München, 8. Juli 2024. Beim gesundheitspolitischen Forum am Montag, 8. Juli 2024, in München, freute sich die Landesvertretung Bayern der Techniker Krankenkasse (TK) über rund 150 Gäste aus Politik, Gesundheitswesen, Wirtschaft und den Medien. Für die Gastrednerin, Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach, ist eine zukunftssichere Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung das zentrale Thema im Gesundheitswesen. 
Gemeinsam mit dem Landeschef der TK in Bayern, Christian Bredl, forderte die Ministerin, notwendige Reformen nicht weiter zu verschleppen und Schluss zu machen mit der Devise "im Zweifel mit Beitragsgeldern".

40-Prozent-Grenze bei Sozialversicherungsbeiträgen bereits überschritten

Das Ziel einer zukunftssicheren Finanzierung des Gesundheitswesens, ohne die Beitragsspirale immer weiter nach oben zu drehen, ist in weite Ferne gerückt. Die über Jahrzehnte und von verschiedenen Regierungen eingehaltene Obergrenze von maximal 40 Prozent des Bruttolohns bei den Ausgaben für Sozialversicherungsbeiträge gilt heute für die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz nicht mehr. Das belastet auch die bayerischen Unternehmen, die in der Regel die Hälfte der Ausgaben für ihre Beschäftigten tragen.

Auch bei der Pflege steigt der Druck. Rund 580.000 Menschen in Bayern beziehen derzeit Leistungen aus der Pflegeversicherung. Das ist ein Anstieg von mehr als 40 Prozent seit der Pflegestatistik des Jahres 2017. Der Aufwärtstrend ist ungebrochen. So meldet der Medizinische Dienst in Bayern derzeit bis zu 50.000 Pflegebegutachtungen pro Monat.

Die Ministerin fordert, dass jetzt konkrete Reformen auf den Weg gebracht werden: "Die Finanzierbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherung ist aktuell eine der größten Herausforderungen. Es braucht zwingend Reformen. Ziel muss dabei eine Verbesserung der medizinischen und pflegerischen Versorgung und ihre zukunftssichere Gestaltung sein, ohne dass die Finanzen dabei aus dem Ruder laufen. Der Bund greift aktuell leider völlig unverfroren in den Geldbeutel der Versicherten und Arbeitgeber. Es braucht zukunftsfähige Lösungen und spürbare Entlastungen. Wir fordern daher, dass der Bund seiner Verantwortung nachkommt und endlich deutlich höhere Bundeszuschüsse zu der Vielzahl an versicherungsfremden Leistungen leistet, die die GKV stemmen muss. Außerdem muss die GKV vor weiteren versicherungsfremden Aufgaben geschützt werden. Es besteht auf absehbare Zeit kein finanzieller Spielraum mehr für weitere Ausdehnungen des Aufgaben- und Leistungsspektrums. Klar ist auch: Für die Pflegeversicherung reicht keine Finanzreform, es braucht dringend eine Strukturreform, die das Pflegesystem konsequent vereinfacht und flexibilisiert."

Strukturellem Defizit mit klugem Maßnahmenmix begegnen

Die Solidargemeinschaft der GKV ist ein Stabilitätsanker des deutschen Gesundheitswesens. Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind entscheidende Instrumente für einen nachhaltigen Umgang mit Beitragsgeldern und eine bessere Versorgung. Christian Bredl: "Leider wurden der GKV in den vergangenen Jahren an vielen Stellen diese Instrumente genommen, um die ihr zur Verfügung stehenden Beitragsmittel wirtschaftlich einzusetzen." Der bayerische TK-Chef fordert deshalb einen intelligenten Maßnahmenmix, um dem strukturellen Defizit entgegenzuwirken, das jährlich für Milliardenlücken in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sorgt. 

Beispielsweise sollte die etablierte Einzelfallprüfung bei Krankenhausrechnungen nicht durch Prüfquoten abgeschafft werden. "Bei geeigneten Hilfsmitteln könnten wieder Ausschreibungen mit Qualitätsparametern durchgeführt werden und für Verträge mit Heilmittelerbringern muss wieder die Grundlohnsummenbindung gelten", schlägt Bredl vor. "Außerdem sollte endlich die seit Jahrzehnten geforderte Senkung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent erfolgen."

Auf der Einnahmenseite müsse, die ebenfalls längst überfällige, auskömmliche Beitragsfinanzierung für die Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld umgesetzt werden. 

Bredl: "Alleine mit diesen genannten Maßnahmen, die kurzfristig umsetzbar wären, könnte ein strukturelles Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe pro Jahr dauerhaft vermieden werden."

Pflegereform jetzt 

Auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung erfordert die stark steigende Zahl der Pflegebedürftigen schnelles und zielstrebiges Handeln. Die Pflegereform dürfe nicht wieder auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden. "Immer nur höhere Beiträge festzulegen, ohne die Finanzierung der Pflege strukturell zu stabilisieren, ist den Menschen und der Wirtschaft nicht mehr zuzumuten", meint der bayerische TK-Chef. "Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre eigenen Koalitionsversprechen einhält."

Kurzfristig müssen die Pflegekassen von versicherungsfremden Leistungen sowie Auslagen aus Pandemiezeiten entlastet werden. Mittelfristig sind die Lasten zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung gerecht zu verteilen und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Begrenzung und Planbarkeit der Eigenanteile umzusetzen. 

Keine weiteren Maßnahmen ohne spürbaren Mehrwert für Patientinnen und Patienten

Das GKV- und Pflegesystem verträgt keine weiteren Maßnahmen mehr ohne spürbaren Mehrwert für die Patientinnen und Patienten. Um langfristig diese wichtigen Stabilitätsanker der Gesellschaft zu sichern, müssen verstärkt vernetzte Strukturen aufgebaut werden und ein effizienter Mitteleinsatz erfolgen. Darüber hinaus sind eine zielgerichtete Digitalisierung sowie eine durchdachte und konsequente Umsetzung der Krankenhausreform entscheidend für eine zukunftsfähige Finanzierung. Ihre Finanzierung muss fair gestaltet werden, die Krankenhausreform darf nicht zur Kostenfalle für die Beitragszahlenden werden.

Hinweis für die Redaktion

Die bayerischen Pflegezahlen finden Sie online. Infos zum Thema Pflegebedürftigkeit gibt es auch im Interview mit Prof. Dr. Wöhler vom MD Bayern. Hier finden Sie die TK-Positionen zu den Themen "Nachhaltige GKV-Finanzierung" und "Pflege zukunftssicher gestalten" .