wissen ist, dass es verschiedene Risikofaktoren gibt, die das Risiko, an Parkinson zu erkranken, erhöhen. Da möglicherweise genetische Risikofaktoren vorliegen, ist ein kleinerer Teil aller Parkinson-Fälle rein genetisch erklärbar. Aber auch in der Umwelt gibt es Risikofaktoren, etwa bestimmte Pestizide in der Landwirtschaft und einige Lösungsmittel. Wir haben Hinweise darauf, dass die Krankheit an einer oder mehreren Stellen im Nervensystem erst auftreten kann und sich danach von Zelle zu Zelle auf große Teile oder das gesamte Nervensystem ausbreitet - sowohl auf das periphere als auch auf das zentrale (Gehirn und Rückenmark). Es gibt Hinweise darauf, dass das Nervensystem des Magen-Darm-Trakts und die Nasenschleimhaut Ausgangspunkte sein könnten. Dann entsteht natürlich der Verdacht, dass etwas von außen kommt und den Prozess dort auslöst, zum Beispiel Bakterien oder Viren. Dies ist jedoch nicht bewiesen und schwer zu untersuchen, da davon ausgegangen wird, dass die Krankheit zehn bis 20 Jahre vor den ersten motorischen (Bewegungs-) Symptomen beginnt.
TK: Welche Arten der Parkinson-Erkrankung gibt es und wie unterscheiden sie sich voneinander?
Die häufigste Form der Parkinson-Krankheit [...] macht etwa 90 Prozent aller Fälle aus. Hier zeigen Medikamente oft eine sehr gute Wirkung.
Odin: Die häufigste Form der Parkinson-Krankheit bezeichnen wir als idiopathische Parkinson-Krankheit, und sie macht etwa 90 Prozent aller Fälle aus. Hier zeigt das Medikament oft eine sehr gute Wirkung. Der Verlauf ist relativ langsam und die Patienten erreichen eine weitgehend normale Lebenserwartung. Sie leben viele Jahre mit einer guten Lebensqualität. Darüber hinaus gibt es sogenannte atypische Parkinson-Erkrankungen; Multiple Systematrophie (MSA), progressive supranukleäre Parese (PSP) und kortikobasale Degeneration (CBD). Zusammen machen diese etwa zehn Prozent aller Parkinson-Patienten aus. Bei der atypischen Parkinson-Krankheit sind die Medikamente weniger wirksam und die Krankheit schreitet schneller voran. Die durchschnittliche Überlebenszeit beträgt nur sechs bis acht Jahre. Darüber hinaus gibt es eine Reihe anderer Erkrankungen und Behandlungen, die Parkinson-ähnliche Symptome hervorrufen können - dies tritt beispielsweise bei Menschen mit vielen Mikroinfarkten im Gehirn auf, bei Patienten, die mit bestimmten Medikamenten (vor allem Psychopharmaka) behandelt werden, manchmal auch bei Hirntumoren und bei Patienten, die viele Schläge auf den Kopf erlitten haben.
TK: Welche Ratschläge geben Sie Patientinnen und Patienten, um mit der Krankheit trotzdem ein erfülltes Leben führen zu können?
Odin: Wir raten den Patienten in der Regel, weiterhin ein möglichst normales Leben zu führen. Aktivität ist gut, und das gilt sowohl für körperliche, geistige als auch soziale Aktivität. Die große Veränderung besteht darin, dass man Medikamente gegen die Krankheit einnehmen muss - diese Medikamente werden lebenslang genommen und müssen dem Fortschreiten der Krankheit angepasst werden - in Zusammenarbeit mit einem Neurologen. Wir empfehlen zwei bis vier Besuche bei einem auf Parkinson spezialisierten Neurologen pro Jahr und vorzugsweise auch den Kontakt zu einer Parkinson-Nurse und einem Physiotherapeuten, in einigen Phasen auch zu einem Ergotherapeuten und Logopäden. Die meisten Menschen finden es positiv, sich in Patientenverbänden, wie der Deutschen Parkinsonvereinigung (DPV) zu engagieren.
Wir raten den Patienten in der Regel, weiterhin ein möglichst normales Leben zu führen. Aktivität ist gut, und das gilt sowohl für körperliche, geistige als auch soziale Aktivität.
TK: Wie läuft die Therapie üblicherweise ab und gibt es innovative Behandlungsmethoden?
Odin: Sobald die Diagnose gestellt ist, wird mit der Behandlung mit Medikamenten begonnen - meist Tabletten oder Pflaster. Das Medikament mit der größten Wirkung gegen Parkinson heißt L-Dopa und ersetzt den im Gehirn fehlenden Neurotransmitter Dopamin. Oftmals wird die Zugabe weiterer Medikamente, wie Dopaminagonisten, COMT-Hemmer und MAO-B-Hemmer, gewählt, um eine gleichmäßigere und bessere Wirkung der Medikamente zu erzielen. Die Behandlung wirkt in den ersten Jahren oft sehr gut, danach lässt die Wirkung oft nach. Es gibt Schwankungen in der Wirkung mit wiederkehrenden Perioden, in denen die Behandlung weniger gut anschlägt (sogenannte "Off"), und auch Perioden übermäßiger Wirkung, die sich als Hypermobilität äußern (sogenannte "Dyskinesien"). Dann muss der Neurologe die Medikamente anpassen.
Reicht eine Anpassung der Tabletten nicht aus, kann eine Behandlung mit einer der sogenannten avanzierten Therapien relevant werden. Dabei handelt es sich um die Abgabe von L-Dopa mit tragbaren Pumpen (Duodopa, Lecigon, das in den Darm eingepumpt wird, oder Produodopa, wo L-Dopa in die Haut eingepumpt wird) oder des Dopaminagonisten Apomorphin, der mit tragbaren Pumpen in die Haut gepumpt wird. Eine weitere Möglichkeit ist die Behandlung mit Tiefenhirnstimulation, bei der dünne Elektroden in spezielle Regionen tief im Gehirn eingeführt werden, wo ein hochfrequenter schwacher Strom die Parkinson-Symptome lindern kann. Eine weitere Möglichkeit ist die Behandlung mit fokussiertem Ultraschall, bei der durch das Brennen eines kleinen Lochs in spezielle Hirnregionen die Symptome gebessert werden können - ohne dass eine Operation erforderlich ist. Mit all diesen Methoden haben Sie auch in etwas späteren Krankheitsstadien gute Chancen, die Symptome und die Lebensqualität zu verbessern. Neben der Behandlung der motorischen Symptome ist es auch wichtig, die nichtmotorischen Symptome zu erkennen und zu behandeln - das können unter anderem Magen-Darm-Probleme, urologische Probleme, Depressionen, Halluzinationen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen und Schmerzen sein - diese Symptome erfordern möglicherweise besondere Aufmerksamkeit und spezifische Therapie.
TK: Welche Forschungsansätze werden im Moment verstärkt verfolgt, und gibt es Therapieformen, die in der Zukunft Hoffnung auf Heilung oder Genesung geben können?
Das ultimative Ziel ist natürlich, den Krankheitsprozess zu verlangsamen oder zu stoppen.
Odin: Es gibt eine enorme Menge an Forschung zu Parkinson. In vielen Projekten geht es darum, zu verstehen, wie die Krankheit im Nervensystem entsteht und sich ausbreitet. Andere Projekte zielen auf eine frühere und genauere Diagnostik ab - sie suchen nach sogenannten Biomarkern - in Blut, Rückenmarksflüssigkeit, aber auch anderen Gewebeproben. Darüber hinaus kommen verschiedene nuklearmedizinische Untersuchungsmethoden zum Einsatz. Darüber hinaus wird viel geforscht, um die Parkinson-Symptome noch wirksamer behandeln zu können. Man befasst sich auch mit Methoden wie zum Beispiel Gentherapie und stammzellbasierter Zelltransplantation. Das ultimative Ziel ist natürlich, den Krankheitsprozess zu verlangsamen oder zu stoppen. Und da wir jetzt viel besser verstehen, wie die Krankheit auftritt und sich entwickelt, halten wir es für wahrscheinlich, dass in nicht allzu vielen Jahren Methoden zur Krankheitsbremsung/stoppung entwickelt werden.