Über die Pflege von Menschen mit Demenz
Interview aus Schleswig-Holstein
Im Jahr 2022 zählt Schleswig-Holstein über 68.000 Menschen mit Demenz. Hinter dieser Zahl steht eine noch größere Anzahl an pflegenden Angehörigen, die tagtäglich ihr Bestes geben. Was das für die Menschen im Alltag bedeutet, berichten uns Frau Silke Steinke und Frau Anne Brandt vom Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein.
TK: Frau Steinke, was bedeutet die Pflege von Menschen mit Demenz für den Alltag der pflegenden Angehörigen?
Es ist ein sich immer wieder verändernder Prozess des sich Anpassens.
Silke Steinke: Es gibt keine einheitliche Antwort auf diese Frage: Jeder Verlauf, jede Beziehungsdynamik und jeder Mensch ist anders und somit ist jede Begleitsituation mit individuellen Herausforderungen verbunden. In Gesprächen hören wir oft, wie sich mit fortschreitenden Symptomen die Rollen innerhalb der Familie verschieben. Dieses Umschalten in neue Rollen kann als äußerst schwierig empfunden werden.
Angehörige müssen sich in neue Rollen einfinden, sei es als Ehepartnerin und Ehepartner oder in einer anderen Funktion. In diesen übernehmen sie Aufgabe der Betreuung, Begleitung und Pflege. Sie müssen sich um Dinge kümmern, die der Mensch mit Demenz zuvor alleine bewältigt hat. Anfangs können das Aufgaben wie Bankgeschäfte oder Begleitungen zu Arztbesuchen sein. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können dann komplexere Pflegeaufgaben und schwierige Entscheidungen, beispielsweise bezüglich des Wohnumfelds, hinzukommen kommen. Plötzlich besteht ein Bedarf an Unterstützung, der in die persönliche Lebenssituation integriert werden muss.
TK: Frau Brandt, welche Situationen sind für die Angehörigen vor allem herausfordernd oder belastend?
Anne Brandt: Die Erfahrungen von Angehörigen sind äußerst individuell und hängen von vorhandenen Ressourcen wie einem unterstützenden Netzwerk oder der eigenen Gesundheit ab. Wiederholende Fragen im Tagesverlauf oder die Ablehnung von Hilfe, obwohl sie dringend gebraucht wird, können besonders herausfordernd sein. Schlafmangel aufgrund nächtlicher Unruhe der Person mit Demenz belastet ebenfalls stark. Alltägliche Situationen werden schwierig, wenn die Person mit Demenz sich nicht mehr selbst beruhigen kann und Sicherheit von Angehörigen benötigt. Die zeitliche Beanspruchung und die Sorge um die Person mit Demenz stellen eine enorme Herausforderung dar. Wenn es dann zu Verhaltensänderungen wie Wut, Unruhe oder Angst kommt, verschärft sich die Situation erheblich. Kommunikationsprobleme, wie zum Beispiel Schwierigkeiten beim Sprechen oder dem Verständnis von Sprache, führen dann häufig zu Missverständnissen und Frustration.
Trotz all dieser Herausforderungen gibt es selbstverständlich ebenso die positiven Momente im Zusammenleben mit Menschen mit Demenz.
Es ist jedoch wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, welche enormen Leistungen pflegende und betreuende An- und Zugehörige täglich erbringen.
TK: Im Film "Vergiss Dich nicht" richten Sie den Blick besonders auf die Gefühle von pflegenden Angehörigen. Mit welchen Gefühlen sind pflegenden Angehörige häufig konfrontiert?
Brandt: Es können eine Fülle von unterschiedlichen Gefühlen auftreten. Alle diese Gefühle, egal ob angenehm oder herausfordernd, haben ihre Berechtigung. Besonders in schwierigen Situationen, wie zum Beispiel beim Begleiten einer Person mit fortgeschrittener Demenz, können viele verschiedene Emotionen auftauchen. In herausfordernden Situationen sind Gefühle von zum Beispiel Trauer, Verlust, Erschöpfung und Wut keine Seltenheit. Es ist völlig normal, dass pflegende Angehörige in einer Art Krise stecken. Diese Gefühle sind nicht falsch oder unangemessen - im Gegenteil, sie sind völlig berechtigt. Viele Menschen, die ihre An- oder Zugehörigen pflegen, sehen sich mit diesen intensiven Emotionen konfrontiert.
Es ist auch wichtig zu verstehen, dass der Umgang mit diesen Gefühlen kein einfacher Prozess ist und Zeit braucht. Es ist eine Reise, die Zeit und Geduld erfordert. In diesem Prozess ist es erlaubt und sogar notwendig, sich Unterstützung zu holen. Eine individuelle Beratung und die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe können dabei helfen, Wege zu finden, um mit diesen Emotionen umzugehen und dabei die eigene Balance und Zufriedenheit immer wieder zu erlangen. Dies kann ein wichtiger Schritt sein auf dem Weg zu einem besseren Verständnis für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz.
TK: Welche Hilfen bieten Sie an, um pflegende Angehörige zu entlasten?
Silke Steinke: Wir sind ein Selbsthilfeverein, der die Interessen von Menschen mit Demenz und der pflegenden und betreuenden Angehörigen vertritt. Wir sind landesweit unterwegs und mit unserem größten Projekt, dem Kompetenzzentrum Demenz, eher übergeordnet tätig. Das heißt, wir unterstützen beim Aufbau von Angeboten, begleiten lokale Netzwerke und machen Fortbildungen für Fachkräfte und ehrenamtlich Tätige und treiben die Öffentlichkeitsarbeit voran.
Die konkrete Arbeit, wie beispielsweise Betreuungs- und Aktivitätsgruppen für Menschen mit Demenz, Selbsthilfegruppen für begleitende An- und Zugehörige, den Einsatz von ehrenamtlich Helfenden vor Ort und die konkrete Beratung bieten die regionalen Alzheimer Gesellschaften an. Diese - und natürlich auch anderer Trägerschaften - bieten vielerorts ein umfangreiches Angebot von Informationsgelegenheiten rund um das Thema Demenz an. Ansprechbar sind immer auch die Pflegestützpunkte und die Pflegeberaterinnen und -berater der privaten und gesetzlichen Krankenkassen. Die Erfahrung zeigt, dass der Austausch mit gleichbetroffenen Personen guttut, deswegen ermutigen wir die Menschen immer, sich nach Angeboten in erreichbarer Nähe umzuschauen und gegebenenfalls auch die Initiative zu ergreifen, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Einen Überblick zu möglichen Angeboten bietet der Demenzwegweiser-SH.