Mann, was geht?!
Artikel aus Niedersachsen
Die Gesundheit von Männern sowie geschlechtsspezifische Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention sind längst keine Nischenthemen mehr. Ein Gastbeitrag von Thomas Altgeld.
Das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz formuliert beispielsweise an die Gesetzliche Krankenversicherung den Auftrag, geschlechtsspezifischen Besonderheiten bei der Leistungserbringung Rechnung zu tragen (§ 2b SGB V) und den Abbau geschlechtsbezogener Ungleichheit bei den Gesundheitschancen (§ 20 SGB V) zu fördern. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in ihrer ersten Strategie zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Männern in der Europäischen Region 2018 klar benannt, dass effektive männergerechte Gesundheitsförderung auf Stärken und positiven Bildern von Männern aufbauen sollte und eben nicht Männer als vom Gesundheitsbewusstsein her defizitäre Wesen begreifen darf. Die Strategie benennt drei Grundvoraussetzungen:
- Aufbauen auf einem positiven Bild von Jungen und Männern und dieses fördern, unabhängig von deren Alter, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, ethnischer Zugehörigkeit, Kultur und Religion;
- Verzicht auf Verwendung von geschlechtsspezifischen Vorurteilen, die zu einem Fortbestehen von ungleichen und schädlichen Rollenbildern und Verhaltensweisen beitragen;
- Entwicklung stützender Umfelder, die einen positiven, ganzheitlichen Ansatz gegenüber den Rolle von Männern als Väter, Partner, Kollegen und Betreuer fördern (vgl. WHO, Zugriff 1/2020).
Vor diesem Hintergrund setzt die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V. in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse und der Universität Bielefeld ein Modellprojekt nach § 20g, SGB V um. Mit solchen Modellvorhaben eröffnet der Gesetzgeber die Möglichkeit, die Qualität und Effizienz der Versorgung mit Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten, sowie mit Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu verbessern.
Männer sollen analog und digital erreicht werden
Das 2018 gestartete Modellprojekt "Mann, was geht?!" fokussiert auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von Männern im Setting Betrieb sowie im virtuellen Raum. Die Semantik von "Mann, was geht?!" impliziert ein Erkenntnisinteresse mit zweierlei Lesarten. Einerseits steht das subjektive Gesundheitserleben von Männern im Mittelpunkt ("Mann, wie geht’s Dir?"), andererseits richtet sich das Interesse auf akzeptierte, ressourcenorientierte, lebensphasenorientierte und männerreflexive Zugänge ("Mann, was ist möglich?").
Die Ausrichtung an den Bedarfen und Bedürfnissen von Männern ist dabei handlungsleitend.
Die Heterogenität unter Männern ist groß, stereotype Zuschreibungen, wie Männer an sich sind und wo sie möglicherweise im Vergleich zu Frauen insgesamt ungünstigere gesundheitsrelevante Verhaltensweisen aufweisen, führen nicht weiter. Deshalb stellten qualitative Interviews mit Männern unterschiedlicher Lebensphasen und Lebenslagen zu Projektbeginn den Ausgangspunkt für die weitere Projektausgestaltung dar. Nach Auswertung der Interviews wurde der Fokus auf das Gesundheits- und Belastungserleben von jungen Vätern, Männern in ausgeprägten Belastungskonstellationen sowie der Babyboomer-Generation gelegt. Die genannten Gruppen sollen sowohl "analog" am Arbeitsplatz als auch virtuell über ein neuartiges, männergerechtes Gesundheitsportal erreicht werden.
Projektpfad Betrieb
Geschlechteraspekte stehen bislang nur selten auf der Agenda des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Auch das Handlungswissen dazu ist noch fragmentarisch. In ausgewählten Modellbetrieben soll dieses Handlungswissen deshalb sukzessiv erarbeitet werden. Omnipräsent ist die Frage: Wie motivieren wir unsere männliche Belegschaft? Dazu fanden in sechs kooperierenden Betrieben, aus sehr unterschiedlichen Branchen (u. a. Logistik, Luftfahrt und IT), zunächst Sondierungsgespräche statt, um potenzielle Dialoggruppen (z. B. Lagerarbeiter in der Logistik oder Führungskräfte) und spezifische Handlungsfelder in diesen Betrieben auszuloten. Erste Gespräche mit den Dialoggruppen selbst erfolgten im Rahmen von Gesundheitstagen, die 2019 durchgeführt wurden.
Weitere partizipative Formate stehen vor der Umsetzung, darunter beispielsweise Ideenwerkstätten, teilnehmende Beobachtungen sowie weitere Methoden und Ansätze, die im Rahmen des europäischen Erasmus+ Projektes "HelpMen - Health Literacy Progress for Men in Europe" erfolgreich erprobt wurden. Ziel ist es nun, gemeinsam mit den männlichen Beschäftigten vor Ort ihre Bedarfe und Wünsche zu erfassen und geeignete, männerspezifische, gesundheitsfördernde Strategien zu entwickeln. Aus den Erfahrungen von "Mann, was geht?!" soll anschließend eine Handlungsanleitung entstehen, die unter anderem einen Reflexionsrahmen für BGM-Fachkräfte und Personalverantwortliche zur systematischen Integration von Genderaspekten in das Betriebliche Gesundheitsmanagement beinhalten soll.
Projektpfad Website
Psychische Gesundheit im Allgemeinen, aber auch ganz spezifisch von Männern, ist nach wie vor ein Thema über das in Deutschland selten öffentlich gesprochen wird. Im angloamerikanischen Raum, beispielsweise in Kanada, Großbritannien und Australien, wird das Thema hingegen schon häufiger öffentlichkeitswirksam in den Blick genommen. Die Slogans "Men Start Talking" oder "Mental Health Matters" tragen einem offeneren Diskurs zur psychischen Gesundheit von Männern bereits durch das Wording Rechnung. Um dazu beizutragen, das Thema auch hierzulande von seinem Stigma zu lösen, formulieren wir mit "Mann, was geht?!" bewusst eine Frage, die sich dem Themenkomplex um psychische Belastungen und Gesundheit über die aktuellen Lebensrealitäten und Erfahrungen von Männern in unterschiedlichen Lebenslagen annähert.
In Anlehnung an internationale Vorbilder entsteht derzeit eine interaktive Website, die der Entstigmatisierung und der Reflexion von klassischen Männerbildern dient und zudem verhaltenspräventive Strategien anbieten soll. Sie richtet sich direkt an Männer, aber auch an Health Professionals, z. B. aus dem Beratungssektor. Ein Experten-Chat, Instrumente zum Selbstcheck, sowie Social-Media-Kanäle sind interaktive Bestandteile des Prototypen, der sich aktuell in der Testphase befindet. Die Liveschaltung der Website wird im zweiten Quartal 2020 erfolgen. Die Website wird fortlaufend erweitert und evaluiert.
Evaluation
Die Entwicklung und Umsetzung der beiden Projektpfade Betrieb und Website wird fortlaufend durch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld evaluiert, die entsprechend geeignete Evaluationskonzepte erarbeitet hat. Für die Website wird aktuell in Kooperation mit einem Marktforschungsinstitut zudem eine Befragung von Testpersonen zur Berücksichtigung der Nutzerperspektive aufgesetzt.
Mehr über "Mann, was geht?!" erfahren
Ein Jahr nach der Auftaktveranstaltung des Projektes folgt nun am 14. Juli 2020 die Folgekonferenz "Mann, was geht?! - Psychische Gesundheit und Wohlbefinden von Männern fördern" in Hannover. Bereits im März 2020 ist "Mann, was geht?!" auf dem größten Public Health-Kongress "Armut und Gesundheit" in Berlin präsent, der dieses Jahr erstmals das Thema Gender in den Fokus rückt.
Zur Person
Thomas Altgeld ist Diplom-Psychologe und seit 1993 Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Themen Männergesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten, Gesundheitliche Chancengleichheit, Health in all Policies sowie systemische Organisationsentwicklung und -beratung. Er ist u. a. Vorstandsvorsitzender des Bundesforum Männer sowie Mitglied im Beratungsgremium der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu "Männergesundheit".