Alles, was on top zum Studium kommt, ist eine Mehrbelastung
Interview aus Sachsen
Laut aktuellem TK-Gesundheitsreport 2023 hat sich der allgemeine Gesundheitszustand im Vergleich zur Vorgängerbefragung "TK-Campus-Kompass (2015)" deutlich verschlechtert. Hochschulen sind gefragt, das Thema Studierendengesundheit stärker in den Fokus zu rücken und mit guten Gesundheitsmanagementkonzepten zu punkten. Denn diese zahlen direkt auf das Wohlbefinden der Studierenden und ihren Studienerfolg ein.
Bei der TK mit verantwortlich für das Gesundheitsmanagement der Hochschulen* in Sachsen und Thüringen ist u.a. Anne Herberger.
TK: Was genau kann man sich darunter vorstellen? Was hat sich verändert in den letzten fünf Jahren?
Anne Herberger: Erfreulicherweise geht es in der Zusammenarbeit mit den Hochschulen nicht mehr nur vorrangig um die Gesundheit von Beschäftigten. In den vergangenen Jahren ist die Gesundheit von Studierenden stärker in den Fokus gerückt. Zahlreiche Studienergebnisse haben mit dazu beigetragen, die Notwendigkeit für ein Engagement in dieser Zielgruppe zu verdeutlichen. Gleichzeitig haben Reformen in der Studienstruktur zu tiefgreifenden Veränderungen in der Hochschullandschaft geführt, die sich unmittelbar, vor allem auf die psychosoziale Gesundheit der Studierenden ausgewirkt haben.
Die Techniker Krankenkasse engagiert sich nun bereits seit fast zwei Jahrzehnten speziell in der Lebenswelt Hochschule und begleitet Projekte, um gesundheitsförderliche Strukturen zu etablieren.
Die Zusammenarbeit mit den Hochschulen ist in Sachsen und Thüringen ist sehr vielfältig und orientiert sich am Bedarf der Hochschule. Das heißt, wir unterstützen Hochschulen, bei der Umsetzung von Einzelmaßnahmen, und wir finden Kooperationen, die den ganzheitlichen Ansatz verfolgen, die neben der Gesundheit jedes Einzelnen auch den Fokus auf die Arbeits- und Studienverhältnisse legen.
Wir sehen ein besonderes Potential, in die Gesundheitsförderung der Studierenden zu investieren. Studierende sind Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, potenzielle Führungskräfte sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im späteren Berufsleben. Positive Erfahrungen mit Gesundheitsförderung können von ihnen später in das Berufsleben und andere gesellschaftliche Bereiche hineingetragen werden.
TK: Welche Angebote gibt es für Studierende?
Herberger: Grundsätzlich richten sich Maßnahmen am Bedarf der Hochschulen und Studierenden aus. Womit wir direkt Studierende unterstützen können, sind Maßnahmen, die die Ressourcen der Studierenden stärken. Wir beobachten aktuell einen starken Bedarf beim Thema mentale Gesundheit. Angebote wie zum Beispiel Konfliktmanagement, Selbstmanagement und Selbstorganisation, gesunde und effiziente Prüfungsvorbereitung - wie zum Beispiel die TK-MentalStrategien - können Studierende unterstützen, die Anforderungen des Studiums zu meistern.
Darüber hinaus können wir auch mit bewegten Pausen im Hörsaal unterstützten, Aktionstage auf dem Campus oder in den Fakultäten gestalten oder mit Blick auf das Studienumfeld Befragungen, Interviews und Kleingruppenworkshops durchführen, um herauszufinden, was genau die Belastungsfaktoren für die Studierenden sind, um darauf aufbauend gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Um die Partizipation der Studierenden in den Projekten zu erhöhen, eignen sich besonders gut Maßnahmen, die den Peer-to-Peer-Ansatz verfolgen. An einer Universität mit einem hohen Anteil international Studierender haben wir beispielsweise aus unterschiedlichen Nationalitäten Studierende als Gesundheitsbotschafter ausgebildet mit dem Ziel Kommunikationsbarrieren abzubauen unter Berücksichtigung von Diversitäts- und interkulturellen Aspekten. Die Studierenden konnten so durch die Gesundheitsbotschafter umfänglich über die bestehenden Angebote informiert und für das Thema Gesundheit sensibilisiert werden.
Aktuell, und das zeigt ja der aktuelle TK-Gesundheitsreport deutlich, geht es vorrangig um Belastungen, die im Studienumfeld liegen. Diese können wir nur bedingt mit Maßnahmen ändern. Wir können aber die Hochschule dabei unterstützen, gesundheitsförderliche Strukturen aufzubauen, indem wir dazu beraten, wie eine Hochschule die konkreten Bedarfe und Belastungen der Studierenden ermittelt, beispielsweise mittels Fokusgruppen oder Befragungen. Das erfordert seitens der Hochschule eine gewisse Veränderungsbereitschaft. Ich erlebe an den Hochschulen sehr engagierte Personen auf Leitungsebene, die sich dem Thema bereits widmen. Allerdings brauchen solche Veränderungsprozesse oftmals seine Zeit.
TK: Wie werden die Angebote angenommen?
Herberger: Wir beobachten ausgebuchte Kurse, wenn wir Angebote mit Creditpoints versehen, welche sich die Studierenden fürs Studium anrechnen lassen können. Das funktioniert allerdings oftmals nur bei Kursen und wissenschaftlich geprüften Angeboten, wie zum Beispiel den TK-MentalStrategien.
Obwohl die Hochschulen uns durch Studentenrat und Fachschaftsräte einen hohen Bedarf an erlebbaren, individuellen Maßnahmen für Studierende melden, die zu einem Thema der Gesundheit sensibilisieren sollen, stellen wir aktuell sehr geringe Teilnehmer-Zahlen fest - verglichen mit der Zeit vor Corona.
Es scheint, wie ein Teufelskreis zu sein: Alles, was on top zum Studium kommt, wird häufig als Mehrbelastung empfunden und wird nicht so gut angenommen.
Der Ansatz muss daher sein, zweigleisig bei der Zielausrichtung der Angebote zu fahren: Angebote für die individuelle Gesundheit der Studierenden sind wichtig für die Erlebbarkeit und Sichtbarkeit eines Studentischen Gesundheitsmanagements Zum anderen müssen Angebote direkt ins Studienumfeld integriert werden und sollten sich gezielt an die Verbesserung der Studienbedingungen richten.
Veränderungsprozesse an Hochschulen dauern und ich kann daher Studierenden nur empfehlen, an Angeboten zur eigenen Kompetenzstärkung teilzunehmen, um zumindest in einem ersten Schritt die eigenen Ressourcen zu stärken.
*Hochschule ist der Oberbegriff für Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs und schließt Universitäten, Hochschulen sowie Fachhochschulen gleichermaßen ein.