TK: Frau Prell, Sie waren über viele Jahre beruflich im Pflegebereich tätig. Was braucht "gute Pflege" aus Ihrer Sicht?

Andrea Prell: Im besten Fall ist Pflege ein Zusammenspiel aus Angehörigenpflege und professioneller Pflege, denn Angehörige sind DIE Experten für die Biografie, die Vorlieben, Schranken und Charaktereigenschaften ihrer Lieben, während professionelle Pflege viel mehr kann (aber nicht darf!), als die reine grundpflegerische Versorgung (waschen," füttern", mobilisieren).

Gute Pflege sollte nicht erst einsetzen, wenn ein Mensch bereits auf Grundpflege angewiesen ist, sondern sollte, viel mehr als bisher, Krankheit oder Folgeerkrankungen verhindern und sich am tatsächlichen Bedarf ausrichten. Leider spielt die sogenannte "Primärversorgung" bei uns aber bislang gar keine Rolle. Um gute Pflege also umsetzen zu können, müssen Politik und Gesellschaft zunächst verstehen, was gute Pflege überhaupt meint. 

Daher habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die wie ich finde beste Pflegedefinition , die des International Council of Nurses (ICN) populär zu machen: "Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung."

TK: Die Pflege steht, da sind wir uns wahrscheinlich alle einig, vor großen Herausforderungen. Was würden Sie sagen ist am dringendsten und sollte möglichst schnell angepackt werden?

Prell: Es braucht schnell eine große Pflegereform, die vor allem die Deckelung der Kosten für Langzeitpflege unter Einbeziehung von Steuergeldern beinhalten muss. Wir alle wünschen uns zu Geburtstagen vor allem Gesundheit: Wir sollten uns also fragen, was uns unsere Gesundheit denn tatsächlich wert ist?!

Die Pflegeversicherung wurde eingeführt, damit Menschen am Ende ihrer Tage nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, de facto liegt die Durchschnittsrente aber deutlich unterhalb der Zuzahlung für Seniorenheime, die sich mittlerweile im Schnitt um die. 2.800€ (Tendenz steigend) bewegen. Immer mehr SeniorInnen sind daher auf "Hilfen zur Pflege" angewiesen.

Und wenn wir die Pflegereform anfassen, dann wäre es toll, wenn das Leistungsrecht angefasst würde, denn Pflege sollte, wie oben schon gesagt, nicht ausschließlich aus grundpflegerischen Einzelteilen bestehen. Das hilft weder dem Ansehen des Pflegeberufes, noch hilft es den pflegenden Angehörigen ausreichend.

Es braucht schnell eine große Pflegereform, die vor allem die Deckelung der Kosten für Langzeitpflege unter Einbeziehung von Steuergeldern beinhalten mussAndrea Prell, SPD-MdL Niedersachsen

 

Andrea Prell, MdL

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SPD-Abgeordnete im Landtag Niedersachsen

 

TK: In vielen Bereichen des Gesundheitswesens kommt die Forderung nach mehr Digitalisierung. Ist dieser Aspekt bisher in der Pflege noch zu wenig beachtet worden?

Prell: Auf jeden Fall, da ist noch viel Potenzial nach oben!  Digitalisierung muss aber mehr sein als seitenlange Pflegedokumentation- statt auf dem Papier jetzt auf dem Bildschirm. Hauptsächlich muss Digitalisierung mehr Zeit am Menschen generieren und die Sicherheit der zu Pflegenden erhöhen. Ein gutes Beispiel sind smarte Böden. Mit diesen lässt sich z.B. sofort erfassen, wenn PatientInnen/ BewohnerInnen das Bett verlassen haben und möglicherweise orientierungslos umherirren, oder gestürzt sind. Das erhöht die Sicherheit der Bewohnenden und PatientInnen enorm und minimiert unter anderem das Sturzrisiko.

Zur Prophylaxe/ Gesunderhaltung wird Digitalisierung bislang kaum genutzt, aber auch da sehe ich erhebliches Potenzial. Man kann z.B. über einen Sensor den Blutzucker einer Person erfassen, diese Daten würden z.B. dem Pflegedienst übermittelt und der/ die PatientIn könnte rechtzeitig vor einer Über/Unterzuckerung geschützt werden, bevor es gefährlich wird. Systematisch angewandte Digitalisierung kann also die pflegerischen Abläufe zielgerichteter steuern, personelle Ressourcen sparen und die Sicherheit aller erhöhen.

Digitalisierung muss mehr Zeit am Menschen generieren und die Sicherheit der zu Pflegenden erhöhenAndrea Prell, SPD-MdL Niedersachsen

TK: In Niedersachsen kümmert sich die KAP.NI seit einigen Jahren um relevante Pflegethemen. Welche Impulse sollten hier für Niedersachsen für die kommenden Jahre gesetzt und umgesetzt werden?

Prell: Die großen Überschriften der 2. Konzertierten Aktion Pflege in Niedersachsen sind bekanntlich Entbürokratisierung, Digitalisierung und Fachkräftegewinnung. Das ist auch absolut notwendig! Bei der KAP.NI sitzen ExpertInnen aus den verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems an einem Tisch: Daher erwarte ich nicht nur Impulse, sondern konkrete Lösungsansätze. Mit dem Abschluss der ersten KAP.Ni- Runde konnte unter anderem die Tariftreue etabliert werden, die für faire Löhne vor allem im Bereich der Altenpflege gesorgt hat.

Von der KAP.Ni 2.0 erhoffe ich mir vor allem eine Aufwertung der Pflegeberufe, zum Beispiel durch sehr zuverlässige Dienstpläne. Aktuell werden hier bereits verschiedene Arbeitszeitmodelle getestet. 
Impulse für die Fachkräftegewinnung sollten sich auf eine nachhaltige Werbeoffensive, eine gute Durchlässigkeit innerhalb der verschiedenen Qualifikationen und Vereinfachung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse stützen.

TK: Die Sommer-Urlaubszeit neigt sich langsam ihrem Ende entgegen. Wie verbringen Sie am liebsten Ihren Urlaub?

Prell: Es kommt für mich darauf an, mit WEM ich die Zeit verbringe und nicht unbedingt WO. Das kann ein Abend in der Kneipe um die Ecke sein, eine Woche am Wasser oder in den Bergen. Hauptsache, ich habe meine Lieblingsmenschen um mich, das lädt meine Akkus am besten wieder auf. 

Zur Person 

Andrea Prell ist 1975 geboren und hat ihre Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft im Schulzentrum für Krankenpflegeberufe Hannover am Siloah-Krankenhaus (Städtisches Krankenhaus) absolviert. Sie ist seit 2022 als direkt gewählte Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis 22 Alfeld Mitglied des niedersächischen Landtags.