Fünf Fragen an Schleswig-Holsteins neue Gesundheitsministerin
Interview aus Schleswig-Holstein
Schleswig-Holstein hat eine neue Gesundheitsministerin: Im Interview haben wir Prof. Kerstin von der Decken gefragt, welche Gesundheitsthemen sie zuerst angehen wird, vor welchen Chancen und Herausforderungen das Land steht und welche Meilensteine sie bis 2027 erreicht haben möchte.
TK: Sehr geehrte Frau Ministerin, in Ihrer bisherigen Berufslaufbahn waren Sie als Juristin und Professorin für Völkerrecht und Europarecht tätig. Seit dem 29. Juni sind Sie Ministerin für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein. Wie haben Sie die ersten Wochen in Ihrem neuen Amt erlebt?
Ministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken: Ich habe sehr schnell gemerkt, wie umfangreich die beiden Bereiche Justiz und Gesundheit sind und wie gut aufgestellt: Sowohl die Justizabteilungen als auch die Gesundheitsabteilungen sind mit absoluten Fachleuten besetzt, die mit großem Engagement und hoch motiviert ihre Arbeit machen. Es macht Spaß, mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten, trotz allem Stress. Denn auch das ist mir schnell klar geworden: Hier folgt ein Termin auf den anderen. Und sollte ich mal eine halbe Stunde Pause haben, steht schon jemand in der Tür und möchte etwas von mir. Die Anfangszeit in solch einem Amt ist natürlich auch von vielen ersten Besuchen geprägt. So war ich zum Beispiel gleich am zweiten Tag im Amt im Städtischen Krankenhaus in Kiel, um mich über die hohe Belastung des Personals zu informieren. Kurz nach der Kieler Woche gab es ja einen deutlichen Anstieg der Corona-Infektionen. Bei diesen Besuchen höre ich gerne und aufmerksam zu. Gleiches gilt natürlich auch für die Besuche bei den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten.
TK: Im Gesundheitswesen gibt es in Schleswig-Holstein viel zu tun: dem Fachkräftemangel entgegenwirken, landesweite Versorgungsstrukturen sicherstellen, die Digitalisierung vorantreiben. Welche Themen wollen Sie zuerst angehen?
Prof. von der Decken: Corona ist weiterhin ein zentrales Thema. Die aktuelle Situation ist beherrschbar und relativ entspannt. Mit Blick auf Herbst und Winter gilt es aber, Schutzmaßnahmen voranzutreiben. Dazu gehört eine Impfkampagne für Schülerinnen und Schüler, die wir gerade gemeinsam mit dem Bildungsministerium an den Schulen gestartet haben. Schleswig-Holstein ist schon bundesweit an der Spitze bei der Grundimmunisierung Minderjähriger. Um noch bestehende Lücken weiter zu schließen, gehen jetzt mobile Teams direkt an die Schulen und impfen dort.
Der Fachkräftemangel ist in der Tat ein großes Problem, das wir rasch angehen müssen. Mit dem "Pakt für Gesundheits- und Pflegeberufe" werden in den kommenden Jahren konkrete Maßnahmen erarbeitet, um die Bedingungen und Möglichkeiten in Studium und Ausbildung in den Gesundheitsberufen weiter zu verbessern und die Kapazitäten an den bestehenden und prognostizierten Bedarf anzupassen. Alle Versorgungsbereiche sollen beachtet werden, was Anstrengungen aller beteiligten Ressorts bedarf, die für die Fachkräftesituation, die Versorgung sowie Studium und Ausbildung zuständig sind.
Klar ist, [...] dass zukünftig nicht jeder Krankenhausstandort alles anbieten kann, sondern dass es im Interesse der Patientinnen und Patienten gelingen muss, komplexe Eingriffe dort vornehmen zu lassen, wo genügend Expertise und Routine vorhanden sind.
Große Herausforderungen sehe ich auch im Krankenhausbereich - personell ebenso wie finanziell. Klar ist, insbesondere aus Gründen der Patientensicherheit, aufgrund der Personalsituation und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, dass zukünftig nicht jeder Krankenhausstandort alles anbieten kann, sondern dass es im Interesse der Patientinnen und Patienten gelingen muss, komplexe Eingriffe dort vornehmen zu lassen, wo genügend Expertise und Routine vorhanden sind. Wichtig bleibt aber auch, die Grundversorgung in der Fläche dauerhaft sicherzustellen.
TK: Um die Gesundheitsversorgung in Schleswig-Holstein langfristig sicherzustellen, hat sich die neue Landesregierung vorgenommen, ein "Zielbild für die Gesundheitsversorgung 2030" zu erarbeiten. Welche Aspekte sind Ihnen in diesem Zusammenhang wichtig?
Prof. von der Decken: Das "Zielbild für die Gesundheitsversorgung 2030" soll mit der Beteiligung von handelnden Akteurinnen und Akteuren, Betroffenen sowie Expertinnen und Experten die grundlegenden Zukunftsfragen der medizinischen Versorgung aufzeigen. Das Land wird auch künftig gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern der Selbstverwaltung, mit den Kommunen und Praxisnetzen moderne, zukunftsfähige Versorgungskonzepte entwickeln, die auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in Schleswig-Holstein zugeschnitten sind - insbesondere mit dem Ziel einer patientenzentrierten Versorgung. Dabei spielen auch die Krankenkassen eine wichtige Rolle. Sie setzen sich für eine hochwertige und moderne Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten ein und sind ein bedeutender Partner für das Land. Wir wollen das gute, konstruktive Verhältnis weiter dazu nutzen, um die Herausforderungen im Bereich der Gesundheitsversorgung zu meistern. Die Kassen spielen eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von neuen Projekten. So gibt es etwa Verträge mit den Kassen in den Projekten Telemedizin im ländlichen Raum und bei der Virtuellen Diabetes-Sprechstunde für Kinder- und Jugendliche (Vidiki).
TK: Zukunftsfeste Gesundheitsversorgung kann nur gelingen, wenn die Möglichkeiten der digitalen Transformation ausgeschöpft werden. Welche Chancen sehen Sie für Schleswig-Holstein?
Prof. von der Decken: Die Pandemie hat die Bedeutung der Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter verdeutlicht. Das sehen wir beim Impfquoten-Monitoring, der statistischen Auswertung von Corona-Neuinfektionen, der Meldung und Verarbeitung von Daten zu freien Intensivbetten ebenso wie der vermehrten Nutzung von Videosprechstunden.
Das eRezept und der Gesundheitsdatenraum auf europäischer Ebene sind weitere Entwicklungen. Dass wir beim eRezept gerade wegen Bedenken der Datenschützer einen vorläufigen Rückschlag hinnehmen müssen, ist zwar ärgerlich, aber Pilotprojekte sind ja für das Ausloten von Problemen da. Wir erwarten jetzt, dass die Anbieter entsprechender Praxissoftware angemessene Lösungen entwickeln, die den Anforderungen des Datenschutzes gerecht werden.
Wir erwarten jetzt, dass die Anbieter entsprechender Praxissoftware angemessene Lösungen entwickeln, die den Anforderungen des Datenschutzes gerecht werden.
Zudem haben wir die Bundesregierung gebeten, praxistaugliche Lösungswege für ihr wichtiges Vorhaben aufzuzeigen und zu unterstützen. Das Land wird sich zudem in Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber dem Bund dafür einsetzen, dass die Arztpraxen im Zuge der Digitalisierung nicht für Dinge haftbar gemacht werden, für die sie vorher nicht haftbar waren. Für die Praxen sollte das Verfahren vielmehr ebenfalls zu Erleichterungen auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Digitalisierung im Gesundheitswesen beitragen. Wichtig bleibt dabei, dass die Digitalisierung in der medizinischen Versorgung grundsätzlich sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Ärztinnen und Ärzte zu einer spürbaren Entlastung führt.
TK: Zum Abschluss werfen wir einen Blick auf die gesundheitspolitische Bilanz im Jahr 2027: Welche Meilensteine wollen Sie bis dahin erreicht haben?
Prof. von der Decken: Im Rückblick haben wir dann hoffentlich die Corona-Pandemie erfolgreich hinter uns gebracht und verstehen mehr über einzelne Aspekte, zum Beispiel zu Long Covid. Und wir sind somit besser gerüstet für mögliche künftige Pandemien. Die Krankenhauslandschaft in Schleswig-Holstein ist dann mitten im Umbau zu hochmodernen Strukturen. Der erfolgreiche "Pakt für Gesundheits- und Pflegeberufe" hat den Fachkräftemangel gemindert, sowohl in den Krankenhäusern und im Pflegebereich als auch in den Arztpraxen. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gibt es hoffentlich noch in ausreichender Zahl in den ländlichen Gebieten unseres schönen Landes - vielleicht ergänzt durch Regionale Gesundheitszentren, in denen medizinische Angebote gebündelt werden können. Dafür müssen wir gute Rahmenbedingungen schaffen, damit sich junge Medizinerinnen und Mediziner für solche Tätigkeiten entscheiden, angefangen bei einer guten Infrastruktur auch im ländlichen Raum bis hin zu flexiblen Beschäftigungsmodellen.