Zur Sache: Organspende in Hamburg
Interview aus Hamburg
Seit 2017 muss jedes Krankenhaus in Hamburg einen Organtransplantationsbeauftragten bestellen, so sieht es das Hamburgische Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (HmbAGTPG) vor.
Im Interview erklärt Dr. Gerold Söffker, Transplantationsbeauftragter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wie es um die Organspende in Hamburg und Deutschland steht und welche Schritte erforderlich sind, um die Bereitschaft zur Spende zu steigern.
TK: In den vergangenen Jahren wurden auf Bundesebene zwei Gesetze verabschiedet, um den Organspendeprozess zu verbessern und die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Zeigen die Gesetze Wirkung? Was hat sich seither getan?
Dr. Gerold Söffker: Durch die Gesetzesinitiativen war das Thema Organspende und Transplantation medial sehr präsent und die Aufmerksamkeit hat dem Thema genutzt. Wir sind alle aufgerufen, eine persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen und diese zu dokumentieren. Die Entscheidung kann uns keiner abnehmen.
Das "Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" (GZSO) aus dem Jahr 2019 hat sich insbesondere positiv auf überfällige Strukturverbesserungen sowie auf die Finanzierung einer erfolgreichen Organspende im Krankenhaus ausgewirkt. Es wurde zum Beispiel geregelt, dass Transplantationsbeauftragte freigestellt und finanziert werden können. Die Freistellung wurde noch nicht in allen Krankenhäusern vollumfänglich umgesetzt, dennoch ist der Anfang gemacht. Das UKE hat Stand heute insgesamt vier Transplantationsbeauftragte benannt. Die praktische Umsetzung des neurologischen/neurochirurgischen konsiliarärztlichen Rufbereitschaftsdienstes für Kliniken ohne Möglichkeit beziehungsweise Expertise zur "Hirntod-Diagnostik" ist noch ausstehend. Hiervon wird sich eine Verbesserung gerade für "kleine" Krankenhäuser zum Beispiel ohne Neurologie/Neurochirurgie erhofft.
Das "Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft zur Organspende" (GSEO) aus dem Jahr 2020 hat zu einer verbesserten Informationsmöglichkeit der Bevölkerung durch Hausärzte als persönliche und vertraute Ansprechpartner geführt. Bei dem zweiten Baustein, dem Online-Organspenderegister, gibt es allerdings vielfältige Probleme und Widerstände - die Umsetzung und vor allem der Zusatznutzen ist hierbei für mich noch offen. Das Online-Register ist die moderne Dokumentationsform, wird aber dadurch nicht zu mehr dokumentierten Willensäußerungen führen.
TK: Wie haben sich die Organspendezahlen in Hamburg seitdem entwickelt? Sind Sie zufrieden?
Dr. Söffker: Seit dem Jahr 2020 hat sich bundesweit leider ein weiterer Rückgang der Organspenden gezeigt. Diese Entwicklung ist natürlich aus Sicht der hierzulande circa 8.500 Menschen auf der Warteliste buchstäblich lebensbedrohend. Damit sollte keiner zufrieden sein, auch wenn es einen persönlich hoffentlich nie selbst betrifft. Die in Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) positive Grundeinstellung der Bevölkerung zur Organspende lässt sich mit einer realen publizierten Ablehnungsquote von 50 Prozent und mehr im Falle eines vermuteten oder festgestellten "Hirntodes" (irreversibler Hirnfunktionsausfall) aus meiner Sicht nur schwer miteinander in Einklang bringen. Das zeigt, dass die positive Grundhaltung in der Bevölkerung vermutlich oftmals- aus vielen unterschiedlichen Gründen - geringer ist.
Auch in Hamburg gab es nach vorläufigen Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) einen Rückgang der absoluten Organspenden. Gab es im Jahr 2020 noch 48 Organspenderinnen- und Spender in Hamburg, waren es 2021 nur noch 37. Im vergangenen Jahr 2022 ist die Zahl noch einmal weiter auf 28 gesunken. Das UKE hat 2022 trotz den Widrigkeiten in der Pandemie, dem Personalmangel und der Bettensperrung in der Intensivmedizin seine durchschnittliche Spenderzahl von 12 Spenden aufrechterhalten können und ist damit auf Rang 5 der deutschen Universitätskliniken.
Der beste Weg, die Organspendebereitschaft zu erhöhen, ist und bleibt die transparente öffentliche Information und eine offene gesellschaftliche Diskussion zur Organspende und Transplantation.
TK: Als Transplantationsbeauftragter sprechen Sie mit Betroffenen und Angehörigen über mögliche Organspenden. Welche Erfahrungen haben Sie damit gesammelt? Warum sollte sich jeder mit dem Thema Organspende auseinandersetzen?
Dr. Söffker: Im Falle einer schweren Hirnschädigung mit infauster (aussichtloser) Prognose ist es aufgrund der vermehrten Aufklärung und öffentlichen Diskussionen in den vergangenen Jahren für beide Seiten oftmals leichter geworden, über eine Organspendemöglichkeit zu sprechen. Das Erkunden des vorrangigen Patienten-Willens bleibt dennoch weiterhin schwierig, wenn keine Willensäußerungen der Patientin oder des Patienten zur Organspende bekannt sind. Eine stabile und notwendige Zustimmung kann man dann oftmals nicht ableiten.
Sterben und der leibliche Tod sind für jeden unvermeidlich und die Auseinandersetzung damit gehört zum Leben. Das Thema Organspende im "Hirntod" (irreversibler Hirnfunktionsausfall als Todeskriterium) ist eher noch ein unangenehmes Randthema. Die typischen Erkrankungen, die hierzu führen könnten, wie zum Beispiel Schlaganfall, Hirnblutung, Schädelhirntrauma, Hirnhautentzündung oder Wiederbelebungsversuche, machen aber deutlich, dass es jeden treffen könnte. Auch eine Situation, in der man für das Leben plötzlich selbst eine Organspende benötigen könnte, ist schnell möglich. Beide Situationen benötigen eine persönliche Haltung im Sinne von Ja oder Nein - keine Haltung nützt niemandem.
TK: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich die vor drei Jahren vom Bundestag abgelehnte Widerspruchslösung wieder ins Gespräch gebracht. Aber auch andere Vorschläge, wie die Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand, werden in Expertenkreisen diskutiert. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Organspendebereitschaft zu steigern?
Dr. Söffker: Aus meiner Sicht wird die Widerspruchslösung nicht die Organspendebereitschaft steigern, aber sie würde die nach BZgA-Umfragen positive Organspendebereitschaft als positives gesellschaftliches Statement reflektieren und auch die Dokumentation einer persönlichen Ablehnung bliebe weiterhin uneingeschränkt möglich.
Der permanente Herz-Kreislauf-Stillstand als weiteres Todeskriterium mit nachfolgender Spendemöglichkeit (DCD) ist in vielen Ländern eine Option. Hierbei geht es, aus meiner Sicht, primär um die Möglichkeit, einen vorhandenen Organspendewunsch am Lebensende bei ebenso medizinisch infauster (aussichtsloser) Prognose umzusetzen (bei zumeist ebenso akut schwer hirngeschädigten Patientinnen und Patienten). Zudem geht es darum, den Wunsch der Patientin oder des Patienten des Sterbens unter bereits eingeleiteten intensivmedizinischen Maßnahmen zuzulassen und die Möglichkeit das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umzusetzen. Bisherige vorwiegend neurologische Expertendiskussionen haben den permanenten Herz-Kreislauf-Stillstand in Deutschland aber nicht als sicheres Todeszeichen anerkannt. Eine erneute Evaluation ist bisher ausstehend.
Der beste Weg, die Organspendebereitschaft zu erhöhen, ist und bleibt die transparente öffentliche Information und eine offene gesellschaftliche Diskussion zur Organspende und Transplantation.