Es braucht Konzepte, wie KI hilfreich integriert werden kann
Interview aus Schleswig-Holstein
Die Potenziale von KI in der Gesundheitsversorgung sind enorm. Doch welche Voraussetzungen braucht es, damit KI einen Mehrwert für alle schaffen kann? Antworten liefert Prof. Dr. Kai Wehkamp, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin I des UKSH, Campus Kiel.
TK: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) sind enorm. Welche Rolle wird KI zukünftig in der Diagnostik und Therapie einnehmen?
Prof. Dr. Kai Wehkamp: Die Stärke von KI-Anwendungen liegt vor allem darin, große Datenmengen zu verarbeiten und hieraus - je nach Fragestellung - Ergebnisse abzuleiten. Ein Beispiel hierfür ist die Erkennung von krebsverdächtigen Rundherden in CT-Bildern. Solche Anwendungen finden sich bereits in der Patientenversorgung und sie kommen der ärztlichen Urteilskraft nah. Meistens können diese KI-Systeme aber bislang nur einheitliche Datenarten nutzen, also zum Beispiel nur CT-Bilder.
Wir hoffen, dass KI in Zukunft noch besser dazu in der Lage sein wird verschiedene Informationen zusammen zu bringen. Denn durch stetig wachsendes medizinisches Wissen und damit auch immer mehr medizinische Möglichkeiten wird es für den Menschen immer schwieriger, den Überblick zu behalten und hieraus die besten Entscheidungen abzuleiten.
Denn durch stetig wachsendes medizinisches Wissen und damit auch medizinische Möglichkeiten, wird es für den Menschen immer schwieriger, den Überblick zu behalten und hieraus die besten Entscheidungen abzuleiten.
Die Vision ist, dass einfache Daten wie Laborbefunde und Vitalparameter zukünftig mit komplexeren Daten wie Behandlungsbriefen, komplexen Gen- und Proteindaten, histologischen oder anderen Bild-Daten sowie den medizinischen Wissensdatenbanken verknüpft werden können. Soweit sind wir zwar noch nicht, aber es geht schrittweise voran.
TK: Kritische Stimmen sagen, dass KI auch fehleranfällig sei oder bestimmte Personengruppen diskriminieren könne. Wie gelingt ein erfolgreiches Zusammenspiel von Technik und Ethik in der Medizin?
Prof. Wehkamp: KI basiert auf Daten, die ein Abbild der realen Welt liefern sollen. Diese Daten werden vorbereitet, durch den KI-Algorithmus interpretiert und dann auf reale Patientinnen und Patienten angewandt. Auf jeder Stufe kann es theoretisch zu Verzerrungen und Risiken kommen. Wenn beispielsweise Ungleichheiten in der realen Welt nicht berücksichtigt werden, können diese zu einem blinden Fleck in der Anwendung führen und hierdurch kann es zu Diskriminierung oder anderen Patientenschäden kommen. Die KI-Technik muss also verantwortungsvoll und wissenschaftsbasiert eingesetzt werden. Um eine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der KI-Anwendungen zu unterstützen, versucht man heutzutage die Systeme mit sogenannter "Explainable AI" zu entwickeln, d.h. die KI ergänzt ihr Ergebnis um eine Erklärung der zugrundeliegenden inhaltlichen Argumente.
Im Zusammenhang mit KI-Anwendungen gibt es auch teils die Sorge, dass der Einsatz zu einer Entmenschlichung und Übertechnisierung der Interaktion zwischen Patientinnen bzw. Patienten und Medizin führen. Es ist deswegen wichtig, die Einführung solcher Systeme so zu gestalten, dass sie auch in der Routineversorgung dem Wesen guter Medizin gerecht werden - das hängt sehr von der jeweiligen Anwendung ab und sollte schon vor der Zulassung reflektiert und ggf. in Implementierungsstudien untersucht werden.
TK: Welche Voraussetzungen braucht es, damit KI in der Gesundheitsversorgung Mehrwerte schaffen kann und Anwendungen sich in der Versorgung durchsetzen?
Prof. Wehkamp: Auf der einen Seite haben wir technische Voraussetzungen. Hier steht an erster Stelle die Datenqualität, die die Realität der Lebenswelt repräsentativ abbilden soll und Algorithmen, die hieraus valide Ableitungen errechnen müssen, die wiederum an die Urteilskraft menschlicher Expertinnen und Experten heranreichen.
Auf der anderen Seite müssen Konzepte gefunden werden, wie die Anwendungen hilfreich in die Versorgungsprozesse integriert werden können. Im Ergebnis geht es dann gar nicht primär darum, dass die KI-Systeme besser als der Mensch sind, sondern dass Versorgungshürden gesenkt werden - beispielsweise in Regionen, in denen eine hohe ärztliche Fachexpertise oder andere Personalressourcen nicht überall gewährleistet werden können oder in Bereichen, in denen konventionelle Diagnostik sehr zeitintensiv und somit teuer ist.
TK: Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) soll erstmalig ein auf KI beruhendes System zur Früherkennung von Komplikationen und Krankheiten implementiert werden. Was erhoffen Sie sich von dem Projekt? Und wie ist der aktuelle Projektstand?
Prof. Wehkamp: Im UKSH liegen fast alle Behandlungsdaten in digitaler Form vor. Im Kern unseres Projektes geht es darum, diese vorhandenen Daten, also z. B. Laborparameter, Blutdruck, Medikation und die Verlaufsnotizen der Medizinerinnen und Mediziner zu nutzen, um diese kontinuierlich auf Muster für individuelle Risiken zu überprüfen. Das System wird nicht unsere Ärztinnen und Ärzte ersetzen, sondern diese dabei unterstützen, den Überblick zu behalten und zum Beispiel auf ein erhöhtes Risiko für eine drohende Blutvergiftung, ein Nierenversagen oder ein Sturzereignis hinweisen. Die Medizinerinnen und Mediziner können dieses Risiko dann bewerten und entscheiden, ob sie ggf. präventive Maßnahmen einleiten. Wenn uns dies gelingt, dann wird sich dadurch eine Verbesserung der Patientensicherheit bzw. eine Reduktion typischer Komplikationen ergeben.
Wenn uns dies gelingt, dann wird sich dadurch eine Verbesserung der Patientensicherheit bzw. eine Reduktion typischer Komplikationen ergeben.
Als UKSH ist es uns wichtig, dass diese KI verantwortungsvoll und zum Nutzen der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten eingesetzt wird. Dazu gehört auch eine wissenschaftliche Begleitung, die genau diese Fragen untersucht, in den nächsten Monaten rechnen wir mit ersten Ergebnissen, die Vorarbeiten sind bereits abgeschlossen. Das eigentliche Medizinprodukt, MAIA (Tiplu GmbH) wird technisch gesehen unabhängig hiervon entwickelt und voraussichtlich im Rahmen eines Pilotprojektes in 2023 bei uns eingeführt. Im besten Fall kann die Anwendung dann schnell in allen stationären Bereichen des UKSH eingesetzt werden.
TK: Werden angehende Medizinerinnen und Mediziner heute schon in ihrem Studium ausreichend auf den Umgang mit digitaler Unterstützung und KI in der Medizin vorbereitet? Was muss sich gegebenenfalls ändern?
Prof. Wehkamp: Angehende Medizinerinnen und Mediziner sind wie die ganze junge Generation sehr affin für digitale Techniken. Im Studium vermitteln wir bereits grundsätzliche Einblicke, vor allem für Anwendungen, die bereits im Einsatz sind. Die Universitäten in Kiel und Lübeck bauen die Lehre hier aber aktuell noch weiter aus. Insbesondere für den Bereich künstliche Intelligenz und digitale Behandlungsunterstützung wurden mit Unterstützung des Landes KI-Professuren in verschiedenen Bereichen geschaffen, die das Thema stark vertreten werden und auch Impulse für künftige Innovationen setzen können. Ich denke, wir haben eine besondere Verantwortung dafür, dass digitale Techniken unsere Ansprüche an medizinische, technische, ökonomische und ethische Maßstäbe erfüllen - die Kompetenz hierfür muss schon in Studium und Ausbildung vermittelt werden und dann das Selbstverständnis der medizinischen Professionen während des gesamten Berufslebens begleiten.