"Fünf Fragen an ..." Dr. Tanja Meyer
Interview aus Niedersachsen
Seit 2022 ist Dr. Tanja Meyer Mitglied im niedersächsischen Landtag und gesundheitspolitische Sprecherin bei Bündnis 90/Die Grünen. Im Interview spricht sie u.a. über ihren Start im Landtag und die Bedeutung von feministischer Gesundheitspolitik.
TK: Die neue Landesregierung ist nun bald ein Jahr am Start. Wie haben Sie die ersten Monate im Landtag und als gesundheitspolitische Sprecherin erlebt?
Dr. Tanja Meyer: Meine ersten Monate im Landtag sind geprägt von einem beständigen Gefühlmix, getragen von großer Freude und hoher Motivation, die Gesundheitspolitik und auch die Gleichstellungspolitik in Niedersachsen mitgestalten zu dürfen. Ich möchte aber auch nicht unterschlagen, dass ich immer mal wieder Ungeduld in mir spüre, weil ich gerne mehr in kurzer Zeit angehen würde angesichts der vielen Herausforderungen in Niedersachsen allein in meinem Wirkungskreis. Damit einher geht die Tatsache, dass der Haushalt nur endliche Mittel bereithält und gleichzeitig die Vorhaben so umfangreich sind, dass nicht alle Projekte wie angestrebt schon zeitnah realisiert werden können. Zudem mache ich mir viele Gedanken darüber, dass es gelingt, die verschiedenen Perspektiven der Akteur*innen ausreichend einzubeziehen, wahrzunehmen und einzuordnen.
Aber ich merke, wie meine Energie für meine Themen stetig wächst und somit bin ich vor allem zuversichtlich!
TK: Was sind Ihre derzeitigen Schwerpunktthemen?
Dr. Meyer: Im Bereich Gesundheit und Pflege bestimmt die Krankenhausreform derzeit den politischen Alltag. Aber zu einer gesundheitlichen Versorgung der Menschen in Niedersachsen gehört natürlich auch eine Sicherstellung der ambulanten Versorgung und der Notfallversorgung. Dabei beschäftigt uns der Fachkräftemangel immens. Zudem ist die Coronapandemie natürlich immer noch ein wichtiges Thema. Die Langzeitfolgen von Infektionen wie Long-Covid oder von Impfungen, oftmals Post-Vac genannt, sind ein herausforderndes Thema. Die betroffenen Menschen sind nicht gut versorgt und die Forschung steht noch am Anfang. Hier gilt es dringend, die Versorgung zu verbessern.
Zudem beschäftigt mich als frauenpolitische Sprecherin natürlich massiv der Schutz der Frauen und Mädchen. Aber auch bei der Umsetzung der Gleichstellung sind wir leider noch nicht am Ziel. Dazu gehört auch eine feministische Gesundheitspolitik.
TK: Stichwort "feministische Gesundheitspolitik". Was genau meinen Sie damit, was beinhaltet dieser Begriff?
Dr. Meyer: "Feministischen Gesundheitspolitik" bedeutet für mich, eine gerechte Gesundheitsversorgung und ein diskriminierungsfreies Arbeitsfeld im Gesundheitssektor.
Dazu gehört, Ungleichheiten in medizinischer Forschung und Lehre abzubauen und sich dort auch kritisch mit Genderdynamiken auseinanderzusetzen. In der Versorgung ist der Zugang zu geschlechtergerechter Medizin zu schaffen. Dazu gehört eine gendermedizinisch geschulte Versorgung im Notfall genauso wie ein wohnortnaher Zugang zu Geburtshilfe oder auch Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch. Die Stärkung der Rechte von Patient*innen sind hierbei immer mit zu berücksichtigen. Aber auch ein fairer Zugang zum Gesundheitswesen überhaupt gehört hierzu. Dieser ist längst nicht für alle Menschen in gleicher Weise gegeben, beispielsweise ist er vielen Sexarbeiterinnen verwehrt.
Auf kultureller Ebene geht es bei feministischer Gesundheitspolitik für mich beispielsweise um das Aufbrechen schädlicher Tabus und Körpernormen sowie um sexuelle Selbstbestimmung.
Ganz wichtig ist mir zudem der feministische Blick auf den beruflichen Alltag im Gesundheitswesen. Hier gilt es Rollenbilder zu hinterfragen, Vereinbarkeit bei den medizinischen Berufsbildern zu fördern, strukturellen Nachteilen entgegenzuwirken und Sexismus und Belästigung im beruflichen Alltag konsequent entgegenzutreten.
TK: Wie kann die qualitativ hochwertige Versorgung der Niedersächsinnen und Niedersachsen auch unter Berücksichtigung ökologischer Fragestellungen zukünftig weiterentwickelt werden?
Dr. Meyer: Das ist eine gute und bislang wenig berücksichtigte Fragestellung! Eine zukunftsgerichtete Gesundheitspolitik hat einige entscheidende Schnittstellen, unter anderem mit den Bereichen Bauen ("Green Hospitals"), Digitalisierung (z.B. Telemedizin), Mobilität (wohnortnahe Grundversorgung) und vor allem im Bereich Energie. Der Gesundheitssektor ist energieintensiv, deswegen ist gerade hier die direkte und indirekte Nutzung von erneuerbaren Energien notwendig und immer einzuplanen.
Aber auch in der Produktion und im Vorhalten von Medikamenten, Medizintechnik und -produkten müssen wir neue nachhaltige Maßstäbe finden. Nur dann können wir auch zukünftig eine hochwertige Versorgung auf medizinischer Grundlage sicherstellen.
Zudem können wir das natürlich weiterdenken und auch die Wohnortsituation und Mobilität der Fachkräfte einbeziehen, als indirekte Effekte. Hierbei können Kommunen und Träger von Einrichtungen unterstützen.
TK: Jetzt im Sommer natürlich noch eine Frage zur Urlaubszeit. Sind Sie Typ Meer oder Typ Berge?
Dr. Meyer: Das ist leicht: beides. Aber in den Bergen brauche ich definitiv auch die Nähe zum Wasser in Form von Bergseen oder Flüssen.
Zur Person
Dr. Tanja Meyer ist 1973 geboren und in Dormagen aufgewachsen. Ihr Abitur absolvierte sie 1993, gefolgt von einem einjährigen sozialen Praktikum an der Sehbehindertenschule Köln (Severin-Schule). Meyer studierte Agrarwissenschaft mit dem Schwerpunkt Tierwissenschaften und anschließender Promotion. Es folgen berufliche Stationen am Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften (ZB MED) an der Hochschule Koblenz, an der Alanus Hochschule Alfter (Hochschule für Kunst und Gesellschaft) und zuletzt an der Universität Vechta. Seit 2022 ist sie MdL in Niedersachsen und gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen.