Zur Sache: TK-Osterempfang "Smarte Datennutzung in der Versorgung"
Interview aus Hamburg
Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Gesundheitspolitik mit der Frage, welche Chancen und Herausforderungen die Digitalisierung für die Gesundheitsversorgung bietet.
Die zwei kürzlich verabschiedeten Digitalgesetze sollen die digitale Versorgung weiter vorantreiben. Dabei spielen auch die Verfügbarkeit und Qualität der Daten eine große Rolle. In vielen Projekten und in der Forschung wird derzeit bereits erprobt, wie Datennutzung und -auswertung für eine bessere Versorgung eingesetzt werden können. Immer häufiger kommen dabei Deep Learning, Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Auf dem TK-Osterempfang 2024 der TK-Landesvertretung Hamburg wurden einige Beispiele vorgestellt, wo innovative Datenanalyse bereits heute eingesetzt wird. Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, berichtet im Interview, wie die Techniker Krankenkasse (TK) mit dem Thema "smarte Datennutzung" umgeht und über ihre Eindrücke des Osterempfangs 2024.
TK: Frau Puttfarcken, wie ordnen Sie Dateninnovationen wie KI & Co. ein? Sind sie der "Gamechanger" in der Gesundheitsversorgung?
Maren Puttfarcken: Aktuell scheint Künstliche Intelligenz das "Buzzword" zu sein. Dabei ist KI kein neues Phänomen. Die ersten Versuche gab es bereits in den 1950er Jahren, in den 1970ern dann auch erstmals in der Medizin an der Stanford University. Damals aber noch nicht mit der nötigen Leistung in Bezug auf die Verarbeitungskapazität und die Speicheranforderungen der Computertechnologie. Nun wird KI seit ein paar Jahren zum Beispiel durch Chat-GPT alltagstauglich und von vielen im privaten Bereich bereits genutzt. Doch auch in der Gesundheitsversorgung kommen schon längst Datenverarbeitungsprogramme zum Einsatz. Wir sehen hier viel Potenzial, und es wird in den nächsten Jahren noch viel Veränderung geben.
Aus unserer Sicht muss das Ziel sein, die Versorgung und Behandlung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und notwendige Ressourcen, vor allem das ärztliche und pflegerische Personal, zu entlasten. Das kann beispielsweise durch eine Zeitersparnis in der Dokumentation oder eine höhere Sicherheit bei Entscheidungen der Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten passieren. Dabei muss aber immer gelten, dass der Mensch entscheidet - als denkendes, einfühlendes Wesen. Das darf KI nicht ersetzen.
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig, das haben wir auch auf unserem TK-Osterempfang 2024 gesehen: Von der verbesserten Diagnose oder einer höheren Sicherheit bei der Diagnosestellung über das Ausloten von Behandlungsmöglichkeiten oder das Treffen von Vorhersagen zu Behandlungsergebnissen. Aber auch die Prozesse können durch Datenverarbeitung und -nutzung weiter optimiert und verbessert werden. Dafür braucht es aber gesamtgesellschaftlich noch Zeit, um Vertrauen aufzubauen.
Aus unserer Sicht muss das Ziel sein, die Versorgung und Behandlung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und notwendige Ressourcen, vor allem das ärztliche und pflegerische Personal, zu entlasten.
TK: Wie nutzt die TK Künstliche Intelligenz schon?
Puttfarcken: Die TK hat sich schon früh mit Datenverarbeitung und KI auseinandergesetzt. Wir haben eine eigene Abteilung, die die Möglichkeiten für die TK auslotet. Wir möchten die vorhandenen Daten in der TK nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen, Prozesse zu optimieren oder Produkte zu entwickeln.
Für einige interne Prozesse nutzen wir KI bereits, zum Beispiel bei der Klassifikation von Posteingangsdokumenten oder der KI-gestützten Prüfung von Krankenhausrechnungen. Wir sehen in der KI die Chance, dass sich Tätigkeiten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als monoton empfinden, mit KI gut automatisieren lassen. So werden die Prozesse effizienter und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlastet. Und auch unsere Versicherten spüren dies durch kürzere Bearbeitungszeiten.
Auf dem Gebiet der Bild- und Sprachverarbeitung wurden durch KI im vergangenen Jahrzehnt riesige Fortschritte gemacht. Wir können uns vorstellen, dass KI hier künftig auch als Brückentechnologie dienen kann. Sie überbrückt damit die Zeit, bis ein Großteil der Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen nicht mehr in Form von Papier, sondern digital stattfindet.
KI ist auch in der Lage, sehr komplexe Muster und Zusammenhänge in Daten zu finden und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Daher gibt es viel Potenzial für den Einsatz von KI bei der Empfehlung von passgenauen und sehr individuellen Versorgungs- und Serviceangeboten für unsere Versicherten. Das ist wichtig, um ihre Erwartungen in puncto Schnittstellen zu erfüllen. Diese müssen perspektivisch viel schneller, einfacher und persönlicher gestaltet sein, damit sie auch genutzt werden. Denn so sind unsere Versicherten es auch von anderen Dienstleistungen im digitalen Zeitalter gewohnt. Hierfür benötigen wir aber ausreichend Daten, die zudem noch rechtzeitig vorliegen müssen. Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz tun wir hier einen Schritt, der solche Empfehlungen möglich machen könnte. Ich würde mir wünschen, dass gerade beim Thema KI die Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren im Gesundheitssystem einfacher wäre, um so gemeinsame Grundlagen zu schaffen, von der dann alle profitieren.
TK: Wie werden Daten bereits heute für eine bessere Gesundheitsversorgung genutzt?
Puttfarcken: Wie Datennutzung im Gesundheitswesen bereits heute smart und innovativ eingesetzt wird, haben uns drei Projekte auf unserem Osterempfang gezeigt. Den Anfang machte ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg, genauer am Institut für Computational Systems Biology (CoSyBio). Perspektivisch soll mit Hilfe von KI eine Vorhersage für die beste Behandlungsoption bei Diabetes-Typ 2 möglich sein - persönlich zugeschnitten auf die Patientinnen und Patienten. Ein sogenannter "digitaler Zwilling" wird mit Hilfe eines KI-Modells erstellt, das datenschutzgerecht mit Diabetes-Parametern trainiert wird. Das Projekt ist im Januar 2024 gestartet und auf fünf Jahre angelegt. Wir sind schon gespannt, wie es in den kommenden Jahren fortschreitet.
Das Start-up cureVision aus München zeigte, weshalb sie auch etliche Preise, darunter den Health-i-Award 2023, gewonnen haben. Mit einer 3D-Wundanalyse und KI entfallen die üblichen Messmethoden mit Lineal und Notizen auf Papier. Die Wundberichte werden digital gespeichert und können in eine Patientenakte übernommen werden.
Außerdem haben wir gehört, wie weit das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit smarter Datennutzung bereits ist. Begonnen wurde dort mit dem Projekt, ein neues klinisches Arbeitsplatzsystem mit dem Namen "nextKAS" aufzubauen. In diesem Zuge hat sich das UKE weiterhin auf den Weg gemacht, auch KI zur Prozessoptimierung zu nutzen. Damit soll künftig zum Beispiel das ärztliche Personal bei der Erstellung von Arztbriefen entlastet werden.
Bei unseren Recherchen im Vorfeld sind wir aber auch noch auf viele weitere Projekte, Start-ups und Beispiele gestoßen. Das zeigt, wie viel Bewegung auf diesem Feld im Gesundheitssystem ist. Es wird spannend sein, die Fortschritte weiter zu verfolgen. Und die Entwicklungen bei der Digitalisierung der vergangenen Jahre haben gezeigt: Wenn wir selbst in diesem Feld nicht mutig vorangehen, übernehmen dies andere für uns!
Weitere Eindrücke gibt es auf unserer Website , dem Twitter-Account @TKinHH unter dem Hashtag #Hamburgdiskutiert und auf dem LinkedIn-Account der TK-Landesvertretung Hamburg.