Interview zur ambulanten Versorgung mit Angelika von Schütz
Interview aus Mecklenburg-Vorpommern
Die Kassenärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern verantwortet die Sicherstellung der ambulanten Versorgung. Im Interview erläutert die Vorsitzende des Vorstands die aktuelle Versorgungslage.
TK: Sehr geehrte Frau Vorsitzende, die medizinische Versorgung ist in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern seit jeher herausfordernd. Welche Rolle nehmen aus Ihrer Sicht niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ein, um die Versorgung zu gewährleisten?
Angelika von Schütz: Die Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten gewährleistet eine flächendeckende und vor allem wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung. Die Betreuung der Patienten kann durch diese Bedingungen auch individuell und kontinuierlich erfolgen. Oftmals kennen, besonders in der hausärztlichen und grundversorgenden fachärztlichen Versorgung, die Ärzte ihre Patienten und deren Familien über viele Jahre. Das schafft auch menschliche Nähe, die häufig für therapeutische Ansätze sehr wichtig ist.
TK: Was sind aus Ihrer Sicht die großen Vorteile der Niederlassung für Mediziner?
von Schütz: Zur Niederlassung in eigener Praxis gehört sicher auch etwas Mut und unternehmerisches Geschick. Aber die Vorteile dieser Form der ärztlichen Tätigkeit liegen darin, dass man seine persönlichen Ideen gut umsetzen kann. Individuelle Vorstellungen von Patientenbetreuung, Mitarbeiterführung u. a. liegen in der eigenen Verantwortung, aber auch deren Gestaltung. Zwar ist man bzgl. Sprechstundentätigkeit u. a. einigen Regularien unterworfen, aber das Wie einer Praxisführung liegt quasi in den eigenen Händen. Wichtig ist es zu verstehen, dass die Arbeit in einer Praxis nur im Team gut funktionieren kann, also gemeinsam mit den Mitarbeitern und unter Beachtung der jeweiligen Besonderheiten des Patientenklientels. Letzteres ist regional durchaus unterschiedlich und wird ohne Frage durch die Standortwahl der Praxis beeinflusst.
TK: Profitieren die Patienten im Land auch davon?
von Schütz: Die bereits erwähnte wohnortnahe Versorgung der Patienten ist sicher ein Vorteil für die Patienten, ebenso die Kenntnis örtlicher und sozialer Gegebenheiten. Das ermöglicht ein individuelleres Betreuen der Menschen. Viele unserer Kollegen berücksichtigen bei der Ausgestaltung ihrer Abläufe gerade die Besonderheiten der Region, was z.B. die Sprechstundenzeiten betrifft, Spezialsprechstunden, Hausbesuche.
TK: Gibt es aus Ihrer Sicht systematische Entwicklungen im Gesundheitswesen, die den Weg angehender Ärzte in die Niederlassung bremsen oder bieten stationäre Einrichtungen einfach deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen?
von Schütz: Aus der Sicht einer bis vor kurzem selbst, im Übrigen fast 25 Jahre, niedergelassenen Ärztin überwiegen die Vorteile ambulanter Tätigkeit gegenüber den stationären Strukturen. Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten entscheiden sich zunehmend für eine Angestelltentätigkeit, da sich das Berufsbild verändert. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 60 Stunden und mehr, wie in Zeiten meiner Niederlassung, entspricht nicht mehr dem aktuellen Berufsbild junger Kollegen. Rahmenbedingungen, die in den letzten Jahren durch teilwiese unüberlegte politische Entscheidung verschärft wurden, machen oft Angst vor der Niederlassung in eigener Verantwortung. Hier ist es höchste Zeit, etwas zu ändern, die Mitwirkung aller ist hier gefragt - gemeinsame Selbstverwaltung und Politik. Kliniken haben, wie auch der niedergelassene Bereich, mit Fachkräfteproblemen zu kämpfen. Dies betrifft sowohl Ärzte als auch deren Mitarbeiter, ohne die aber keine Praxistätigkeit funktionieren kann. Ein großes Ziel ist es für mich, die Freiberuflichkeit der Profession für Ärzte und Psychotherapeuten zu erhalten.
TK: Gibt es Möglichkeiten, die Stärken beider Sektoren miteinander besser zu verzahnen?
von Schütz: Ein gutes Beispiel für sinnvolles Zusammenarbeiten zwischen stationärem und ambulantem Sektor war in der Vergangenheit das Belegarztwesen, welches jedoch historisch in den neuen Bundesländern nicht so weit verbreitet war. Die Bedingungen für die Belegärzte haben sich in den letzten Jahren verschlechtert, so dass hier leider eine Chance verspielt wurde. Was sicher zukunftsträchtig ist aus meiner Sicht, das ist die Zusammenarbeit beider Sektoren in der Notfallversorgung. Hier sollten gute Konzepte, auch regional, entwickelt werden, die die knapper werdenden personellen Ressourcen zusammenzuführen.
TK: Kann eine starke und fachkompetente Selbstverwaltung diese Herausforderungen bewältigen?
von Schütz: Ich schätze die Selbstverwaltung sehr, weshalb ich mich für deren Stärkung auch seit Jahren engagiere. Es sollte Ziel einer gemeinsamen Selbstverwaltung - Ärzteschaft und Krankenkassen - sein, gemeinsam und nicht gegeneinander zu agieren, damit hier die Politik nicht immer wieder schlichtend eingreifen muss. Das schadet uns. Wir tragen alle Verantwortung für die medizinische Versorgung der Menschen.
TK: Frau von Schütz, die Herausforderungen zeigen es an, Sie sind vielbeschäftigt. Haben Sie da noch Zeit für Freizeitaktivitäten? Wenn ja, verraten Sie uns welche, eher an frischer Luft oder mit einem guten Buch und einem Glas Rotwein?
von Schütz: Ausgleich in der Freizeit ist für mich sehr wichtig, um die Akkus immer wieder aufzuladen. Manchmal fällt das Abschalten schwer, aber ich bin ein Kulturmensch - Theater, Konzerte, Bücher sind oft dabei, dazu ein Garten mit ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten. Und die nahe Ostsee hat auch nach all den vielen Jahren für mich ihren Reiz für lange Spaziergänge noch immer nicht verloren.
TK: Vielen Dank für das Interview.