Zur Sache: Metropolversorgung
Interview aus Hamburg
Ob Krankenhausreform, Situation in der Notfallversorgung oder Wartezeiten auf Facharzttermine: Die Aufgaben und Herausforderungen im Gesundheitswesen wurden in der Corona-Pandemie nur verschoben - nicht aufgehoben. Als Millionenstadt steht Hamburg dabei exemplarisch für andere Großstädte in Deutschland: Hamburg versorgt als Metropolregion gesundheitlich nicht nur die eigenen rund 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger, sondern in großen Teilen auch das Umland.
Unter dem Titel: "Metropolversorgung: Was ist die Stadt Hamburg in der Lage zu leisten?" hat die TK-Landesvertretung Hamburg zu ihrem TK-Osterempfang 2023 eingeladen. Auf dem Podium diskutierten Prof. Dr. Christian Gerloff, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Joachim Gemmel, Sprecher der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg, sowie John Afful, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, mit Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, wie den künftigen Herausforderungen begegnet werden kann.
Im Interview beantworten Maren Puttfarcken und führende Vertreter aus der ambulanten und stationären Versorgung, wie sie das Thema Metropolversorgung wahrnehmen und welche Rolle sie dabei künftig einnehmen.
Die Universitätsmedizin spielt eine ganz besondere Rolle. Wir forschen täglich an neuen medizinischen Methoden und bringen diese zur Anwendung in der klinischen Praxis. Wir sind Innovationstreiber.
TK: Herr Professor Gerloff, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat in Hamburg als einziges Uni-Klinikum ein Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Vielzahl von Kliniken der Maximalversorgung. Wie sehen Sie die künftige Rolle des UKE für Hamburg und für die Versorgung der Metropolregion?
Prof. Dr. Christian Gerloff: Die Universitätsmedizin spielt eine ganz besondere Rolle. Wir forschen täglich an neuen medizinischen Methoden und bringen diese zur Anwendung in der klinischen Praxis. Wir sind Innovationstreiber. Bei uns werden zum Beispiel Stammzelltransplantationen, Gentherapien, Herztransplantationen oder komplexe Hirnstimulationsverfahren vorgehalten und weiterentwickelt. Wir sind dafür verantwortlich, dass die kommenden Generationen exzellent in der Medizin ausgebildet werden. Wir haben das Medizinstudium in den vergangenen Jahren komplett neu entwickelt und waren Ideengeber für die gesamte Bundesrepublik. Daneben haben Universitätskliniken besondere Aufgaben in der Krisenbewältigung, zum Beispiel bei Ausbrüchen wie Ebola, EHEC oder zuletzt SARS-CoV-2. Und natürlich haben wir als größtes Klinikum der Stadt einen mächtigen Versorgungsauftrag mit knapp einer halben Million Patientinnen und Patienten pro Jahr. Was Hamburg besonders attraktiv macht, ist, dass wir eben auch hervorragende nicht-universitäre Kliniken der Maximalversorgung haben. Sie machen exzellente Medizin, auch in komplexen Bereichen, und sie unterstützen uns bei der klinischen Lehre der Studierenden als Lehrkrankenhäuser. Gemeinsam mit kleineren, häufig stark spezialisierten Kliniken, ob für Endoprothetik oder für Epilepsie, bieten wir in Hamburg ein enorm schlagkräftiges Netzwerk an. Wir sind jetzt schon in verschiedenen Konstellationen miteinander verbunden. Die neue, vom Bund und von den Krankenkassen geförderte sogenannte H3-Initiative soll diese Netzwerkstruktur durch Digitalisierungsmaßnahmen nochmals spürbar verbessern. Hamburg kann dadurch zu einer Modellregion der vernetzten Gesundheitsfürsorge für ganz Deutschland werden.
Unsere sieben Kliniken sind zentrale Säulen für die Gesundheitsversorgung der Metropolregion Hamburg.
TK: Herr Gemmel, der Asklepios-Konzern betreibt in Hamburg viele Kliniken der Maximalversorgung. Angesichts der aktuellen Herausforderungen: Sehen Sie hier Veränderungsbedarf, und welche Rolle möchten Sie künftig in der Versorgung von Hamburg und in der Metropolregion einnehmen?
Joachim Gemmel: Unsere sieben Kliniken sind zentrale Säulen für die Gesundheitsversorgung der Metropolregion Hamburg, in einigen Bereichen wie der Notfallversorgung sogar die wichtigste Säule. Wir werden alles dafür tun, dass dies auch so bleibt. Aktuelle Herausforderungen im Einklang mit der Krankenhausreform: Digitalisierung, Intensivierung der Zusammenarbeit und Vernetzung mit internen und externen Partnern der Gesundheitsversorgung, notwendige Investitionsförderung, Fachkräftemangel, Ambulantisierung vieler Behandlungen. Die Reform bedarf Anpassungen, sonst drohen selbst in Hamburg Einschränkungen der Versorgung durch Leistungseinschränkungen oder Schließungen renommierter Kliniken. Grotesk, denn unsere verzeichnen eine unveränderte Strahlkraft gerade in Randlage zu den benachbarten Bundesländern.
In Hamburg werden zahlreiche Behandlungen, für die man in anderen Regionen ins Krankenhaus gehen muss, durch hervorragend ausgebildete Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ambulant erbracht.
TK: Herr Afful, wenn wir von "Metropolversorgung" sprechen, geschieht das meist im Zusammenhang mit dem Thema stationäre Versorgung. Heißt das, dass das Thema für die niedergelassenen Hamburger Ärztinnen und Ärzte weniger relevant ist? Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht die Umlandversorgung auf den ambulanten Bereich aus? Welche Rolle wird die fachärztliche Versorgung künftig einnehmen?
John Afful: Hamburg ist als Metropolregion traditionell auch in vertragsärztlicher Hinsicht sehr stark mitversorgend; bei rund einem Viertel aller von Facharztpraxen abgerechneten Fälle handelt es sich um Patientinnen und Patienten, die nicht in Hamburg wohnen. Kaum eine andere Region in Deutschland kann eine derartige Versorgungsdichte, -breite und -tiefe vorweisen. In Hamburg werden zahlreiche Behandlungen, für die man in anderen Regionen ins Krankenhaus gehen muss, durch hervorragend ausgebildete Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ambulant erbracht. Aus diesem Grund bietet Hamburg die besten Voraussetzungen dafür, den Prozess der Ambulantisierung weiter voranzutreiben - wo sonst, wenn nicht hier! Doch so schön ein hoher Grad an Versorgung und Mitversorgung auch ist - problematisch ist, dass dies sowohl in der Bedarfsplanung als auch beim Honorar nicht entsprechend Berücksichtigung findet. Die Herausforderungen, die die Metropolregion in den nächsten Jahren an uns stellt, werden wir meistern, vorausgesetzt, der hierfür notwendige politische Rahmen wird bereitet - ein auskömmliches Honorar, eine Anpassung der Bedarfsplanung und ein uneingeschränktes Bekenntnis der Politik zur ambulanten Versorgung.
Wir brauchen unbedingt eine Reform mit klugen Lösungen. Und was wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen, ist, dass die Ressourcen endlich sind: bei den Finanzen, aber auch beim Personal.
TK: Frau Puttfarcken, was macht Hamburg in der Versorgung im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders? Und welche Rolle sehen Sie oder können Sie als Krankenkasse bei Fragen der Metropolversorgung einnehmen?
Maren Puttfarcken: Wir haben in Hamburg insgesamt eine sehr gute und qualitativ hochwertige Versorgung. Das gilt sowohl für den ambulanten als auch den stationären Bereich und darüber hinaus für die sektoren-übergreifende Zusammenarbeit. Und wir haben auch ein großes Angebot: eine hohe Arztdichte insbesondere bei den Fachärztinnen und -ärzten und viele große Krankenhäuser oder spezialisierte Kliniken. Sowohl bei den Patientinnen- und Patientenzahlen der Krankenhäuser als auch in unseren Abrechnungsdaten sehen wir, dass Hamburg die Metropolregion mitversorgt. Bei der Versorgung gibt es einfach keine Landesgrenzen. Dies müssen wir künftig, etwa bei der aktuellen Krankenhausreform, verstärkt mitdenken.
Unsere Rolle als Krankenkasse ist es, die bestmögliche Versorgung für unsere Versicherten zu ermöglichen und gleichermaßen die Kosten für unsere Versicherten im Rahmen zu halten. In den vergangenen Jahren sind die Beiträge fast jedes Jahr und die Ausgaben im Gesundheitswesen insgesamt gestiegen. Wir brauchen unbedingt eine Reform mit klugen Lösungen. Und was wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen, ist, dass die Ressourcen endlich sind: bei den Finanzen, aber auch beim Personal.
Wir sollten im Gesundheitswesen gemeinsam mutig sein, um die notwendigen Veränderungen zu ermöglichen. Das Festhalten an den bestehenden Strukturen - insbesondere im Krankenhausbereich - wird uns bald auf die Füße fallen. Ich denke, Hamburg ist als Region so gut aufgestellt, dass wir hier als Vorreiter voran gehen sollten.