Patient Notfallversorgung - Chance für Schleswig-Holstein?!
Position aus Schleswig-Holstein
Volle Notaufnahmen, lange Wartezeiten, überlastetes Rettungspersonal: Die Notfallversorgung in Schleswig-Holstein muss neu gedacht werden. Wie das aussehen kann, erläutert Hermann Bärenfänger, Leiter regionales Vertragswesen der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein, in seinem Kommentar.
"Was stimmt hier nicht?" Das fragt die Björn Steiger Stiftung in ihrer jetzt anlaufenden Kampagne unter dem Motto: "Wer rettet die Retter?" Sie moniert, dass Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter nicht zielgerichtet eingesetzt werden, trotz ihrer hohen Qualifikation oft nicht einmal Schmerzmittel verabreichen dürfen und zu viele Patientinnen und Patienten notversorgt werden wollen, die gar kein Notfall sind.
Und auch bei uns im "echten Norden" werden die Stimmen lauter: In Kiel beklagen sich speziell ausgebildete Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter, dass reine Krankentransporte zu ihrem täglichen Alltag gehören. Allein mehrere 1.000 Mal pro Jahr bringt der Rettungsdienst der Stadt Patientinnen und Patienten nicht ins Krankenhaus, sondern aus dem Krankenhaus nach Hause. Sitzend! Das Städtische Krankenhaus berichtete - beispielhaft für viele andere - in den Medien von der überquellenden Notaufnahme. Zu viele Patientinnen und Patienten kommen ungesteuert herein - zu wenige schnell genug wieder heraus.
Und die Lösung? Immer mehr Personal, immer mehr Einsatzfahrzeuge? Sicher nicht, denn die Ressourcen sind endlich - das spüren alle schon jetzt. "Rettungsdienst verweigert einer Herzinfarkt-Patientin einen Rettungswagen" - titelten im vergangenen Jahr gleich mehrere Medien und tabuisierten damit anhand eines schicksalhaften Einzelfalles das, was bei den so genannten Bagatellfällen eigentlich die Regel sein sollte. Es muss nur einmal ausgesprochen werden: Ein Rettungswagen muss auch einmal bei Bagatellfällen nicht kommen, damit er bei echten Notfällen wie dem Herzinfarkt auch zur Verfügung steht.
Aber wie bringen wir bei uns im Land die echten, lebensbedrohlichen Notfälle, die persönlichen gesundheitlichen Notlagen und die regelhafte Gesundheitsversorgung unter einen Hut? Ich meine, dass wir gerade in Schleswig-Holstein aufgrund unserer Strukturen und auch wegen unserer konstruktiven Zusammenarbeit die allerbesten Chancen haben, hier Musterbeispiel für Deutschland werden zu können.
Ein Rettungswagen muss auch einmal bei Bagatellfällen nicht kommen, damit er bei echten Notfällen wie dem Herzinfarkt auch zur Verfügung steht.
Der Anfang ist gemacht: Ab 2027 verfügen alle Leitstellen im Land über eine kompatible Software. Und an der Anbindung der 116 117 wird gearbeitet. Damit ist eine gute Grundlage geschaffen, Patientinnen und Patienten zu erfassen, zu triagieren und in die geeignete Versorgung zu steuern, die per Telefon ins System kommen. Die Einrichtung einer gemeinsamen landesweiten Leitstelle zur Steuerung der Versorgung sowie die Zusammenführung der Rufnummern 112 und 116 117 sollte aber das Ziel sein.
Jetzt wird es darum gehen, die so genannten "Anläufer" gut und sinnvoll zuzusteuern. Wer sich selbst auf den Weg ins Krankenhaus macht, ist entweder wirklich in Not oder weiß es nicht besser, ob und wo es Alternativen gäbe. Auch sind Wartezeiten von bis zu sechs Stunden für Patientinnen und Patienten mit so genannten "leichteren" Beeinträchtigungen nicht hinnehmbar. Wenn der Arm verstaucht ist, die Hand blutet oder der Schwindel nicht weggeht, brauchen die Betroffenen eine klare Orientierung, an wen sie sich wenden können. Egal wie spät es ist. Deshalb sind ambulante Angebote wie der gemeinsame Tresen im durchgehenden Betrieb unabdingbar - denn sie sind ja schon der Remote-Dienst für die nachts und am Wochenende geschlossenen Arztpraxen. Und der Sicherstellungsauftrag gilt schließlich rund um die Uhr und endet nicht zu einer bestimmten Zeit.
Deshalb: Wir brauchen gemeinsame Tresen an allen Krankenhäusern, die an der Notfallversorgung teilnehmen. Und wir brauchen eine niedrigschwellige Hilfe, die zu den Patientinnen und Patienten nach Hause kommt, wenn es sein muss. Hier sollten die finanziellen Anreize gezielt in Richtung Einsatz am Patienten gesetzt werden, statt starre Bereitschaftsstrukturen und -dienste mit Millionenaufwand zu finanzieren.
Wir brauchen gemeinsame Tresen an allen Krankenhäusern, die an der Notfallversorgung teilnehmen. Und wir brauchen eine niedrigschwellige Hilfe, die zu den Patientinnen und Patienten nach Hause kommt, wenn es sein muss.
Um die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und die Rettungsdienste dabei zu entlasten, können aus meiner Sicht die neu geschaffenen "ärztlichen Assistentinnen und Assistenten", also Physician Assistants, in Zukunft eine wichtige Rolle spielen - gerade geht der erste Studiengang in Schleswig-Holstein erfolgreich zu Ende. Durch ihre lange Berufserfahrung und das dreijährige Studium können sie der wichtige Vorfilter sein, der aus einem Verdacht eine Diagnose macht, die dann zu einer Entscheidung führt. Im Zweifel mit dem zugeschalteten Tele(not)arzt gemeinsam. Und dann das Schmerzmittel auch geben.
Vielleicht rettet das die Retterinnen und Retter. Arbeiten wir daran.