TK: Können Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen und andere Erwachsene Kindern helfen, sich in der digitalen Medienwelt zurechtzufinden? Oder ist es inzwischen eher andersherum?

Jochen Fasco: Das kommt darauf an, welchen Aspekt von Medienkompetenz man betrachtet. 

Nicht wenige meinen, dass es ausreicht, Geräte zu bedienen, und dann findet man sich schon zurecht in dieser komplizierten Medienwelt. Kinder und Jugendliche nehmen oftmals die Rolle der sogenannten "early adopters" ein. Sie sind diejenigen, die die neuen Produkte und Dienste als Erste neugierig, unbefangen und meist auch sorglos nutzen und ausprobieren. So erwerben sie schnell eine hohe technische Bedienkompetenz. Da haben sie ohne Frage in der Regel mehr Wissen als durchschnittliche Erwachsene.

Wichtig ist auch das Wissen um die digitale Welt, das aktive Nutzen und vor allem: der skeptische und kritische Umgang.
Jochen Fasco

Technische Kompetenz ist allerdings nur eine Facette von Medienkompetenz. Wichtig ist auch das Wissen um die digitale Welt, das aktive Nutzen und vor allem: der skeptische und kritische Umgang. Kinder und Jugendliche sind entwicklungspsychologisch oft noch nicht in der Lage, neue Endgeräte, Dienste, Apps und Ähnliches kritisch und reflektiert auf mögliche Probleme hin zu durchschauen.

Die Aufgabe für Eltern, pädagogische Fachkräfte, die TLM oder welche Erwachsenen auch immer besteht darin, den jungen Menschen dieses kritische Bewusstsein zu vermitteln. So wird die Bedienkompetenz um eine tatsächliche Medienkompetenz im aufklärerischen Sinne erweitert. Das hat weniger mit den technischen Medien zu tun, sondern viel mehr mit dem Verständnis und dem Zurechtfinden in einer immer komplexer werdenden Welt.

Auch wenn uns die technische Entwicklung hier ein wenig voraus ist, sind z. B. wir Landesmedienanstalten aufgrund unserer Expertise immer schneller in der Lage, Probleme zu erfassen, zu beschreiben und für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten. So können wir insbesondere bei den jüngsten Mediennutzenden und den "late adopters" dazu beitragen, dass sie bestimmte Medienwelten nicht unvorbereitet betreten. Die Generationen lernen hier also voneinander.

Ich erinnere mich an das Projekt Zeitreise, das wir in Jena angeboten hatten. Eine ganze Reihe von Großeltern erkundete mit ihren Enkelkindern die Medienwelt. Die ältere Generation zeigte den Kids, was die Mediengeräte ihrer Jugend waren und die Kinder waren sehr stolz, den Älteren zu zeigen, wie z. B. Handys funktionieren und was man damit machen kann.

Jochen Fasco

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Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt


TK: Was bedeutet Medienkompetenz heute im Gegensatz zur Zeit vor dem flächendeckenden Nutzen von Onlinemedien? 

Fasco: Sie ist eine Alltagskompetenz genauso wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Medienkompetenz hat, wie ich eben bereits kurz dargestellt habe, vier Dimensionen: Medienwissen, Medienkritik, Mediengestaltung und Medientechnik. Das ist schon eine Breite, die vermittelt und geschult werden muss. Die Medienanstalten, also auch die TLM, decken mit ihren Angeboten gern alle vier Dimensionen ab. Aber am allerwichtigsten ist uns, gerade in diesen Zeiten, die Medienkritik.

Medienkompetenz ist zudem zu einem Thema geworden, das uns alle angeht. Denn Internet, Online-Games, Metaversum umgeben den Großteil der Menschen unserer Gesellschaft ständig, zum Teil zusätzlich zu den klassischen Medien: Zeitung, Radio und Fernsehen. 

Es geht heute viel mehr um Schutz als noch vor ein paar Jahren. Fake News und Verschwörungstheorien ließen sich in Zeitung, Radio und Fernsehen nicht so leicht verbreiten. Da ging es eher darum, dass die Nutzenden auch wissen, wie diese Medien funktionieren, wie sie finanziert werden und woran man guten Journalismus erkennt.

TK: Ist Medienkompetenz ein Kriterium für gesundheitsförderliches Leben?

Fasco: Ich denke schon. Die Digitalisierung ist längst im Alltag angekommen. Heute informieren sich viele im Netz. Es gibt riesige digitale Bibliotheken. Man kann Filme sehen und Podcasts hören. Wer nicht gut zu Fuß ist, bestellt per Mausklick. Das Online-Banking erspart lästige Wege und die Video-Telefonie ist eine tolle Sache. Wir können mit anderen wunderbar in Verbindung bleiben. Und die Gesellschaft wird insgesamt älter. Ja, die Digitalisierung fordert heraus, aber sie bietet auch unendlich viele Chancen für ein weniger einsames, ein gesünderes und für uns alle gelingendes Zusammenleben.

Ja, die Digitalisierung fordert heraus, aber sie bietet auch unendlich viele Chancen für ein weniger einsames, ein gesünderes und für uns alle gelingendes Zusammenleben.
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Ganz wichtig sind dabei beispielsweise Seiten, die uns Gesundheitsbewusstsein vermitteln. Wenn uns Ratsuchenden Geräte oder Medizin angepriesen werden oder uns ggf. selbsternannte Experten Ratschläge geben wollen, dann sind die gesunde Skepsis gefragt und das Handwerkszeug, wie man Qualitätsmedien erkennt. Ich finde, der alte lateinische Spruch "Cui bono?" hilft da schon gut weiter. Er meint "Wem nützt das?" oder "Wer hat einen Vorteil davon?". Wenn wir uns das beantworten können, sind wir schon ein gutes Stück weitergekommen.

Dazu kommen die Aspekte rund um das richtige Maß der Mediennutzung und was übermäßiger Medienkonsum besonders bei Kindern und Jugendlichen auslösen kann. Die jüngste Vergangenheit war dafür ja leider ein besonders gutes Beispiel. Medienkompetenz heißt auch "Wann wird es zu viel?" oder "Wie sehr ist die digitale Welt mein Leben?". Spätestens dann wird sie gesundheitsrelevant.

TK: Die Thüringer Landesmedienanstalt bietet zahlreiche Unterstützungsformen bei der Medienbildung für Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern und andere Interessierte. Auf welche Herausforderungen treffen Sie dabei besonders?

Fasco: Allgemein glaube ich wirklich, die große Aufgabe der Vermittlung von Medienkompetenz ist, in die Fläche zu gehen. Es ist essenziell, nicht nur irgendwelche Leuchttürme anzuzünden und sich daran zu erfreuen, sondern es wirklich zu schaffen, dass diese Themen Menschen aller Generationen erreichen und dass die Digitalisierung kompetent und selbstverständlich im Alltag genutzt wird.

Nicht nur irgendwelche Leuchttürme anzuzünden und sich daran zu erfreuen, sondern es wirklich zu schaffen, dass diese Themen Menschen aller Generationen erreichen und dass die Digitalisierung kompetent und selbstverständlich im Alltag genutzt wird.
Jochen Fasco

Dafür braucht es aber Ressourcen, es braucht fachkundiges Personal und Medientechnik. 

Wir unterbreiten als TLM verschiedenste Angebote für Jung und Alt, realisieren Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen der unterschiedlichsten Einrichtungen, schulen Eltern und Großeltern und hoffen dabei immer wieder, dass diese dann auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dieser Themen werden. Wir gehen z. B. in Kindertagesstätten und Schulen und bieten Programmierkurse an. Und - nur um deutlich zu machen, wie groß die Spannbreite unserer Arbeit ist - wir bieten auch vielfältige Aktionen zur Medienbildung für die ältere Generation an, z. B. am Standort Gera unseres Thüringer Medienbildungszentrums der TLM.

Es geht uns vor allem auch darum, Netzwerkarbeit zu machen und das Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu stärken. Am Ende ist die Arbeit der Medienbildung, die gemacht werden muss, enorm wichtig. Und da machen alle Beteiligten, vielfach Hand in Hand hier in Thüringen, glaube ich, einen guten Schnitt.

Zur Person

Jochen Fasco ist seit 2007 Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) und Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) sowie seit 2020 stellvertretender KJM-Vorsitzender. Außerdem war er von 2008 bis 2020 stellvertretender Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), von 2014 bis 2020 koordinierte er den DLM/ZAK-Fachausschuss "Medienkompetenz, Nutzer- und Jugendschutz, lokale Vielfalt", seit 2021 ist er Beauftragter für Medienkompetenz der Landesmedienanstalten.