"Wir stehen vor großen Herausforderungen"
Interview aus Schleswig-Holstein
Eine der größten politischen Baustellen ist es, die pflegerische Versorgung der Menschen zukunftssicher aufzustellen. Welche konkreten Maßnahmen das Land hierfür plant, haben wir Aminata Touré, Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein, im Interview gefragt.
TK: Sehr geehrte Frau Ministerin, wo sehen Sie aktuell die größten Probleme in der Pflege in Schleswig-Holstein und wie gehen Sie diese an?
Ministerin Aminata Touré: Wir stehen vor großen Herausforderungen im Pflegebereich. Unsere Gesellschaft altert, damit wächst die Zahl der zu Pflegenden und auch der Bedarf an Pflegekräften.
Deshalb ist die Fachkräftegewinnung ein Kernthema in unserem Koalitionsvertrag. Wir wollen mit dem "Pakt für die Gesundheits- und Pflegeberufe" die Bedingungen im Bereich Ausbildung und Studium weiter verbessern sowie die Kapazitäten an den bestehenden und prognostizierten Bedarf anpassen. Dazu gehört auch, möglichst viele Menschen für den Beruf zu begeistern und ihnen den Zugang zu erleichtern.
Außerdem stehen viele Pflegeeinrichtungen vor der Herausforderung, dass sie von den gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten sowie den Tarifsteigerungen stark finanziell belastet sind. Dadurch werden teilweise auch Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mit extremen Kostensteigerungen konfrontiert. Der Bund muss hier dringend Abhilfe leisten, damit diese Kosten nicht auf die Bewohnerinnen und Bewohner abgewälzt werden. In Schleswig-Holstein unterstützen wir Pflegebedürftige, die nicht über ausreichend Einkommen und Vermögen verfügen, um einen Platz in einer Pflegeeinrichtung zu finanzieren, ganz konkret mit dem Pflegewohngeld.
TK: Mit welchen Maßnahmen möchten Sie die pflegerische Versorgung insbesondere in den strukturschwachen Regionen unseres Landes nachhaltig sichern?
Touré: Wir wollen die wohnortnahe Pflege- und Beratungsinfrastruktur stärken, damit Pflegebedürftige länger im eigenen bisherigen Umfeld leben und gepflegt werden können. Gerade in ländlich geprägten Regionen leisten Angehörige einen bedeutsamen Beitrag zur Unterstützung und Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Sie wollen wir durch passgenaue Entlastungsangebote unterstützen.
Dazu fördern wir zum Beispiel die Schaffung solitärer Kurzzeitpflegeplätze. Insgesamt stehen zehn Millionen Euro im Land zur Verfügung. Damit wollen wir die flächendeckende pflegerische Versorgung weiter verbessern und Angehörige entlasten. Im Kreis Nordfriesland wurde in diesem Jahr zum ersten Mal eine solche solitäre Einrichtung über das Programm gefördert und sie hat vor kurzem eröffnet. Das ist großartig. Um dem weiterhin hohen Bedarf gerecht zu werden, rufe ich auch weitere interessierte Einrichtungen auf, sich über das Programm zu informieren und die Förderung in Anspruch zu nehmen.
TK: Die Bundesregierung hat kürzlich das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) verabschiedet. Ist das der erwartete große Wurf, der so dringend gebraucht wird?
Touré: Die Pflegereform auf Bundesebene war längst überfällig! Leider beinhaltet die Reform nicht das, was wir als Land für die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen als konkrete Verbesserungsvorschläge eingebracht hatten. Knackpunkt ist die Finanzierung der notwendigen Reformschritte, die durch den Bund sichergestellt werden muss. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf durch den Bundesgesundheitsminister.
TK: Das PUEG ist ein bundesweites Gesetz. Was kann das Land Schleswig-Holstein darüber hinaus tun, um eine spürbare Entlastung für Pflegekräfte, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige zu schaffen und welche Rolle kann dabei die Digitalisierung spielen?
Touré: In Schleswig-Holstein haben wir verschiedene Maßnahmen, um Pflegekräfte, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige zu entlasten. Einige habe ich bereits erwähnt. So entlasten wir zum Beispiel Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in Schleswig-Holstein durch das Pflegewohngeld finanziell.
Für Pflegekräfte wollen wir daran arbeiten, Arbeitsbedingungen zu verbessern, flexible Wege in die Pflegeberufe zu ermöglichen und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu beschleunigen.
Und auch die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung sehen wir in Schleswig-Holstein als Chance für die Pflege - gerade im ländlichen Raum. Wir sind hier im Bereich der Pflege bereits auf einem guten Weg und wollen uns auch in Zukunft konstruktiv damit befassen und Digitalisierungsmaßnahmen unterstützen. Der Einsatz digitaler Systeme kann zum Beispiel dabei helfen, die Pflegenden bei Routinetätigkeiten und Dokumentationspflichten zu entlasten und so Prozesse zu vereinfachen. Pflegekräfte können sich dann ihrer Arbeit im direkten Kontakt mit pflegebedürftigen Menschen widmen, hier sind sie nämlich unersetzlich.
Und auch die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung sehen wir in Schleswig-Holstein als Chance für die Pflege - gerade im ländlichen Raum.
TK: Um die Attraktivität des Pflegeberufes zu steigern und Pflegende langfristig gesund im Beruf zu halten, engagieren wir uns mit Projekten zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in Pflegeheimen und Kliniken. Wie lassen sich die Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende noch verbessern?
Touré: Pflegekräfte müssen angemessen bezahlt werden. Das haben sie in den vergangenen Jahren zu Recht gefordert und der Bund hat geliefert. Eine angemessene Bezahlung erhöht mittelfristig auch die Qualität in der Pflege, steigert die Attraktivität des Berufes und hilft, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Zusätzlich brauchen wir aber natürlich auch mehr Fachkräfte im System, um dem Personalmangel zu begegnen und jetzige Pflegekräfte zu entlasten. Dazu müssen sich z.B. Arbeitsbedingungen verbessern und Möglichkeiten geschaffen werden, dass Menschen den Einstieg oder Widereinstieg in diesen Beruf finden. Ein Punkt ist hier die vereinfachte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Daran arbeiten auch wir als Landesregierung aktuell.
Daneben müssen wir als Gesellschaft Pflegekräften und pflegenden Angehörigen endlich den Respekt und die Anerkennung entgegenbringen, die sie verdient haben. Vor allem müssen wir als Politik zeigen, dass wir die Bedeutung der Pflege verstehen und hier wirklich etwas verbessern wollen. Nur dann werden Menschen Lust darauf haben, diesen Beruf zu erlernen und lange auszuüben.