"Wir denken Daten neu und anders als bisher"
Interview aus Schleswig-Holstein
Die Landesregierung will mehr Tempo machen bei der Nutzung von Daten, dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz und der Digitalisierung. Welche Maßnahmen den Gesundheitsbereich betreffen und welche Chancen dies bietet, haben wir Dirk Schrödter, Minister für Digitalisierung und Chef der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, im Interview gefragt.
TK: KI, Big Data und Co. bieten enorme Potenziale in vielen Bereichen des Lebens. Was tut die Landesregierung, um Schleswig-Holstein zu einem Pionierland auf diesem Gebiet zu machen?
Dirk Schrödter: Die Bedeutung von KI und der besseren Nutzung von Daten kann nach meiner Überzeugung gar nicht überschätzt werden. Zukünftig wird kein Unternehmen ohne den Einsatz von KI konkurrenzfähig sein. Die Landesregierung hat darum bereits im Jahr 2019 als erstes deutsches Land eine KI-Strategie auf den Weg gebracht, die seither Schritt für Schritt umgesetzt wird. Parallel dazu arbeiten wir gerade mit Hochdruck an einer Landesdatenstrategie, für die wir jüngst die Eckpunkte vorgestellt haben. Wir wollen die großen Datenmengen, die in den Datensilos der Verwaltungen unseres Landes ungenutzt liegen, frei zur Verfügung stellen und zwar so, dass man sie besser verwenden kann. Daraus wird sich Wertschöpfung entwickeln. Beide Themen - KI und Daten - sind Schwerpunkte unserer Bemühungen, Schleswig-Holstein zur digitalen Vorzeigeregion zu machen.
Um dieses Ziel zu erreichen, fördern wir KI-Projekte in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der Verwaltung. Dabei legen wir unsere Schwerpunkte auf die Bereiche Gesundheitswirtschaft / Medizin, die maritime Schifffahrt und die erneuerbaren Energien. Denn hier haben wir bereits Wettbewerbsvorteile entwickelt, die wir konsequent ausbauen wollen, damit wir dauerhaft die Nase vorn haben. Diese Leuchtturm-Bereiche wirken sich zugleich auf die KI-Entwicklung und Nutzung in allen anderen Lebens- und Arbeitsbereichen aus. Denn wir zeigen hier, was mit KI alles gehen kann. Dazu gehört auch die mit KI mögliche Automatisierung und Algorithmisierung von Prozessen, die wir für die Verwaltung nutzen. KI kann uns beispielsweise helfen, Antragsgenehmigungsverfahren für Windkraftanlagen zu beschleunigen, indem Fehler in Unterlagen schneller erkannt und behoben werden. Das ist nur ein Beispiel. Wir können unsere Verwaltung für Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen 24/7 erreichbar machen.
TK: Die Landesregierung hat kürzlich Eckpunkte für eine Landesdatenstrategie beschlossen. Welche konkreten Handlungspläne beinhalten diese für den Gesundheitsbereich?
Schrödter: Wir wollen in allen Bereichen, so auch im Gesundheitssektor zu einer besseren Nutzung von Daten kommen. Im Rahmen einer Datennutzungsinitiative durchforsten wir Gesetze und untergesetzliche Vorgaben nach Datennutzungshemmnissen. Als erstes Beispiel werden wir das Landeskrankenhausgesetz dahingehend ändern, dass Gesundheitsdaten besser für Forschungszwecke verwendet werden können. Dies haben wir als Landesregierung konstruktiv mit dem Universitätskrankenhaus und der unabhängigen Landesbeauftragen für Datenschutz vereinbart. Weiter geht es darum, gemeinsame Datenstandards und Datenräume zu schaffen. Solche Dateninfrastrukturen, die für die medizinische Forschung von enormer Bedeutung sind, entwickeln wir beispielsweise mit Projekten an der Universität zu Lübeck und dem UKSH. Mit unserem open data Portal haben wir für das gesamte Land eine weitere sehr gute Grundlage für die gemeinsame Datennutzung geschaffen. In den Verwaltungen wollen wir die Datenkompetenz der Mitarbeitenden stärken und eine Kultur des Datenteilens und Datennutzens etablieren. Uns leitet der Gedanke, Datenschutz und Datennutz ausgewogen auszutarieren. Auch das hilft im Ergebnis dem Gesundheitssektor. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir Datennutzbeauftragte in den Verwaltungen ernennen. Wir denken Daten neu und anders als bisher.
Wir wollen in allen Bereichen, so auch im Gesundheitssektor zu einer besseren Nutzung von Daten kommen. Uns leitet der Gedanke, Datenschutz und Datennutz ausgewogen auszutarieren.
TK: Außerdem hat sich die Landesregierung vorgenommen, ein Zielbild für die Gesundheitsversorgung 2030 zu entwickeln. Welche Rolle sollte dabei das Thema Digitalisierung spielen und welche Erwartungen hat das Land dabei an die Player in der Gesundheitsversorgung?
Schrödter: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht nur von der öffentlichen Verwaltung, dass durchgängig digitale und einfach zugängliche Prozesse angeboten werden. Ich denke, dass dieselben Anforderungen zur elektronischen Erledigung auch für administrative Prozesse im Gesundheitsbereich gelten: direkter elektronischer Kontakt, Möglichkeit der Einreichung elektronischer Unterlagen, elektronische Nachweise aus der Gesundheitsversorgung, One-Stop-Health oder auch eine elektronische Terminanfrage und -vereinbarung sind universelle Anforderungen einer zunehmend digitalen Gesellschaft. Bestes Beispiel ist die elektronische Patientenakte, die endlich flächendeckend ausgerollt werden muss oder das elektronische Rezept. Daneben ist der konsequente Ausbau qualitativ hochwertiger telemedizinischer digitaler Angebote enorm wichtig. Den müssen wir vorantreiben. Das reicht von Fernüberwachungen von Vitalwerten mittels smarter Technologien über die Online-Sprechstunde bis hin zu Therapiebegleitungen und Abklärung von Krankheitsbildern. Wir müssen die Potenziale der Digitalität für eine weitere Verbesserung der Gesundheitsversorgung nutzen.
TK: Sie sprechen sich für eine konsequente Nutzung medizinischer Daten für die Entwicklung neuer Therapien und gegen einen überbordenden Datenschutz aus. Zum Teil gibt es aber bundes- und landesrechtliche Regelungen, die derzeit eine kluge Balance zwischen Datennutzung und Datenschutz verhindern. Was muss sich ändern?
Schrödter: Um eines klar zu sagen: Datensicherheit und Datenschutz sind wichtig. Sie schaffen auch Vertrauen. Ich bin aber nicht sicher, ob wir wirklich immer eine kluge Balance zwischen Schutzinteressen und Nutzungsinteressen haben. Wenn ich sehe, dass unser Landeskrankenhausgesetz mit vorhandenen Daten, die für die medizinische Forschung genutzt werden könnten, strenger umgeht, als beispielsweise es in Hessen der Fall ist, ist klar, dass wir etwas tun müssen. Denn eines ist doch klar: Wir brauchen Forschung mit Patientendaten. Nur so lassen sich neue Behandlungsmöglichkeiten und Therapien entwickeln, mit denen wir das Leben vieler Tausend Menschen verbessern können. Deshalb ist mein Motto: Was in Dänemark und Estland funktioniert, muss auch in Schleswig-Holstein funktionieren. Bei unserer Rechtsanwendung müssen wir nicht strenger sein als andere Staaten mit einem identischen EU-Rechtsrahmen. Gleichzeitig gilt es, unseren Rahmen natürlich EU-rechtskonform dort anzupassen, wo wir tatsächlich strenger sind als andere. Die konsequente Nutzung der Digitalität im Gesundheitssektor, wie ich sie beschrieben habe, wird nur gelingen, wenn wir Möglichmacher und keine Verhinderer sind. Ich stehe auf der Seite der Möglichmacher.
Die konsequente Nutzung der Digitalität im Gesundheitssektor, wie ich sie beschrieben habe, wird nur gelingen, wenn wir Möglichmacher und keine Verhinderer sind.
TK: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie bestimmt die Digitalisierung Ihren Alltag?
Schrödter: Digitalisierung bestimmt schon lange meinen Alltag. Bereits am Morgen empfange ich erste Pushnachrichten auf meinem Smartphone. Tagsüber kommuniziere ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per elektronischer Akte oder in einer Videokonferenz und abends navigiere ich sicher und zielgenau per Navigation zu meinen Abendterminen, bei denen wir gemeinsam mit unserem großartigen Netzwerk in Schleswig-Holstein die Digitalisierung voranbringen. Und ganz analog wird in der Familie über Mediennutzungszeiten am Computer oder Smartphone diskutiert.