"Eine bundesweite Krankenhausreform ist überfällig"
Interview aus Bremen
Wie kann die stationäre Versorgung in Bremen auf sichere Beine gestellt werden? Wie lösen wir den Pflegenotstand? Und wie steht es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen? Antworten hierzu und auf weitere gesundheitspolitische Fragen liefert Andreas Bovenschulte, Spitzenkandidat der SPD in Bremen.
TK: Die Pandemie hat die Gesundheitspolitik ins Zentrum des Interesses schnellen lassen, nun sind im letzten Jahr weitere Krisen in anderen Politikbereichen hinzugekommen, die die Menschen bewegen. Welchen Stellenwert hat die Gesundheitspolitik in Ihrem Wahlprogramm für die nächste Legislaturperiode?
Andreas Bovenschulte: Die Gesundheitspolitik hat für die SPD einen hohen Stellenwert. Nicht zuletzt durch die Pandemie wurde besonders deutlich, welch hohen Wert eine starke Daseinsvorsorge für den sozialen Frieden und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat und das öffentliche Gesundheitswesen hat.
Der SPD liegen die gesundheitliche Versorgung und die Vorsorge im Land Bremen am Herzen und ist durch den Staat unabhängig vom ökonomischen Status, vom Geschlecht oder der Herkunft der Menschen sicherzustellen.
Die Pandemie hat auch gezeigt, wozu wir in unseren beiden Städten in der Lage sind. Gemeinsam mit den Hilfsorganisationen und der heimischen Wirtschaft haben wir eine vorbildliche Impfkampagne auf die Beine gestellt, um die uns viele beneidet haben. Auch deshalb sind wir verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen.
Gemeinsam mit den Hilfsorganisationen und der heimischen Wirtschaft haben wir eine vorbildliche Impfkampagne auf die Beine gestellt, um die uns viele beneidet haben. Auch deshalb sind wir verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen.
Die Pandemie hat uns aber auch vor Augen geführt, wo wir uns in Zukunft noch stärker engagieren müssen: Wir brauchen in der Pflege und in den Krankenhäusern in der Zukunft mehr qualifiziertes Personal. In Bremen beginnen etwa 600 bis 700 junge Menschen jedes Jahr ihre Ausbildung - aber ein Viertel bricht die Ausbildung ab, ein weiteres Viertel hängt den Beruf nach fünf Jahren an den Nagel, die Hälfte arbeitet nur Teilzeit. Das alles zeigt: Es ist richtig, wenn wir uns dafür stark machen, dass der Beruf wieder attraktiver wird.
TK: Das Thema stationäre Versorgung und die damit zusammenhängende Krankenhausreform sind zurzeit ein viel diskutiertes Thema im Land. Wie stellen Sie sicher, dass Bremen und Bremerhaven im stationären Bereich gut und bedarfsgerecht aufgestellt sind?
Bovenschulte: Eine bundesweite Krankenhausreform ist überfällig. Dabei müssen die Qualität der Gesundheitsversorgung und regionale Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Gesellschaft immer älter wird, dass der Trend zu ambulanten Behandlungen dank des medizinischen Fortschritts zunimmt, dass der Personalmangel sich weiter verschärft und dass die Krankenhäuser unter einem hohen ökonomischen Druck stehen.
Experten halten es für zwingend notwendig, dass sich die Kliniken in Bremen trägerübergreifend auf Schwerpunkte verständigen und Doppelstrukturen vermeiden. Das spart nicht nur Geld, das sichert auch eine qualitativ hochwertige Behandlung auf höchstem Niveau. Das Gesundheitsressort und die Kliniken haben sich bereits auf den Weg gemacht, sich auf eine solche Schwerpunktbildung zu verständigen.
Die ersten inhaltlichen Punkte der Krankenhausreform sind jetzt bekannt und es wird unsere Aufgabe sein, mit den anderen Bundesländern die Reform so zu gestalten, dass sie tatsächlich zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Bundesland Bremen führt.
TK: Eine kleinräumige Planung allein bringt noch keine Ärztinnen und Ärzte nach Bremen. Was sind Ihre Ansätze für die zukünftige Gestaltung der ambulanten Versorgung? Und wie kann die Versorgung noch besser sektorenübergreifend gedacht werden?
Bovenschulte: Ein Ansatz der SPD ist die Schaffung kommunaler Gesundheitszentren in unterversorgten Stadtteilen. Dort könnten neben Ärztinnen und Ärzten auch weitere Fachleute arbeiten, beispielsweise Pflegekräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Ärztinnen und Ärzten hätten dann mehr Zeit für die medizinische Versorgung und - auch das gehört zu einem attraktiven Berufsbild dazu - planbare Dienste und damit mehr Familienzeit.
Die sektorenübergreifende Versorgung wird schon lange diskutiert. Eine echte integrierte Notfallversorgung im gesamten Bundesland wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Mit einer integrierten Leitstelle, die schnell und kompetent entscheidet: Handelt es sich wirklich um einen Notfall? Und wohin muss der Patient oder die Patientin zur weiteren Behandlung gesteuert werden? Daran anschließen müssen sich Integrierte Notfallzentren an Krankenhäusern, denn den Patientinnen und Patienten ist es egal, ob der ambulante vertragsärztliche Bereitschaftsdienst, die Ambulanz in der Klinik oder die Notaufnahme sie behandelt - sie legen nur Wert auf kompetente und schnelle Hilfe.
TK: Was tun Sie, um zu verhindern, dass Fachkräfte aus Pflegeberufen aussteigen und um zu erreichen, dass sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden - sowohl in der Krankenpflege als auch in der stationären und ambulanten Langzeitpflege?
Bovenschulte: Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, werden wir uns auf Bundesebene für eine umfassende Tarifbindung in der Pflegebranche einsetzen. Der erste Schritt zur Tarifbindung in der stationären und ambulanten Altenpflege ist getan, hier muss es weiter gehen. Und wir werden mehr Ausbildungsplätze schaffen - sowohl für Pflegefachkräfte als auch für Pflegeassistenzen. Zudem brauchen wir mehr Pflegepädagoginnen und -pädagogen. Zusammen mit den Pflegeschulen werden wir Projekte erproben, um Ausbildungsabbrüche zu verringern. Wir müssen diejenigen, die sich für diese interessante und anspruchsvolle Tätigkeit entschieden haben, bestmöglich begleiten.
Grundsätzlich muss der Pflegeberuf deutlich attraktiver werden. Sowohl durch mehr Pflegepersonal als auch durch eine andere Aufgabenverteilung.
TK: Ein weiteres Thema, das in der Gesundheitspolitik bewegt, ist die Digitalisierung. Digitale Angebote in der Versorgung werden von immer mehr Menschen nachgefragt. Was kann das Land im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens tun und was möchten Sie bewegen?
Bovenschulte: Die Versicherten erwarten von uns zu recht, dass es mehr digitale Angebote in der Versorgung gibt. Die Bremer SPD unterstützt ausdrücklich die digitale Transformation im Gesundheitswesen. Bremen soll zu einer Modellregion für digitale Gesundheitswirtschaft werden. Wir haben bereits hervorragend ausgebildete Fachkräfte und eine sehr gute Forschungsinfrastruktur. Wir wollen Innovationspartnerschaften aus Wissenschaft, Industrie und Gesundheitsdienstleistern stärker forcieren und den Transfer zwischen der Forschung und der Entwicklung von Schlüsseltechnologien - Stichwort Künstliche Intelligenz, Gesundheitsrobotik, Telemedizin, Telenursing und E-Health - beschleunigen. Wichtig ist: Wir dürfen nicht auf "die eine" große Lösung warten, sondern wir müssen auch kleine Schritte gehen, die die gesundheitliche Versorgung oder den Zugang zu ihr verbessern. Genauso machen es ja auch die Krankenkassen bereits.
Bremen soll zu einer Modellregion für digitale Gesundheitswirtschaft werden. Wir haben bereits hervorragend ausgebildete Fachkräfte und eine sehr gute Forschungsinfrastruktur.
TK: Woran erkennen wir am Ende der neuen Legislatur die erfolgreiche Handschrift der SPD in der Gesundheitspolitik im Land Bremen?
Bovenschulte: In Bremen und Bremerhaven wird es am Ende der neuen Legislaturperiode eine bessere gesundheitliche Versorgung in den Quartieren geben - vor allem in denen, die bislang nicht so gut versorgt sind. Mindestens zwei kommunale Gesundheitszentren eröffnen Perspektiven für junge Ärztinnen und Ärzte und bieten eine qualitativ hochwertige Versorgung.
Unsere Krankenhäuser haben sich trägerübergreifend auf eine bedarfsgerechte, wirtschaftlich tragfähige und qualitativ hochwertige Standortplanung verständigt. Der kommunale Klinikverbund wird hierbei eine zentrale Rolle einnehmen. Es sind mehr junge Menschen in Ausbildungs- und Studiengängen des Gesundheitswesens denn je - und sie bleiben in den Berufen, die unter anderem durch Tarifbindung und Bündelung von Leistungen sowie die Übertragung bislang ärztlicher Tätigkeiten attraktiver geworden sind. Bremen und Bremerhaven haben aus der Pandemie gelernt und sind für künftige Pandemien gewappnet. Hitzeschutzmaßnahmen werden kontinuierlich umgesetzt und die Prävention führt zu einer besseren Gesundheit von Menschen von jung bis alt.