"Fünf Fragen an ..." Dr. Andreas Philippi
Interview aus Niedersachsen
Im Interview mit dem Niedersächsischen Gesundheitsminister beleuchten wir aktuelle Herausforderungen im Gesundheitswesen: Wir haben mit ihm über den Mangel an medizinischen Fachkräften, die geplante Umsetzung der Krankenhausreform und die wegweisende Einführung der "elektronischen Patientenakte (ePA) für alle" gesprochen. Außerdem wollten wir wissen, wo Chancen für Niedersachsen sind, sich angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen gesundheitspolitisch einzubringen, wie er persönlich auf das Jahr 2024 zurückschaut und wie er auf das kommende Jahr blickt.
TK: Herr Minister Dr. Philippi, gerade im Gesundheitswesen herrscht Fachkräftemangel. Wie möchten Sie Menschen davon überzeugen einen Beruf im Gesundheitswesen, zum Beispiel in der Pflege zu ergreifen und wie können diese auch dort gehalten werden?
Dr. Andreas Philippi: Es gibt nur wenige Tätigkeiten, die sinnstiftender sind als die vielfältigen Berufe des Gesundheitswesens. Sie sind krisenfest und gut bezahlt, mittlerweile auch in der Pflege. Es nehmen ja auch immer mehr junge Menschen die Ausbildung auf, das ist ein erfreulicher Trend. Gleichwohl wird es nicht reichen, der Bedarf steigt, weil die Menschen in Deutschland immer älter werden. Daher werden wir noch mehr Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, aber auch Apothekerinnen und Apotheker, medizinische Fachangestellte - alle Professionen der Gesundheits- und Heilberufe werden benötigt und sind gefragt. Es sind also Berufe mit Zukunft und ich werbe bei jungen Leuten mit Nachdruck dafür, Teil dieser Zukunft zu werden. Es ist aber auch klar: Wir müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessern, damit es attraktiv bleibt und noch attraktiver wird, im Gesundheitswesen zu arbeiten.
TK: Gerade hat die Krankenhausreform den Bundesrat passiert - heißt es für Sie jetzt erst einmal durchatmen oder ganz im Gegenteil: Ärmel hochkrempeln und die eigentliche Arbeit beginnt?
Dr. Philippi: Durchatmen im Sinne von Füße hochlegen ist nicht drin. Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) tritt zum 1. Januar 2025 in Kraft und gibt uns einen straffen Zeitplan vor. Aber natürlich werde ich rund um die Weihnachtsfeiertage auch eine Erholungsphase haben mit Besinnlichkeit und Familie. Dann geht es aber auch zügig weiter: Verhandlungen mit dem Bund über die Rechtsverordnungen, technische, organisatorische rechtliche Vorbereitung der Beantragung der Leistungsgruppen. Allen ist klar: Wir stehen am Startpunkt der Reform, wir sind nicht im Ziel.
Durchatmen im Sinne von Füße hochlegen ist nicht drin.
TK: Ab dem 15. Januar 2025 wird die ePA sukzessive deutschlandweit ausgerollt. Mit TK-Safe geht die Techniker Krankenkasse schon länger diesen Weg. Was versprechen Sie sich von der Einführung und was sind perspektivisch Vorhaben für ein digitales Gesundheitswesen?
Dr. Philippi: Ich bin sehr froh, dass es endlich spürbare Fortschritte geben wird. Ein erfolgreicher Roll-out wäre ein ganz wichtiges Signal, dass wir als Deutschland Digitalisierung im Gesundheitswesen eben doch können. Und wir müssen es können, denn - wir haben eben schon über das Thema Fachkräftemangel gesprochen- für eine gute Versorgung der Menschen wird es immer wichtiger sein, dass die Zeit des Fachpersonals auch tatsächlich für die Patientinnen und Patienten genutzt wird. Eine bessere Nutzung und ein sinnvoller Austausch der Gesundheitsdaten kann ein ganz wichtiger Baustein dafür sein. Da dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Ich sehe große Entlastungspotentiale auch durch den Einsatz von KI. Ich finde, wir dürfen insgesamt etwas mutiger und offener sein, ohne naiv und blind alles auf diese Karte zu setzen. Die TK hat im Übrigen vorgemacht, wie man alle Belange verantwortungsbewusst zusammenbringen kann.
Ich finde, wir dürfen insgesamt etwas mutiger und offener sein, ohne naiv und blind alles auf diese Karte zu setzen.
TK: Anfang des kommenden Jahres steht die Bundestagswahl vor der Tür. Wo sehen Sie Chancen für Niedersachsen sich gesundheitspolitisch einzubringen?
Dr. Philippi: Wer auch immer in der kommenden Legislaturperiode in der Bundesregierung und auch im Bundestag Verantwortung für die Gesundheitspolitik übernehmen wird, kann sich auf ein weiterhin sehr engagiertes Land Niedersachsen einstellen. Es gibt weiterhin sehr viel zu tun und wir werden bei allen relevanten Themen die Position eines großen Flächenlandes vernehmbar einbringen. Das gilt selbstredend für die weitere Umsetzung der Krankenhausreform.
Es gibt weiterhin sehr viel zu tun und wir werden bei allen relevanten Themen die Position eines großen Flächenlandes vernehmbar einbringen.
Zudem gibt es bei der Pflege große Baustellen. Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) ist dringend zu modernisieren. Angst vor Alter und Pflege dürfen wir nicht hinnehmen. Dazu gehört auch, dass wir sehr ehrlich miteinander sind und uns die Frage beantworten, was gute Pflege kosten darf und muss und welche Leistungen von wem wie übernommen werden.
Aber auch die Verbesserung der ambulanten Versorgung muss mit Nachdruck vorangebracht werden. Wir brauchen mehr Generalistinnen und Generalisten beziehungsweise Hausärztinnen und Hausärzte innerhalb der Ärzteschaft. Niedersachsen hat da bereits einiges initiiert und wird ein weiteres Konzept vorlegen, aber es bedarf zusätzlich bundesweiter Schritte. Ich bin zudem der festen Überzeugung, dass es nicht länger sein kann, dass gesetzlich Versicherte bei den Facharztterminen derart schlechter gestellt werden. Da muss der Bund mit den Ländern dringend über Maßnahmen sprechen, wie sich diese Unwucht beheben lässt.
Auch bei den Hybrid-DRGs muss das Tempo dringend erhöht werden. Nur so kommen wir beim sektorenübergreifenden Ausbau voran.
Und nicht zuletzt müssen wir uns mit dem Thema Arzneimittel- und Medikamentenversorgung befassen. Zum einen gilt es, die eigentümergeführten Apotheken zu stärken, das ist für uns ganz wichtig, weil wir sehr viele Apotheken im ländlichen Raum verlieren könnten, wenn es nicht zu strukturellen Verbesserungen kommt. Die von der noch amtierenden Bundesregierung angedachten Vorhaben reichen entweder nicht aus, oder führen - so wie die Apotheke light - in die grundsätzlich falsche Richtung. Klar ist, es müssen die Honorare schnell angepasst werden, das wird sich eine neue Bundesregierung weit oben auf die To-Do-Liste setzen müssen. Außerdem ist es erforderlich, dass sich Deutschland und Europa bei der Arzneimittel- und Medikamentenproduktion wieder autarker machen und breiter aufstellen. Die wiederkehrenden Engpasslagen zeigen, dass es hier einen nachhaltigen Handlungsbedarf gibt. Wir reden dabei über einen enorm komplexen Sachverhalt, beim dem viele Aspekte zu berücksichtigen sind - umso wichtiger ist, dass diese Debatte geführt wird.
Zudem kommt mir ein Thema zu kurz und das ist die Prävention.
TK: Wir gucken auf ein spannendes Jahr 2024 zurück. Gerade in Hinblick auf die Zielgerade gab es noch einige Wendungen und Überraschungen. Wie schauen Sie persönlich auf das bisherige Jahr zurück und wie blicken Sie auf das kommende Jahr?
Dr. Philippi: Es ist wohl menschlich, dass ein gerade zu Ende gehendes Jahr als besonders intensiv, aufregend, ereignisreich oder gar verrückt wahrgenommen wird. Von daher sind solche individuellen Jahresrückblicke immer mit Vorsicht zu genießen.
Aber wenn Sie mich jetzt fragen: Ich glaube es war ein Jahr, in dem wichtige Weichen gestellt wurden. Ganz wichtig war natürlich, dass wir mit dem KHVVG die Grundlage für die Umsetzung der Krankenhausreform legen konnten. Das hat zwei Jahre Vorarbeiten erfordert - jetzt haben alle wenigstens Handlungssicherheit. Mir war auch sehr wichtig, diesen Prozess im Dialog mit den Krankenhäusern, Kassen und Kommunen gemeinsam zu begleiten. Daher haben wir in 2024 erneut die Versorgungsregionen in Niedersachsen besucht, um die Einschätzungen von vor Ort mitnehmen zu können in den Verhandlungen mit dem Bundesgesundheitsminister. Das war sehr gewinnbringend und hat die Krankenhausreform besser gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass so ein Dialogprozess vor wichtigen Entscheidungen mit denjenigen, die in der konkreten Umsetzung gefragt sein werden, viel regelmäßiger erfolgen sollte.
Ich bin davon überzeugt, dass so ein Dialogprozess vor wichtigen Entscheidungen mit denjenigen, die in der konkreten Umsetzung gefragt sein werden, viel regelmäßiger erfolgen sollte.
Zugleich ist Vieles im Gesundheitsbereich weiterhin unklar, das bedauere ich durchaus. Die vorgezogene Bundestagswahl und die bis dahin unklaren bundespolitischen Verhältnisse werden Zeit kosten, und diese geht zulasten dringend notwendiger Reformen. Von daher ist der Blick zurück auch der Blick nach vorne: Wir haben für die Menschen in unserem Land, die medizinische Hilfe benötigen, die gepflegt werden müssen, für die Therapie oder Rehabilitation wichtig sind, noch sehr viel zu regeln. Und dabei die Beträge sehr ernsthaft im Blick behalten, die schlechten Tendenzen dürfen sich nicht fortsetzen. Dafür werde ich mich auch in 2025 mit Herzblut einsetzen. Und mein Wunsch für 2025 wäre, mehr über Prävention zu reden. Da gibt es noch ganz viele ungenutzte Potentiale zur Verbesserung der Gesundheit und zur Schonung der Beiträge.
Und mein Wunsch für 2025 wäre, mehr über Prävention zu reden.
TK: So kurz vor Weihnachten stellt sich natürlich noch eine besonders wichtige Frage: Kartoffelsalat mit Würstchen, oder Gans an Heiligabend?
Dr. Philippi: Auf jeden Fall Kartoffelsalat und Würstchen, kalt. Da freue ich mich schon jetzt drauf!
Zur Person
Andreas Philippi wurde am 4. Juli 1965 in Wehrda (jetzt Marburg) geboren. Nach dem Abitur in Bad Zwesten-Oberuff an der CJD - Christophorusschule im Jahr 1984 begann er die berufliche Laufbahn des späteren Facharztes für Chirurgie. Nach seiner Facharztausbildung wurde er im Jahr 2001 Facharzt für Chirurgie. Seit 2006 ist er zudem Mitglied des Stadtrates von Herzberg am Harz und promovierte im selben Jahr mit der Dissertation "Entwicklung und Diagnostik in der Therapie des primären Hyperparathyreoidismus".
Von 2009 bis 2021 war Dr. Philippi ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) Herzberg Klinik. Während dieser Zeit trat er auch in die Politik ein und wurde Mitglied des Kreistages des Landkreises Göttingen (zuvor Osterode) im Jahr 2011. Zudem übernahm er von 2016 bis 2021 die Rolle des stellvertretenden Landrates und war Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gleichstellung und Integration im Landkreis Göttingen. Darüber hinaus war er Mitglied des Aufsichtsrates der Kreiswohnbau Osterode am Harz/Göttingen GmbH.
Von 2021 bis 2023 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und ist als Facharzt für Chirurgie am Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Herzberg Klinik tätig. Seit dem 25. Januar ist Dr. Andreas Philippi Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung.