"Mobbing darf gar nicht erst passieren"
Interview aus Schleswig-Holstein
Im Interview spricht der Polizist und Anti-Gewalttrainer Ulrik Damitz aus Flensburg über seine Erfahrungen und Maßnahmen gegen Mobbing.
Auf den ersten Blick ist Mobbing nicht unbedingt ein klassisches Polizeithema - jedenfalls abseits der strafrechtlichen Sicht. Ulrik Damitz engagiert sich seit Jahren im Bereich Gewaltprävention - weit über seine Arbeit als Polizist hinaus. Seine ersten Erfahrungen im Bereich der Prävention hat er allerdings im polizeilichen Kontext gemacht. Jahrelang hat er als Stationsleiter in einem Brennpunktstadtteil in Flensburg gearbeitet und dort festgestellt: Der polizeiliche Part - nämlich das Anzeigen schreiben und mit Druck auf die Kinder und Jugendlichen einzuwirken - zeige nur wenig Erfolg. Hier habe sich laut Damitz bis heute viel getan und auch die Polizei habe sich mit präventiven Angeboten für Schülerinnen und Schüler sehr entwickelt. Im Interview spricht der Polizist aus Flensburg und zertifizierter Deeskalationstrainer über seine Erfahrungen in den Schulen, die strafrechtlichen Konsequenzen bei Mobbing-Fällen und was er konkret macht, um Mobbing bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen.
TK: Wo sehen Sie Ihre Rolle als Polizist beim Thema Mobbing?
Ulrik Damitz: Da ich bei mir in Flensburg und im Umland gut vernetzt bin, werde ich meistens von den Schulen direkt angesprochen. Lehrerinnen und Lehrer wollen erfahren, ob es sich um ein strafrelevantes Verhalten handelt, welche Maßnahmen sie ergreifen dürfen und ob die Polizei tatsächlich in Mobbingfällen kommt. Und ja: Es kommt ein Streifenwagen, wenn der Verdacht einer Straftat besteht. Der Fall wird dann vor Ort strafrechtlich bewertet. Das ist schon ein Schuss vor den Bug für die Täterinnen und Täter und deshalb ein wichtiger Schritt - doch wer glaubt, dass Mobbing durch rein repressive Maßnahmen in den Griff zu bekommen ist, vergisst die wichtigsten Faktoren in Mobbingprozessen: Das System, in dem diese Handlungen stattfinden, als auch den Blick auf die Beteiligten. Rein durch eine strafrechtliche Verfolgung ist eine nachhaltige Verhaltensänderung meist nicht zu erwarten. Das muss ich hier ganz klar sagen.
TK: Wie sehen die strafrechtlichen Konsequenzen beim Mobbing denn genau aus?
Damitz: Da gibt tatsächlich ein relativ breites Spektrum - von Beleidigungen über Verleumdung oder übler Nachrede bis hin zur Bedrohung. Wir bewegen uns hierbei ja im Jugendstrafrecht, welches ab 14 Jahren gilt. Dieses ist grundsätzlich nicht auf Strafe, sondern auf Verhaltensänderung ausgelegt. Das bedeutet, dass Täter:innen in Anwesenheit der Eltern von der Polizei vernommen werden, es folgen erzieherische Gespräche. Was ich immer empfehle, ist die Möglichkeit eines Täter:innen-Opfer-Ausgleichs. Dieser kann von unterschiedlichen Stellen initiiert werden. Idealerweise von dem System, in dem die Handlungen stattgefunden haben, hier in der Regel die Schule. Das bedeutet, dass Akteur:innen und Betroffene zusammengeführt werden mit dem Ziel der Verantwortungsübernahme und einer gemeinsam vereinbarten Wiedergutmachung. Im besten Fall hört es danach auf und das Verfahren wird in der Regel eingestellt. Je nach Intensität der Straftat können dem/der Täter:in Auflagen erteilt werden wie beispielsweise gemeinnützige Arbeit. Das sollte auf jeden Fall etwas Sinnvolles sein. Das schlimmste, was ich erlebt habe, ist, dass ein Täter eine Woche lang den Schulhof fegen musste. Alle haben sich totgelacht und der Täter auch. Er konnte sich so noch mehr inszenieren. Das ist natürlich der falsche Weg.
TK: Wie hat sich das Thema Mobbing mit Blick auf Ihre persönlichen Erfahrungen im Beruf verändert?
Damitz: Es gibt Stand heute noch keinen Beleg dafür, dass sich Corona, Homeschooling und Co. auf die Fallzahlen auswirken. Doch ich kann persönlich für mich feststellen: Im letzten Jahr haben mich deutlich mehr Schulen zu dem Thema kontaktiert. Und ich glaube, dass dies auch nicht nur mein persönlicher Eindruck ist. Natürlich gab es schon vor Corona eine neue Form von Mobbing - nämlich Cybermobbing. Ich halte es in diesem Fall aber für falsch, dies gesondert zu betrachten. Cybermobbing ist ein Teil von Mobbing und Mobbing ist Gewalt. Und Gewaltprävention und Intervention kann nur im gesamten Kontext bearbeitet, besser noch, gelebt werden, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
TK: Sie engagieren sich auch weit über Ihre Arbeit als Polizist hinaus gegen Mobbing. Warum und was unternehmen Sie hier konkret?
Damitz: Das stimmt, ich mache sehr viele Angebote im Bereich Gewaltprävention außerhalb der Polizei. Die Polizei kann punktuell unterstützen und im Rahmen des Präventionserlasses tätig werden. Die Initiierung und Implementierung von Präventionskonzepten an Schulen ist allerdings nicht Aufgabe der Polizei.
Ich bin daher schon seit zehn Jahren freiberuflich tätig. Gemeinsam mit meiner Partnerin, die als Schulsozialpädagogin und Lehrtrainerin in der Gewalt Akademie Villigst auch noch mal einen ganz anderen Blick auf das Thema einbringt, gebe ich Seminare, führe Workshops und Coachings durch - sowohl an Schulen als auch an Hochschulen. Hier diskutieren wir Fälle, stecken den rechtlichen Rahmen beim Thema Mobbing ab, geben Tipps für den Schulalltag und vieles mehr. Mein Ziel ist bei all dem ganz klar: Ich will im besten Fall keine Straftaten verfolgen, sondern vor Straftaten bewahren. Das sehe ich besonders im Bereich Mobbing. Ich muss im Vorfeld unglaublich viel investieren und auch kluge Impulse setzen. Wir können die Dinge, die hier bei Kindern und Jugendlichen passieren, nicht als "Feuerwehr" immer wieder löschen. Um bei diesem Bild zu bleiben: Wir müssen dafür sorgen, dass die Brände gar nicht erst entstehen und dafür einen stabilen Brandschutz installieren.
TK: Und was muss passieren, um dieses Ziel zu erreichen?
Damitz: Dafür braucht es viel Zeit, gute Kenntnisse und eine gute Vernetzung. Um auf Gewalt im schulischen Kontext zu reagieren, braucht es nicht punktuell mal eine Themenwoche zu Mobbing. Es muss ganzheitliche, konzeptionell mit viel Zeit und Energie etwas aufbereitet und umgesetzt werden. Mobbing und Gewalt müssen permanent im schulischen Thema sein. Dann kann Prävention auch funktionieren. Dafür ist mir auch besonders die Zusammenarbeit zwischen Schule und regionale Polizeidienststelle wichtig. Sie sollten im engen Kontakt stehen, damit auch keine Hemmschwellen auf Seiten der Lehrer:innen herrschen.
Zur Person
Ulrik Damitz ist Sachgebietsleiter für Prävention und vorbeugende Verbrechungsbekämpfung in der Polizeidirektion Flensburg, zu der auch der Kreis Schleswig-Flensburg und Nordfriesland gehören. Er ist zudem zertifizierter Anti-Gewalttrainer und hat seine Ausbildung an der Gewaltakademie in Nordrheinwestfalen absolviert. An der Hamburger Hochschule hat er zudem sein Studium im Bereich Team- und Konfliktmanagement abgeschlossen und ist zertifizierter Mobbingberater.