Gesundheit als bedeutender Wirtschaftsfaktor in SH
Interview aus Schleswig-Holstein
Im Interview spricht Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen über die Bedeutung von der Gesundheitsbranche als Wirtschaftsfaktor im Norden.
Gesundheit und Schleswig-Holstein: Beides gehört zusammen wie Matjes und Brötchen. Doch das liegt nicht nur an der guten Luft, sondern auch an der Bedeutung von Gesundheit als Wirtschaftsfaktor im Norden. Im Interview spricht Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen über den Stellenwert der Branche, die Chancen für den Arbeitsmarkt und wagt einen Blick in die Zukunft.
TK: Welche Bedeutung hat die Gesundheitsbranche für die Wirtschaft in Schleswig-Holstein?
Claus Ruhe Madsen: Unser Fokus liegt ja auf den Bereichen Medizintechnik, Pharma und Biotechnologie - und das ist zweifellos eine der Zukunftsbranchen des 21. Jahrhunderts. Sie zeichnet sich auch in Schleswig-Holstein durch hohe Wachstumsraten aus und trägt zur besseren medizinischen Versorgung der Bevölkerung bei. Die Branche ist bei uns erfreulicherweise hervorragend aufgestellt, die demographische Entwicklung samt rasantem medizinisch-technischem Fortschritt wird ihr weitere Dynamik verleihen.
Dieser Fortschritt wird auch in Schleswig-Holstein stark angekurbelt, die Branche zählt nicht zuletzt zu den Spezialisierungsfeldern im Rahmen unserer Innovationsstrategie. In meinem Ministerium beispielsweise kümmern wir uns darum, dass das Know-how aus der Wissenschaft mit unseren leistungsfähigen Hochschulen - etwa in Lübeck und Kiel - durch Innovations-Projekte und -Netzwerke verstärkt in Kliniken umgesetzt wird. Ich bin stolz darauf, dass im ganzen Land - besonders auch in der Region Lübeck - starke große und kleine Unternehmen enorme Leistungsträger in diesem Sektor sind. Und das wiederum wirkt sich positiv für die ganze Wirtschaft im echten Norden aus und sichert Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Die Branche ist mir sehr wichtig und durch Besuche und Gespräche bei und mit den Unternehmen habe ich immer ein Ohr für die aktuellen Herausforderungen der Akteure.
TK: Etwa jede und jeder fünfte Erwerbstätige (19,2 Prozent) in Schleswig-Holstein (Quelle: Studie Gesundheitswirtschaft 2021) ist in der Gesundheitsbranche tätig. Sehen Sie eine besondere Chance für den Arbeitsmarkt?
Claus Ruhe Madsen: In Schleswig-Holstein sind der von Ihnen zitierten Datenquelle zufolge etwa 276.000 Menschen in der Gesundheitswirtschaft erwerbstätig, also in der medizinischen Versorgung, der industriellen Gesundheitswirtschaft und in weiteren Teilbereichen der Gesundheitswirtschaft. Damit liegt Schleswig-Holstein, gemessen am Beschäftigtenanteil in der Gesundheitswirtschaft an der Gesamtbeschäftigung, bundesweit unter den drei Spitzenreitern. Im Cluster Life Science Nord, dem norddeutschen Branchennetzwerk für Medizintechnik und Biotechnologie/Pharma, sind rund 500 Unternehmen, international renommierte Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Universitätskliniken und Institutionen mit über 52.000 Beschäftigten in Schleswig-Holstein ansässig. Bereits diese Daten verdeutlichen, welche Bedeutung die Gesundheitswirtschaft für unser Land hat und auch zukünftig haben wird. Deshalb ist "Gesundheit und Pflege" auch einer der Branchenschwerpunkte der Fachkräfteinitiative Schleswig-Holstein (FI.SH).
TK: Bleiben wir beim Thema Fachkräftemangel. Wie schätzen Sie die Bedarfe ein und was muss passieren, damit sich mehr Menschen für die Berufe begeistern?
Claus Ruhe Madsen: Allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Gesundheitswirtschaft immer bedeutender. Und weil viele der derzeit Beschäftigten in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen werden, wird der Bedarf an nachfolgenden Arbeitskräften und Auszubildenden beispielsweise auch in der Alten- und Krankenpflege sowie bei medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten weiterhin wachsen. Um den derzeitigen und zukünftigen Personalbedarf zumindest teilweise zu decken, setzen wir verstärkt auch auf die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften und haben mit dem Welcome Center Schleswig-Holstein eine Informations- und Beratungsstelle eingerichtet. Die Chancen für eine Beschäftigung oder Ausbildung in der Gesundheitswirtschaft sind also schon heute sehr gut und werden sich künftig noch verbessern.
TK: Digitale Patientenakte, E-Rezept, digitale Gesundheitsanwendungen: Digitalisierung ist aktuell beim Thema Gesundheit in aller Munde. Was bedeutet der technologische Fortschritt aber für die Branche als Wirtschaftsfaktor und wo sehen Sie vielleicht auch besonderes Potenzial und Verbesserungsbedarf?
Claus Ruhe Madsen: Die Digitalisierung hat viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft stark beeinflusst. Auch für die Gesundheitsversorgung bietet sie große Chancen: nicht nur für schnellere Kommunikation und effizientere Verwaltungsabläufe, sondern auch für die gezielte Bereitstellung von Patientendaten als Grundlage für eine gute Behandlung.
Die systematische Auswertung von medizinischen Daten verbessert darüber hinaus die Erkennung von Krankheiten, ermöglicht individuell ausgerichtet Therapien und eröffnet neue Heilungschancen. Mobile Gesundheitsanwendungen bergen neue Chancen für eine selbstbestimmte Rolle der Patientinnen und Patienten im Behandlungsablauf und für eine Steigerung der Gesundheitskompetenz.
Digitale Technologien helfen somit dabei, die Herausforderungen der Gesundheitssysteme anzugehen - immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen zu behandeln, teure medizinische Innovationen zu bezahlen, strukturschwache ländliche Gebiete weiterhin gut medizinisch zu versorgen.
Potentiale für die Branche sind in diesem Bereich sehr groß und vielfältig. Herausgreifen möchte ich beispielhaft ein sich dynamisch entwickelndes Innovationsfeld, die personalisierte oder individualisierte Medizin. Die digitale Entwicklung beflügelt die Entwicklung und Anwendung von Verfahren und Arzneimitteln. Die Präzisionsmedizin strebt an, Krankheiten möglichst individuell, zielgerichtet und effektiver zu bekämpfen. Dabei wird der Patient oder die Patientin als Individuum gesehen, der die "richtige Behandlung zum richtigen Zeitpunkt" bekommen soll, um eine bestmögliche Therapie zu erhalten und Fehlversuche mit unwirksamen oder schlecht verträglichen Substanzen zu vermeiden. Besonders erfreulich ist, dass wir im Norden in diesen Feldern starke unternehmerische Kompetenzen, innovatives Know-how in Forschung und Entwicklung und gute regionale Voraussetzungen haben. Diesen Bereichen wird somit ein enormes Innovations- und Wertschöpfungspotenzial zugeschrieben. Nicht zuletzt aus diesen Gründen setzt beispielsweise auch in solchen Spezialisierungsfeldern unsere gezielte Innovationsförderung an.
Ich bin stolz darauf, dass im ganzen Land - besonders auch in der Region Lübeck - starke große und kleine Unternehmen enorme Leistungsträger in diesem Sektor sind.
TK: Blicken wir einmal zehn Jahre in die Zukunft: In welche Richtung wird sich die Gesundheitsbranche weiterentwickelt haben?
Claus Ruhe Madsen: Demografische Entwicklung sowie medizinisch-technischer Fortschritt und das wachsende Gesundheitsbewusstsein führen sicher zu einer steigenden Nachfrage an professionellen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich, aber auch an Produkten und Dienstleistungen des zweiten Gesundheitsmarktes. Die Gesundheitswirtschaft bietet somit jetzt und für die Zukunft vielfältige Chancen für Wachstum und Beschäftigung sowie für Innovationen. Doch hat beispielsweise die Corona-Pandemie auch einige Unternehmen der Branche nicht verschont, so dass die Entwicklung sicher auch differenziert zu betrachten ist.
Die demografische Entwicklung wirkt aber nicht nur auf der Nachfrageseite, sondern stellt auch ein Risiko für die Gesundheitswirtschaft in Form eines drohenden Fachkräftemangels dar. Wie in allen Wirtschaftsbereichen werden die Belegschaften älter und der Nachwuchs wird knapp.
Die Gesundheitswirtschaft ist eine Hightech-Branche und spielt deshalb eine wichtige Rolle für den technischen Fortschritt. Auch für Schleswig-Holstein ist dieser Bereich eine Schlüsselbranche für die Zukunft und wir werden uns weiter intensiv um die Förderung und Unterstützung der Akteurinnen und Akteure weiter kümmern.