TK: Sie forschen zu den Themen Freundschaft und Einsamkeit. Zwei Pole, die sich nicht unbedingt auf den ersten Blick anziehen. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesen zwei Forschungsfeldern zu beschäftigen?

PD Dr. Janosch Schobin: Bei Freundschaft lag das biographisch nahe. Ich bin Kind von Entwicklungshelfern. Da zieht man alle vier Jahre um und muss neue Freunde finden. Das war also eine Art Lebensthema. Für Einsamkeit habe ich mich vor allem angefangen zu interessieren, weil es in meinen Freundschaftsstudien immer eine Gruppe von Leuten gab, die keine engen Freunde hatten. Die waren im Durchschnitt wesentlich einsamer. Ich habe mich dann gefragt: Wie kommt das eigentlich? 

 Das war also eine Art Lebensthema. PD Dr. Janosch Schobin

PD Dr. Janosch Schobin

PD Dr. Janosch Schobin, Soziologe u.a. mit den Forschungsschwerpunkten Einsamkeit und Soziologie der Freundschaft. Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Soziologe u.a. mit den Forschungsschwerpunkten Einsamkeit und Soziologie der Freundschaft.

TK: Das Gefühl der Einsamkeit ist schwer messbar, da sie einerseits stark subjektiv empfunden wird und sich andererseits schwer in Fakten fassen lässt. Auf welche Arten forschen Sie auf diesem Gebiet und wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Dr. Schobin: Die Einsamkeitsforschung ist sehr interdisziplinär. Deswegen gibt es ganz unterschiedliche Erfassungsmethoden. In den Neurowissenschaften etwa, werden Methoden wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) verwendet, um Einsamkeitsbelastungen durch bildgebende Verfahren im Gehirn zu lokalisieren. Am üblichsten sind der Forschung spezielle Befragungsinstrumente, die in der Psychologie entwickelt wurden, um Einsamkeitsbelastungen durch Selbstauskünfte zu erfassen. Als Soziologe mache ich auch etwas ausgefallenere Dinge, wie zum Beispiel die Statistiken von Ordnungsämtern zu einsamen Bestattungen zu sammeln oder die Wortfrequenzen von Einsamkeitsbegriffen in Büchern auszuzählen. Da geht es dann weniger um die Einsamkeit der Individuen und eher um die Frage, wie einsam ganze Gesellschaften sind. Und zuletzt gibt es noch die Möglichkeit in biographischen Interviews mit Menschen ganz direkt und intensiv über ihre Einsamkeitserfahrungen zu sprechen.

TK: In biografischen Interviews führen Sie Gespräche mit Menschen über ihr Leben, ihre Einsamkeit und auch den Weg aus dieser. Dafür sind Vertrauen und eine enge Verbindung zu den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern unerlässlich. Wie gehen Sie persönlich mit den vermutlich oft herausfordernden Schicksalsschlägen und den vielfältigen Lebensgeschichten um?

Dr. Schobin: Das ist sehr unterschiedlich. Die Grundregel in der Soziologie ist, dass man sich nicht verstellt. Man versucht eine Art der Gegenseitigkeit herzustellen, indem man Themen findet, die beide Seiten genuin interessieren. Ich beginne oft damit, dass ich über den ersten Umzug oder den ersten Schultag spreche. Die Kindheit ist oft ein guter gemeinsamer Boden, um ein Gespräch über Einsamkeit zu beginnen. Bei manchen Menschen fängt die Einsamkeit auch da schon an, etwa weil die Familie durch Armut oder psychische Erkrankungen schwer belastet war. Das sind teilweise sehr aufwühlende Lebensgeschichten. Irgendwann habe ich gelernt, dass man vorsichtshalber ein paar Taschentücher dabeihaben muss, wenn man mit Menschen über ihre Einsamkeit spricht. Das geht einem dann auch als Forscher noch lange im Kopf herum. Aber man lernt dabei auch Wichtiges: Zum Beispiel, dass die Frage, wie einsam Gesellschaften sind, weniger mit Individualisierung und mehr mit Geschlechtergerechtigkeit und guten Strukturen für Familien und Partnerschaften zu tun hat.

Das geht einem dann auch als Forscher noch lange im Kopf herum. PD Dr. Janosch Schobin

TK: Welche Veränderungen haben Sie in den letzten Jahren bei Menschen beobachtet, die von Einsamkeit betroffen sind? Und welche Entwicklung beobachten Sie hinsichtlich der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bedeutung des Themas Einsamkeit, auch im Zusammenhang mit dem Einsamkeitsreport der Techniker Krankenkasse, an dem Sie mitgewirkt haben?

Dr. Schobin: Wie sich Menschen durch Einsamkeit verändern, ist in meiner Erfahrung sehr unterschiedlich. Es gibt aber ein paar Dinge, die einem doch sehr oft begegnen. Ein typischer Aspekt ist aus meiner Sicht der kontinuierliche Vertrauensverlust. Bei manchen meiner Gesprächspartner merkte man das nur in so einer leichten Verwunderung, warum sich jemand mit ihnen unterhalten will, bei anderen ging das sehr tief: Die vertrauten niemandem mehr, nicht den Bekannten, nicht den Nachbarn, nicht einmal der Polizei. Das ist auch ein Grund, warum Einsamkeit ein so schwieriges Thema ist, das lange ignoriert wurde. Die Menschen ziehen sich zurück, werden sozial unsichtbar. Zum Glück ändert sich das gerade. Einsamkeit ist eines der größten Probleme in unserem Land. Berichte, wie der Einsamkeitsreport der TK, die breit wahrgenommen werden, sorgen dafür, dass das Bewusstsein dafür zunimmt. Das ist der erste Schritt, damit sich etwas ändert. 

Die Menschen ziehen sich zurück, werden sozial unsichtbar. PD Dr. Janosch Schobin

TK: Abseits der wissenschaftlichen Perspektive - welche Bedeutung hat Freundschaft für Sie persönlich und welche Rolle spielt Einsamkeit in Ihrem eigenen Leben?

Dr. Schobin: Als Grenzgänger zwischen Kulturen sind Freundschaften für mich immer das gewesen, was ich gebraucht habe, um auf der anderen Seite anzukommen. Mit der Zeit wird daraus eine Art Gipsverband, der das durch die vielen Umzüge zerstückelte Leben zusammenhält. Die Freunde geben meinem Leben eine gefühlte Kontinuität, die es rein objektiv betrachtet nicht hatte. Was die Einsamkeit angeht, bin ich vermutlich ein ziemlicher "Normalo". Schwer getroffen hat sie mich als meine Großmutter gestorben ist, die mir sehr wichtig war. Das ist eine Einsamkeit, die nie mehr ganz weggeht. Und dann war ich in der Jugend auch einige Male sehr unglücklich verliebt. Das verblasste zum Glück irgendwann. 

Zur Person

PD Dr. Janosch Schobin, geb. 1981, ist Soziologe. Aktuell entwickelt er am Kompetenznetz Einsamkeit des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main das Einsamkeitsbarometer für das BMFSFJ und koordiniert das BMBF-Projekt WeAreOne an der Universität Göttingen. 

Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Einsamkeitsforschung, der Soziologie der Freundschaft und der Techniksoziologie. Zuletzt hat er u.a. Forschungsarbeiten zur Auswirkung der Geschlechterungleichheit auf die Verbreitung von Einsamkeitsbelastungen, zum Zusammenhang von Einsamkeit und Vertrauen in die demokratische Institutionen und zur Stigmatisierung von Einsamkeit veröffentlicht.