"Fünf Fragen an ..." Staatssekretärin Dr. Christine Arbogast
Interview aus Niedersachsen
Dr. Christine Arbogast ist seit November letzten Jahres Staatssekretärin des niedersächsischen Sozialministeriums. Im Interview spricht sie über den aktuellen Stand von KAP.NI, Baustellen in der Pflege, die Maßnahmen der Landesregierung und welche Rolle Digitalisierung dabei spielt.
TK: Frau Dr. Arbogast, die zweite Phase der KAP.NI steht an. Welche Schwerpunktthemen werden jetzt bearbeitet?
Dr. Christine Arbogast: Wir werden nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen (KAP.NI) unsererseits mit dem Vorschlag für drei Schwerpunkte für die KAP.Ni 2 in die weiteren Gespräche gehen, die nach meiner Auffassung für eine gute pflegerische Versorgung entscheidend sind: Die Gewinnung von Fachkräften, die Unterstützung für pflegende Angehörige sowie die Entbürokratisierung und Digitalisierung.
Wesentliche Reformschritte für die Pflege müssen im Bund erfolgen, und wir bringen uns als Land aktuell sehr aktiv in das Gesetzgebungsverfahren für die nächste Pflegereform ein, das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG). Aber es gibt durchaus auch Einiges, was sich auf Ebene der Kommunen und Länder angehen und verbessern lässt. Im Rahmen der KAP.Ni wollen wir zusammen mit unseren Partnerinnen und Partnern von den Pflegekassen, den Verbänden der Einrichtungsbetreiber, den Kommunen und den Interessenvertretungen der Pflegenden und Pflegebedürftigen die Chancen für Niedersachsen nutzen, die sich uns bieten.
TK: Was meinen Sie brennt derzeit in der Pflege am meisten unter den Nägeln?
Dr. Arbogast: Ich sehe im Wesentlichen drei Baustellen, die derzeit Menschen in Niedersachsen Sorge bereiten: Den Einrichtungsbetreibern fällt es zunehmend schwerer, ausreichend Fachkräfte zu bekommen, um ihren Betrieb in guter Qualität aufrecht erhalten zu können. Werden Leiharbeitskräfte eingesetzt, führt das zu steigenden Kosten. Dann haben Pflegebedürftige und ihre Familien in einzelnen Regionen immer wieder Probleme, ein passendes ambulantes Versorgungsangebot zu finden. Hier gibt es immerhin Unterstützung von den Pflegekassen und den Pflegestützpunkten. Und wir haben die anwachsenden Eigenanteile insbesondere in der stationären Pflege. Ich bin der Auffassung, dass wir nicht alle zusätzlichen Kosten den Pflegebedürftigen aufbürden dürfen. Der Bundeszuschuss in die Pflegeversicherung muss erhöht und es müssen mit diesem auch die versicherungsfremden Leistungen finanziert werden.
Ich bin der Auffassung, dass wir nicht alle zusätzlichen Kosten den Pflegebedürftigen aufbürden dürfen.
TK: Die angedachten Maßnahmen müssen natürlich auch umgesetzt werden. Wie ist denn die Zeitschiene für die Umsetzung der Maßnahmen?
Dr. Arbogast: Die nächste Pflegereform soll schon in diesem Sommer wirksam werden. Das PUEG soll voraussichtlich am 1. Juli in Kraft treten. Immerhin sollen damit die Leistungsbeträge für die häusliche Versorgung und auch die Zuschläge in der stationären Versorgung angehoben werden. Außerdem haben wir die Zustimmung der anderen Bundesländer für unseren Antrag erhalten, dass zumindest das Pflegegeld und der Entlastungsbetrag wesentlich stärker angehoben werden müssen als bislang vorgesehen. Und wir alle wissen: Es wird eine weitere, wesentlich grundsätzlicher angelegte Pflegereform geben müssen.
Was die KAP.Ni betrifft ist geplant, dass im Laufe des Sommers die Einigung auf ein Maßnahmenpaket gelingt. Dieses stellen wir gerade zusammen. Es wird Maßnahmen geben, die sehr schnell umgesetzt werden, wie etwa unsere Anstrengungen zur Erhöhung der Zahl an Pflegeassistenz-Abschlüssen. Andere werden mittelfristig angelegt sein, die KAP.Ni 2 wird sicher ein ambitioniertes Programm für diese Legislaturperiode.
TK: Digitale Angebote können den Pflegealltag ergänzen und erleichtern. Inwieweit und wofür werden Digitalisierungspotenziale bereits genutzt und welche (finanziellen) Mittel stehen hierfür zur Verfügung?
Dr. Arbogast: Die Digitalisierung ist eines der wichtigsten und dynamischsten Entwicklungsfelder in der Pflege. Wenn Digitalisierungsprojekte klug umgesetzt werden, bieten sie ein enormes Potential zur Vereinfachung von Arbeitsabläufen und zur Verbesserung der Versorgung. Daher ist es mir wichtig, dass das Land diesen Bereich eng begleitet. Mit der Verlängerung unseres Förderprogramms zur Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum stellen wir für weitere vier Jahre jeweils 5 Mio. Euro für Projekte zur Verfügung, die die Versorgungssituation der Pflegedienste merklich verbessern. Auch im Jahr 2022 ist dabei wieder der größte Anteil der Mittel in den Bereich der Digitalisierung geflossen. Wir sehen dabei hauptsächlich Projekte der organisatorischen Digitalisierung, also z. B. Tourenpläne und Dokumentation. Es gibt aber auch viele gute Ideen darüber hinaus, wie ein hybrides Fortbildungszimmer oder smarte Türschlösser. Wir freuen uns über jeden innovativen Ansatz.
Wenn Digitalisierungsprojekte klug umgesetzt werden, bieten sie ein enormes Potential zur Vereinfachung von Arbeitsabläufen und zur Verbesserung der Versorgung.
TK: Was tut das Land, um die pflegerische Versorgung insbesondere in ländlichen Regionen zu verbessern?
Dr. Arbogast: Die bereits erwähnte Konzertierte Aktion Pflege Niedersachsen diente und dient diesem Ziel. Grundsätzlich gilt: Für Niedersachsen als Flächenland müssen wir die ländlichen Räume immer mitdenken. Gerade in infrastrukturell schwach angebundenen Regionen ist es besonders schwierig, die wichtigen Helfernetze zu erhalten. Besonders im hohen Alter möchten Menschen mit und ohne Pflegebedarf jedoch gerne in ihrer gewohnten Umgebung bleiben - ein Umzug im hohen Alter kann vielfältige zusätzliche psychische und soziale Probleme zur Folge haben.
Um die vor Ort so wichtigen Versorgungsnetze zu stärken, ermöglichen wir seit 1. Februar 2022 die Anerkennung von Nachbarschaftshelferinnen und Nachbarschaftshelfern für Angebote zur Unterstützung im Alltag. Auch Einzelpersonen können damit die Entlastungsleistungen für Pflegebedürftige erbringen. Wir erreichen so einen deutlichen Anstieg an Helferinnen und Helfern in Niedersachsen, in vielen Fällen können damit auch pflegende Angehörige entlastet werden.
Mit dem Förderprogramm "Wohnen und Pflege im Alter" fördern wir darüber hinaus direkt die Gründung von modellhaften Wohn- und Quartiersprojekten, so dass Menschen auch im hohen Alter noch möglichst lange selbstbestimmt leben können. Seit 2023 sind die Unterstützung pflegender Angehöriger und die Umwidmung von Hofstellen und Resthöfen Schwerpunktbereiche dieser Förderung. So wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass generationenübergreifend das Leben in den ländlichen Regionen Niedersachsens attraktiv bleibt.
Zur Person
Dr. Christine Arbogast ist in Stuttgart geboren und seit November 2022 niedersächsische Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung.
Sie ist Historikerin und Politologin und war u.a. von Juli 2014 bis September 2018 Erste Beigeordnete der Universitätsstadt Tübingen. Ab Oktober 2018 war sie, bis zum Antritt als niedersächsische Staatssekretärin, als Dezernentin für Soziales, Schule, Gesundheit und Jugend der Stadt Braunschweig tätig.