"Wenn wir es nicht machen, machen es andere"
Interview aus Schleswig-Holstein
Künstliche Intelligenz und Co. haben ein großes Potenzial im Bereich der Medizin. Doch wie stehen wir aktuell in Sachen Digitalisierung eigentlich da? Antworten liefert Prof. Dr. Stefan Fischer, Vizepräsident der Universität Lübeck für Transfer und Digitalisierung.
TK: Welche Chancen bieten Künstliche Intelligenz (KI), Big Data und Co. für das Gesundheitswesen, die Patientinnen und Patienten und für das Land Schleswig-Holstein?
Prof. Dr. Stefan Fischer: Betrachtet man die Frage zunächst einmal aus wirtschaftlicher Sicht, muss man schon fast sagen, dass die Nutzung von KI im Gesundheitswesen keine Chance mehr ist, sondern die Nichtnutzung ein absolutes Risiko. Medizin, Medizintechnik und allgemein das Gesundheitswesen gelten zu Recht als eines der ganz großen Anwendungsgebiete der Künstlichen Intelligenz. Man kann davon ausgehen, dass KI einen Großteil der Produkte und Dienstleistungen in diesem Sektor verbessern wird. Das heißt, die Umsetzung wird also kommen - und wenn wir es nicht machen, machen es andere auf dem Weltmarkt.
Man kann davon ausgehen, dass KI einen Großteil der Produkte und Dienstleistungen in diesem Sektor verbessern wird. Das heißt, die Umsetzung wird also kommen - und wenn wir es nicht machen, machen es andere auf dem Weltmarkt.
Gleichzeitig ist das eine zentrale Branche für unser Bundesland und den ganzen Norden, sodass das Wohlergehen der Branche stark davon abhängt und damit ein beträchtlicher Teil des Wohlstands unserer Region. Die Patientinnen und Patienten können sich auf eine deutlich bessere Dienstleistungsqualität freuen. Es wird keineswegs so sein, dass man es nur noch mit Maschinen als Ärztinnen und Ärzten bzw. Pflegerinnen und Pflegern zu tun hat, sondern vielmehr werden die Maschinen die lästige Routinearbeit übernehmen, und das Personal hat wieder viel mehr Zeit für die schwierigen Fälle und den Kontakt zu den Patientinnen und Patienten.
TK: Wie stehen wir in Deutschland beim Einsatz von KI in der Medizin da? Sind uns andere Länder (z. B. Skandinavien oder auch China) etwas voraus?
Prof. Fischer: Wissenschaftlich muss sich Deutschland mit seinen KI-Ergebnissen bspw. in der Algorithmik vor den anderen Ländern nicht verstecken, und auch Start-Ups und Patente gibt es viele. Es gibt aber meines Erachtens zwei große Probleme: erstens die Zulassungsproblematik von KI-basierten und damit lernenden medizintechnischen Geräten und zweitens der Datenschutz. Mit Ersterem haben alle Staaten zu kämpfen, sodass sich hier nur ein Hindernis, aber keine Wettbewerbsproblematik ergibt. Die Datenschutz-Grundverordnung erschwert die Nutzung von Patientendaten ganz erheblich, was in manchen Fällen völlig sachgerecht ist, in der Forschung aber zumindest in der aktuellen Interpretation vieles einfach unmöglich macht, sodass Europa, aber insbesondere Deutschland mit seiner gefühlt strengsten Interpretation ganz erhebliche Wettbewerbsnachteile hat. Gerade für Forschungsdaten gibt es aber durch die Annäherung der beiden Seiten endlich doch Licht am Ende des Tunnels.
TK: Was kann die Politik in Schleswig-Holstein, aber auch Player in der Versorgung wie die Krankenkassen, die Kliniken oder die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte tun, damit Innovationen schneller in der konkreten Versorgung ankommen?
Prof. Fischer: Für diese Frage bin ich sicherlich nicht ganz der richtige Ansprechpartner, da kann ich auch nur "von außen" und als Laie und Betroffener antworten. Ärztinnen und Ärzte sind sicher nicht das Problem, hier besteht meiner Erfahrung nach eine große Offenheit und Bereitschaft zur Einführung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Viele Klinikverwaltungen dagegen bewachen eher eifersüchtig ihren Datenbestand und wollen keine großen Risiken durch eine Freigabe eingehen. Es müssen also Anreize geschaffen werden, vielleicht aber auch gesetzliche Verpflichtungen mit Deadlines, wenn es nicht anders geht.
Es müssen also Anreize geschaffen werden, vielleicht aber auch gesetzliche Verpflichtungen mit Deadlines, wenn es nicht anders geht.
TK: Stichwort Datenschutz und Datengewinnung: Die Forschung, aber auch die Krankenkassen, benötigen Gesundheitsdaten, um technische Innovationen und neue Ansätze im Versorgungsmanagement voranzubringen. Wie kann eine gute Balance zwischen Datensicherheit und Datennutzung gelingen?
Prof. Fischer: Wir müssen Ansätze finden, wie man elektronisch erfasste, gespeicherte und übertragene Daten so absichert, dass nur Berechtigte Zugriff haben und dass diese Berechtigten damit dann effizient und trotzdem so mit den Daten arbeiten können, dass keine Rückschlüsse auf die Person möglich ist. Dann sehe ich kein Hindernis für die Nutzung der Daten vor allen in der Forschung und Entwicklung. Eine sichere Speicherung und Zurverfügungstellung wird zurzeit im europäischen Cloud-Ansatz Gaia-X untersucht, der zwar heftig kritisiert und auch schon fast totgesagt wird, der aber doch gerade für diese Fragestellungen technisch sehr gute Lösungen bietet. Die Anonymisierung von Patientendaten wird aktuell in umfangreichen Forschungsprojekten wie etwa dem gerade bewilligten AnoMed (BMBF) untersucht und mit großen Schritten weiterentwickelt.
TK: Wagen wir abschließend einen Blick in die Glaskugel: Wie wird KI, Big Data und Co. die Gesundheitsversorgung in zehn Jahren verändert haben?
Prof. Fischer: Ich gehe davon aus, dass die heute noch als sehr problematisch empfundenen Themen Datenschutz und -sicherheit sowie Privatheit stark an Relevanz verlieren, weil es Methoden geben wird, diese Werte zu schützen und trotzdem Daten zu verwenden. Gleichzeitig werden in den kommenden Jahren viele KI-Plattformen mit unterschiedlichen Dienstleistungsangeboten entstehen, die die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen stark vereinfachen werden. Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass wir schon bald wieder Ärztinnen und Ärzte treffen werden, die wieder mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben, während im Hintergrund die KI Symptome, Bild- und Messdaten analysiert, um den Behandelnden eine Entscheidungsunterstützung zu bieten. In der Pflege werden Roboter bspw. das Bettenmachen lernen oder das Zusammenstellen der "Pillendosen" mit der Medikation für die einzelnen Patientinnen und Patienten - sie übernehmen Routinearbeiten, und damit wäre schon sehr viel gewonnen.