Pioniergeist muss #Chefinsache sein
Artikel aus Mecklenburg-Vorpommern
In der aktuelle #Chefinsache skizziert Manon Austenat-Wied, welche Ideen und Ansätze die Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern verbessern könnten.
TK: Frau Austenat-Wied, das Diskussionsklima im Land wird rauer und die Notwendigkeit für kluge Lösungsansätze in der Gesundheitsversorgung wird größer. Was fehlt in Mecklenburg-Vorpommern, damit endlich die Weichen für eine zukunftssichere Versorgung gestellt werden?
Manon Austenat-Wied: Sie sprechen mit dem Diskussionsklima aus meiner Sicht eine Schlüsselkomponente an, die echte Veränderungen behindert. Leider verstehen sich einige handelnde Personen sehr gut darin, die Verantwortung für bestehende Handlungsbedarfe auf andere Institutionen abzustreifen. Dies ist aus meiner Sicht aus zwei Perspektiven problematisch. Zum einen stoßen sich die Partnerinnen und Partner, die gemeinsam für eine gute Versorgung in M-V verantwortlich sind, vor den Kopf und beschädigen das gegenseitige Vertrauen. Zum anderen resultiert aus der fehlenden Sachlichkeit immer auch eine fehlende Fachlichkeit. Ich kann nur dafür plädieren, dass wir zu einer konstruktiven Diskussionskultur zurückkehren, sowohl in den fachlichen Runden als auch bei Veranstaltungen mit Publikumsbeteiligung. Die Aufgabengebiete sind im Gesundheitswesen, zumindest für die regelhaften Tätigkeiten, klar verteilt. Wenn einzelne Institutionen Probleme bei der Bewältigung dieser haben halte ich ein kooperierendes Hilfegesuch für zielführender, als Schuldzuweisungen an Dritte. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass dieser Sinneswandel den Beteiligten gelingen wird und wir zukünftig die richtigen Entscheidungen für eine optimale Versorgung im Land treffen. Mit netten Worten und Freundlichkeit wird uns das natürlich nicht allein gelingen, aber dies sind die Grundvoraussetzungen, um überhaupt ernsthaft miteinander sprechen zu können.
Gleichzeitig möchte ich für eine positive Zukunftsperspektive noch betonen, dass wir durchaus mutiger agieren könnten, wenn es um die Gestaltung der Versorgungslandschaft geht. Gegenwärtig bewegen sich die meisten Ideen und Gedanken innerhalb des bestehenden Regelsystems. Dies macht auch Sinn, z. B. wenn es um die Abwicklung von Zahlungsprozessen wie bei der Finanzierung von Vorhaltekosten für die Krankenhäuser geht. Aber für medizinische Innovationen, eine echte sektorenübergreifende Versorgung oder digitale Versorgungsangebote brauchen wir mehr Mut zum Pioniergeist.
TK: Pioniergeist klingt nach Abenteuer und Aufbruch ins Unbekannte.
Austenat-Wied: Das stimmt tatsächlich und ist auch so gemeint. Diesen Mut brauchen wir ganz dringend. Denn wenn wir nicht bereit sind neue Dinge auszuprobieren, dann steuern wir auf ein Versorgungssystem zu, dass nur noch aus den Resten der Vergangenheit besteht. Lassen Sie mich das kurz erklären. Die meisten Krankenhausstandorte in den ländlichen Regionen sind nicht bedarfsgerecht ausgerichtet. Das müssen wir dringend korrigieren, damit sie wirtschaftlich solide arbeiten und somit langfristig die Versorgungsbedarfe bedienen können. In einigen Fällen kommt erschwerend hinzu, dass auch die ambulante Versorgung zunehmend schwierig wird. In diesen Gebieten, mit langfristig bestehender ambulanter Unterversorgung und einer veränderungsbedürftigen stationären Einrichtung, kann die Weiterentwicklung der Krankenhausstandorte zu regionalen Gesundheitszentren (RGZ) eine Lösung sein. In diesen Einrichtungen können dann sektorenübgereifend Angebote der Regel- und Grundversorgung für eine Region erbracht werden. Damit die Versorgungsstrukturen vor Ort leistungsfähig bleiben, müssen wir jetzt handeln. Dabei dürfen wir uns nicht von Sektorgrenzen oder Verteilungskämpfen leiten lassen. Wir müssen die bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung der Menschen in den Vordergrund stellen. Patientinnen und Patienten ist es schließlich egal, wer für welche Leistung wie viel Geld bekommt und welcher Sektor orginär zuständig ist. Sie brauchen einfach den Zugang zur bedarfsspezifischen Versorgungsleistung.
TK: Gibt es Modelle oder Ansätze, die sie dabei im Hinterkopf haben?
Austenat-Wied: Als TK setzen wir natürlich auf unseren Innovationsfonds-Antrag für das Krankenhaus Crivitz. Dabei kombinieren wir überregionale Expertise und regionale Innovationskraft. Das Projekt hat die Chance, ein bundesweit anerkanntes Leuchtturmprojekt zu werden. Außerdem kann es mit der klugen Weiterentwicklung des Krankenhausstandortes gelingen, dass die Versorgung einer Region langfristig und leicht zugänglich gesichert wird. Dabei spielen sowohl stationäre Leistungsangebote als auch die niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner eine zentrale Rolle. Für eine zukunftssichere Gesundheitsversorgung, auch in ländlichen Regionen, brauchen wir alle an der Versorgung beteiligte Berufsgruppen.
Wenn wir die Veränderungsprozesse nicht gestalten, werden die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen Fakten schaffen. Daher kann ich nur nochmals für mehr Pioniergeist appellieren. Wenn es um innovative Ideen, z. B. zur Weiterentwicklung der Krankenhausstandorte oder um die Aufgabendelegation an nicht-ärztliches Personal geht, dann müssen wir unsere Postionen und Entscheidungsgeschwindigkeiten an die größe der Herausforderungen anpassen.
TK: Können Sie das zögern der weiteren Beteiligten denn nicht nachvollziehen? Schließlich steht für viele Akteurinnen und Akteure ihre strtaegische Position im Versorgungssystem auf dem Spiel.
Austenat-Wied: Wenn wir so lange warten, bis die Strukturen vor Ort so schwach sind, dass die Patientinnen und Patienten mit den Füßen abstimmen, verlieren alle Beteiligten. Es kann natürlich sein, dass die auf abstrakter Ebene betrachteten Probleme gar nicht der Realität auf der Mikroebene entsprechen, sondern sie nur Teil einer ausgeklügelten Verhandlungsstrategie zur Erlösmaximierung sind, aber das hoffe ich nicht. Für mich persönlich und für uns als TK ist es essentiell, dass wir die bedarfsgerechte Versorgung und den niedrigschwelligen Versorgungszugang in den Mittelpunkt all unserer Bemühungen stellen. Und so innovativ, wie unsere Versicherten digitale Kommunikationswege mit uns und den Leistungserbringenden nutzen, genau so innovative und fortschrtittlich sollten wir die Versorgungslandschaft denken, planen und Realität werden lassen.
TK: Vielen Dank für das Interview.