Gewaltprävention in der Pflege: Das Modellprojekt PEKo
Artikel aus Schleswig-Holstein
Bisher gibt es erst wenige bis kaum Angebote zur Gewaltprävention in der Pflege. Gewaltereignisse im Kontext Pflege gehören zum Alltag, sind aber ein Tabuthema. Das Projekt PEKo will das ändern.
In einer Erhebung zu Beginn des Projekts PEKo (Partizipative Entwicklung und Evaluation eines multimodalen Konzeptes zur Gewaltprävention) berichteten 60 Prozent der Pflegekräfte, innerhalb der vergangenen zwölf Monate körperliche Gewalt durch Bewohnerinnen oder Bewohner erlebt zu haben. 41 Prozent gaben an, körperliche Gewalt an Pflegebedürftigen beobachtet und 21 Prozent, selbst körperliche Gewalt an Pflegebedürftigen ausgeübt zu haben. Genau hier setzt das Modellprojekt PEKo an: In Zusammenarbeit mit der Universität zu Lübeck, der Hochschule Fulda und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurden Konzepte zur Gewaltprävention - sowohl für Pflegebedürftige als auch für Pflegekräfte - entwickelt und in einem Netzwerk teilnehmender Einrichtungen etabliert und evaluiert.
Eine zentrale Rolle nehmen dabei Multiplikatoren aus der Praxis ein: Sie vernetzen die wissenschaftliche Projektbasis mit den Einrichtungen und halten die Projektschritte im Pflegealltag über die Berufsgruppen hinweg nach. So werden gemeinsam mit allen Beteiligten Interventionen entwickelt, um mehr Handlungssicherheit im Umgang mit schwierigen Situationen zu erlangen und somit Gewaltvorfälle zu vermeiden. Dadurch entstehen passgenaue Konzepte, die nachhaltig in den teilnehmenden Einrichtungen verankert werden.
Unterschiedliche Schwellen kennen und anerkennen
"Die Pflege von älteren, kranken Menschen ist unmittelbar an Kommunikation, menschliche Nähe und auch an Körperkontakt gebunden. Dies birgt per se ein erhöhtes Risiko, dass es zu Handlungen oder verbalen Äußerungen kommt, die das Gegenüber als eine Verletzung und damit als Ausübung von Gewalt empfinden kann", betont Prof. Dr. Katrin Balzer, Leiterin der Sektion Forschung und Lehre in der Pflege an der Universität zu Lübeck. Die Schwellen hierfür könnten individuell unterschiedlich sein, jedoch gebe es unabhängig davon Normen und Werte, allgemein und im Pflegeberuf, die uns dazu verpflichten, Gewalt zu vermeiden. Dies bedeutet unter anderem auch, die individuell unterschiedlichen Schwellen, z. B. für die Akzeptanz von Art und Umfang körperlicher Nähe oder von bestimmten verbalen Äußerungen, zu kennen und anzuerkennen.
Während des Projektzeitraumes von April 2018 bis August 2021 wurden verschiedene Maßnahmen durchgeführt. Häufig konzentrierten sich diese im ersten Schritt darauf, in den Pflegeteams erst einmal offen über dieses Thema zu sprechen, sich vor Augen zu halten, was alles für die Pflegenden selbst oder die Bewohnerinnen und Bewohner oder deren Angehörigen Gewalt bedeuten kann und wie diese Situationen künftig vermieden werden können. Diese Sensibilisierung - und damit Überwindung möglicher Tabus - erwies sich als ein wichtiger Schritt und führte dann oft zu weiteren Schritten, wie z. B. Schulungen zur gewaltfreien Kommunikation und Deeskalation oder zur Erarbeitung einer neuen, gemeinsam geteilten Mission gegen Gewalt. Auf dem gesamten Weg der Veränderungen wurden die einrichtungsinternen PEKo-Teams von den Studienteams in Lübeck, Fulda, Köln und Halle begleitet.
Neues Handbuch soll als Werkzeugkasten dienen
Das PEKo-Projekt ist bereits abgeschlossen, nicht aber das Thema Gewaltprävention in der Pflege. Diese wird auch mit Ende des Projektes in den Einrichtungen weiter gefördert. Auf Basis des Projektes wurde ein Handbuch entwickelt, welches interessierten Einrichtungen zur Verfügung gestellt wird. Dieses dient als niedrigschwelliges Angebot vor Ort und soll die Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt in der Pflege fördern und das Gewaltvorkommen weiter reduzieren.
Gesunde Strukturen schaffen
Damit der Pflegeberuf auch in Zukunft ausgeübt werden kann, ist eine stabile Gesundheit von großer Bedeutung. Dazu müssen die Rahmenbedingungen in diesem Berufsfeld so verändert werden, dass auch die Gesundheit der Pflegekräfte gefördert wird. Die TK unterstützt Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser dabei, gesundheitsfördernde Maßnahmen und Strukturen im Betrieb zu schaffen - für Mitarbeitende für Patientinnen und Patienten sowie für Pflegebedürftige. Mit dem Förderantrag Starke Pflege der TK können Projekte zum Gesundheitsmanagement initiiert und langfristig aufgebaut werden.
Berichte aus der Praxis
"Wir haben uns für das Projekt entschieden, da Gewalterfahrungen in der Altenpflege für viele Menschen sowohl für Pflegebedürftige, Pflegende und Angehörige zum Alltag gehören. Ziel unsererseits war es, mit dem Thema offen umzugehen, Strategien und Interventionen zu entwickeln, um der Gewalt entgegen zu wirken." AWO Seniorenzentrum Stadtweide
"In der Pflege, gerade auch in unserer Einrichtung ist Gewalt oft ein Thema. Täglich sind wir mit angespannten, teilweise gewalttätigen Bewohner:innen/Situationen beschäftigt. Mir war wichtig, eine offene Kultur zu entwickeln. um dieses Thema aus der Tabuzone zu holen." Seniorenzentrum Travelblick
"PEKo ist auf jeden Fall ein Anfang, grundlegend Kommunikation zu diesem wichtigen Thema gemeinsam in Gang zu setzten, denn wechselseitige Kommunikation ist die Grundvoraussetzung, um Gewaltsituationen in Einrichtungen Einhalt gebieten zu können. Zudem werden unsere Werte und Haltungen bezüglich unseres professionellen Umgangs mit den uns anvertrauten Menschen erneut ins Bewusstsein gerufen." AWO Pflegewohnen "Am Wasserturm"