TK: Was sind die wesentlichen Inhalte der Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes und welchen Beitrag leisten diese zur Verbesserung der Pflegesituation?

Dr. Gesa Schirrmacher: Ziel der Gesetzesnovellierung ist die Sicherstellung einer guten pflegerischen Versorgung in Niedersachsen. Drei Kernelemente möchte ich hier nennen: 

Zum einen wollen wir die Entlohnungsbedingungen für die Pflegekräfte verbessern. Wir wollen einen Anreiz setzen, dass zukünftig wieder mehr Menschen einen Beruf in der Pflege ergreifen oder zurückkehren. Dazu wollen wir zukünftig die Investitionskostenförderung nur noch bei Sicherstellung einer tarifgerechten Entlohnung der Pflegekräfte gewähren. Diese sogenannte Tariftreueregelung soll die Pflegeeinrichtungen, die ihre Pflegekräfte noch nicht tarifgerecht entlohnen, ermutigen, für eine bessere Bezahlung ihrer Pflegekräfte zu sorgen und diese mit den Kostenträgern zu verhandeln.

Dr. Gesa Schirr­ma­cher

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Leiterin der Abteilung Soziales, Pflege und Arbeitsschutz im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.

Eine zweite wichtige Säule dieser Reform ist die Einrichtung einer unabhängigen “Beschwerdestelle Pflege“, die im Büro der Landespatientenschutzbeauftragten angesiedelt sein soll. Vor allem Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und professionell Pflegende können sich an diese Stelle wenden, um Beschwerden loszuwerden oder um Hilfe zu erhalten. Mit der “Beschwerdestelle Pflege“ wollen wir also die bisher bestehenden Beschwerde- und Hilfestrukturen ergänzen. Unser Ziel ist es, Missstände früher aufzudecken, so dass Fehlentwicklungen auch früher entgegengewirkt werden kann. Wir sehen dies als wichtigen Beitrag für eine qualitativ hochwertige Pflege in Niedersachsen.

Ein dritter wichtiger Baustein ist die Weiterentwicklung der Pflegeberichterstattung. Regionale Daten und Zusammenarbeit vor Ort werden benötigt, um die pflegerische Versorgung zukunftsgerecht und verlässlich gestalten zu können. Wir wollen durch die geplanten Regelungen eine regelmäßige systematische Erfassung des Versorgungsstandes und eine Ermittlung des zukünftigen Bedarfs erreichen.

TK: Wie spielen KAP.Ni und die Novellierung Niedersächsischen Pflegegesetzes zusammen?

Dr. Schirrmacher: Das Ziel der KAP.Ni ist es, mit unseren Partner:innen gemeinsam belastbare Vereinbarungen zu treffen, um die Herausforderungen in der Pflege bei uns in Niedersachsen anzugehen. Im Mittelpunkt stehen die Gewährleistung einer guten Pflege und die Unterstützung der pflegenden Angehörigen.

Die Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes ist ein wichtiger Beitrag des Landes zur KAP.Ni. Insbesondere die Tariftreueregelung sowie das Werkzeug zur Planung und Sicherstellung einer pflegerischen Versorgungsstruktur sind dabei elementar. 

Ein konkretes Beispiel dafür: Wir unterstützen gesundheitsförderliche Strukturen nach § 20b Abs. 1 SGB V, um die gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten der Pflegekräfte zu stärken und langfristig zu erhalten. Durch bereits geschlossene Kooperationsverträge zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern konnten bereits in Zeiten der Covid-19-Pandemie Sofortangebote zur Gesundheitsförderung für Beschäftigte in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen bereitgestellt werden.

Die pflegerische Versorgungsstruktur wollen wir zudem durch viele weitere Maßnahmen verbessern, beispielsweise mit Hilfe des Landespflegeberichts oder mit Modellprojekten sowie durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch die stärkere Einbindung der Kommunen trägt dazu bei.

Wichtig ist mir an dieser Stelle auch, dass das “KAP.Ni-Netzwerk“ stetig weiterarbeitet, um die pflegerische Versorgung qualitativ und quantitativ zu erhalten und konsequent weiterzuentwickeln.

TK: Was wird getan, um die pflegerische Versorgung insbesondere auf dem Land zu verbessern?

Dr. Schirrmacher: Die demografische Entwicklung stellt die Pflege vor besondere Herausforderungen, insbesondere in unserem Flächenland Niedersachsen. Um eine hochwertige pflegerische Versorgung auch in Zukunft gewährleisten zu können, brauchen wir innovative Lösungen. Diese entstehen im Rahmen unserer sehr erfolgreichen Förderprogramme “Wohnen und Pflege im Alter“ und insbesondere “Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum“. Auch im Rahmen der KAP.Ni identifizieren wir Modellprojekte. Vielversprechend sind Projektansätze, die auf eine gesunde, ganzheitliche und mitarbeiterorientierte Pflege ausgerichtet sind. Die Erkenntnisse aus solchen Modellprojekten fließen in die Weiterentwicklung der landesweiten Pflegelandschaft ein.

TK: Digitale Angebote können den Pflegealltag ergänzen und erleichtern. Inwieweit und wofür werden Digitalisierungspotenziale bereits genutzt und welche (finanziellen) Mittel stehen hierfür zur Verfügung?

Dr. Schirrmacher: Digitale Angebote können sowohl für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen als auch für die professionellen Pflegekräfte eine wertvolle Unterstützung sein. Für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ist das Angebot jedoch sehr unübersichtlich und der Nutzen oft im Voraus kaum abzuschätzen. Ich begrüße es deshalb außerordentlich, dass Pflegebedürftige mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) über das SGB XI einen Anspruch auf digitale Beratungsleistungen und Pflegeanwendungen erhalten sollen. Über den geplanten einheitlichen Leistungskatalog kann sichergestellt werden, dass die Pflegeanwendungen erprobt und qualitätsgesichert sind.

Im Alltag der professionellen Pflegekräfte ist die Digitalisierung dagegen schon weit fortgeschritten. Im Fokus stehen dabei die Pflegedokumentation, die Leistungs- und Zeiterfassung und die Einsatzplanung, aber auch die gemeinsame Datennutzung innerhalb des Versorgungssystems. Befördert wird dies durch die zahlreichen Finanzierungsmöglichkeiten, die es auf Landes- und Bundesebene gibt. Aus meinem Bereich ist hier vor allem das bereits erwähnte Förderprogramm zur Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum zu nennen, mit dem das Land Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Rahmenbedingungen in ambulanten Pflegediensten unterstützt. Einer der Schwerpunkte ist die Einführung von technischen und EDV-basierten Systemen. Seit Beginn des Programmes im Jahr 2016 bis zum Ende des Jahres 2019 wurden 371 Digitalisierungsprojekte von 291 Pflegediensten mit einem Volumen von insgesamt rund 12 Millionen Euro gefördert.

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass wir die digitalen Möglichkeiten im Pflege- und Gesundheitswesen zukünftig noch besser nutzen müssen. Auch hier ist das Land sehr schnell tätig geworden. Aus den Mitteln des „Sondervermögens für den Ausbau von Hochleistungsfähigen Datenübertragungsnetzen und für Digitalisierungsmaßnahmen“ wurde im letzten Jahr die Ausstattung von Pflegeheimen mit Tablets mit rund 140.000 Euro gefördert. Die Ko-Finanzierung wurden aus Mitteln der Pflegeversicherung nach § 8 Abs. 8 SGB XI getragen. Insgesamt haben 529 Pflegeheime 878 Tablets erhalten, die für die Durchführung von Videosprechstunden mit Hausärztinnen und Hausärzten oder den Kontakt mit den Angehörigen genutzt werden.

TK: Pflegebedürftigen stehen 125 Euro pro Monat zu, um die Pflegenden zu entlasten. Warum ist es so schwierig, den Entlastungsbetrag von 125 Euro zu nutzen? Warum wird der Entlastungsbetrag nicht freigegeben, so dass auch nicht-zertifizierte Anbieter (zum Beispiel Nachbarn oder Reinigungsunternehmen) niedrigschwellige Betreuung und Haushaltshilfe durchführen können?

Dr. Schirrmacher: Zum einen sind wir natürlich an die bundesrechtlichen Vorgaben gebunden, d. h. wir können den Entlastungsbetrag nicht einfach frei vergeben. Im Rahmen der SGB XI-Reform setzen wir uns jedoch dafür ein, dass die Leistungen, die besonders pflegende Angehörige entlasten, zu einem flexiblen jährlichen Entlastungsbudget zusammengefasst werden.

In Niedersachsen haben wir aktuell über 700 anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag, darunter auch eine steigende Anzahl Reinigungsunternehmen, die wir über eine enge Zusammenarbeit mit der Innung der Gebäudereiniger gewinnen konnten. Leider stehen dennoch nicht an jedem Ort und für jeden Pflegebedürftigen Anbieter in ausreichender Zahl zur Verfügung. Deshalb arbeiten wir an einer Änderung unserer Anerkennungsverordnung. Das ist auch ein verabredeter Beitrag des Landes zur KAP.Ni. Mit entsprechenden Vorgaben sollen dann auch Einzelpersonen und Nachbarschaftshilfe zugelassen werden.

TK: Vielen Dank!
 

Zur Person

Dr. Gesa Schirrmacher ist Juristin, 55 Jahre alt und seit Dezember 2020 Leiterin der Abteilung Soziales, Pflege und Arbeitsschutz im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.

Seit 1999 mit verschiedenen Aufgaben im Niedersächsischen Sozialministerium betraut, u.a. in den Bereichen Schutz von Frauen vor Gewalt, Familienpolitik und Leitung des Büros der Ministerin und des Staatssekretärs. Von 2011 bis 2015 Jahre tätig im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin.