Wie Minister Jung für Entlastung in der Pflege sorgen möchte
Interview aus Saarland
Dr. Magnus Jung ist seit April 2022 Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit im Saarland. Ein Kernthema für ihn ist das Thema Pflege. Im Interview geht er auf das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz ein, bewertet die aktuelle Situation und erläutert Entlastungsmöglichkeiten für die Branche.
TK: Sehr geehrter Herr Minister, die Bundesregierung hat kürzlich das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz verabschiedet. Ist das der große Wurf, der so dringend gebraucht wird?
Minister Dr. Magnus Jung: Das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz ist ein großer und wichtiger Baustein auf dem Weg zur Verbesserung der Pflege. Gute Pflege ist mit immer höher werdenden Kosten verbunden. Diese Mehrbelastung dürfen wir nicht allein den Pflegebedürftigen und Angehörigen überlassen, sondern wir müssen uns mit ihnen solidarisch zeigen. Die Erhöhung des Pflegegeldes sowie der Zuschläge an Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen sind an dieser Stelle wichtige Entlastungen. Das Saarland hat sich außerdem besonders für die Finanzierung von Modellvorhaben für Unterstützungsangebote für Pflegende stark gemacht. Zudem wird die finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung in einem ersten Schritt stabilisiert und die Digitalisierung in der Langzeitpflege gestärkt. Nicht zuletzt werden die Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende verbessert.
TK: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Pflege im Saarland ein?
Bis 2030 werden wir in der ambulanten und stationären Pflege 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich benötigen.
Dr. Jung: Die Erkenntnis, dass sich die Pflegesituation aufgrund der gerade im Saarland zunehmend älteren Bevölkerung, in Kombination mit dem Fachkräftemangel, aktuell zuspitzt, ist nicht neu. Bis 2030 werden wir in der ambulanten und stationären Pflege 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich benötigen, um den Bedarf der pflegebedürftigen Menschen im Saarland adäquat zu decken. Das stellt uns alle vor große Herausforderungen. Deshalb haben wir im Dezember 2022 die Konzertierte Aktion Pflege Saar (KAPSaar) gestartet. Mit dieser Aktion wollen wir dafür sorgen, dass der Pflegeberuf und die Pflegeausbildung attraktiv bleibt bzw. attraktiver wird und die Pflege auch künftig in allen Versorgungsbereichen gewährleistet ist.
Zielsetzung der KAPSaar ist es, mit einer besseren Gestaltung der Arbeitsbedingungen die jetzigen Pflegekräfte im Beruf zu halten, die Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu verbessen, um damit bis zum Jahr 2030 die erforderliche personelle Ausstattung in der Pflege zu gewährleisten. An vorgenannten Zielen wirken zurzeit 230 Personen in einer oder mehrerer der sieben Arbeitsgruppen der KAPSaar mit. An diesem Prozess können alle in der Pflege tätigen Personen mitwirken und ihre Ideen, Anliegen und Vorschläge einbringen. Dies gilt auch für auch diejenigen, die bis Dato noch nicht beteiligt sind!
TK: Was muss die Politik auf Bundes- und Länderebene darüber hinaus tun, um die verschiedenen Problemfelder der Pflege zu lösen?
Digitalisierung, gendermedizinische Aspekte und die Möglichkeit von Auslandsaufenthalten sollen in der Pflegeausbildung stärker berücksichtigt werden.
Dr. Jung: Momentan wird ja auf Bundesebene bereits an vielen Vorhaben gearbeitet, zum Beispiel am Entwurf des Pflegestudiumsstärkungsgesetzes. Dieses sieht vor, dass Studierende in der Pflege für die gesamte Dauer ihres Studiums eine angemessene Vergütung erhalten. Auch die Finanzierung des praktischen Teils der hochschulischen Pflegeausbildung soll in das bestehende Finanzierungssystem der beruflichen Pflegeausbildung integriert werden. Digitalisierung, gendermedizinische Aspekte und die Möglichkeit von Auslandsaufenthalten sollen in der Pflegeausbildung stärker berücksichtigt werden. Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte werden vereinheitlicht und vereinfacht. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, auf eine umfassende Gleichwertigkeitsprüfung, zugunsten einer Kenntnisprüfung oder eines Anpassungslehrgangs, zu verzichten. Daneben werden die rechtlichen Rahmenbedingungen der beruflichen Pflegeausbildung weiter verbessert und an aktuelle Entwicklungen, z.B. im Bereich der Digitalisierung, angepasst.
Auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das voraussichtlich noch in dieser Woche vom Bundestag verabschiedet wird, wird im Bereich des Fachkräftemangels in der Pflege Abhilfe schaffen können. Künftig soll es Ausländerinnen und Ausländern aus Nicht-EU-Ländern ermöglicht werden, mit einer "Chancenkarte" auf der Basis eines Punktesystems zur Arbeitssuche nach Deutschland zu kommen. Fachkräfte mit Berufsabschluss und -erfahrung können kommen, ohne dass sie vorher ihren Abschluss von Deutschland anerkennen lassen müssen. Für Ausländerinnen und Ausländer mit einem von Deutschland anerkannten Abschluss sollen die Hürden gesenkt werden.
Von der geplanten Krankenhausreform, zu der der Bund voraussichtlich Ende Juni ein Eckpunktpapier vorlegen wird und auf dieser Grundlage im Sommer 2023 unter Einbeziehung der Länder einen Referentenentwurf erarbeiten will, erwarten wir ebenfalls Verbesserungen, für die Krankenhäuser selbst und somit auch für die Beschäftigten.
Wir müssen uns gemeinsam mit Bund und Ländern auch weiterhin für eine deutliche Aufwertung der Pflege und des Pflegeberufs einsetzen.
Nichtsdestotrotz müssen wir uns gemeinsam mit Bund und Ländern auch weiterhin für eine deutliche Aufwertung der Pflege und des Pflegeberufs einsetzen. Hierzu muss auch weiterhin für spürbare Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege gesorgt werden. Die Menschen in der Pflege sind unsere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren: Geht es ihnen gut, werden wir auch weitere Menschen für den Beruf gewinnen können. Geht es ihnen schlecht, werden dort auch zukünftig zahlreiche Fachkräfte fehlen. Das negative Image des Pflegeberufs, das sich mittlerweile in vielen Köpfen findet, können wir nur positiv verändern, wenn alle Akteure, also auch die Einrichtungen, in denen die Menschen arbeiten, an einem Strang ziehen.
TK: Wir als TK sehen eine Entlastungsmöglichkeit in einer Digitalisierung und Entbürokratisierung der Pflege. Was sagen Sie dazu?
Dr. Jung: Digitalisierung bietet vielfältige Chancen, muss aber auch konkret umsetzbar sein, sowohl technisch als auch menschlich. Diejenigen, die mit den digitalen Formaten umgehen sollen, müssen darauf intensiv vorbereitet werden. Nur wenn die Technik nach einer Einarbeitung als entlastend empfunden werden kann und die Abläufe in der Handhabung weniger Aufwand bedeuten, werden wir einen tatsächlichen Nutzen erreichen können. Wir im Saarland arbeiten mit vielen Akteuren an der Umsetzung des virtuellen Krankenhauses und haben dafür auch bereits eine Auszeichnung erhalten.
TK: Welche Rolle spielen familienfreundliche Arbeitszeitmodelle und ein gutes Betriebliches Gesundheitsmanagement, um die Attraktivität zu steigern?
Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Faktor für die Bereitschaft, in der Pflege zu bleiben.
Dr. Jung: Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Faktor für die Bereitschaft, in der Pflege zu bleiben. Ist die Kinderbetreuung oder die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger sichergestellt und ist im besten Fall neben der Schicht noch Zeit für Familie, Bekannte und Hobbys übrig, entsteht mehr Zufriedenheit. Dies gilt übrigens auch für andere Berufe. Auch das betriebliche Gesundheitsmanagement ist eine wichtige Säule der Gesundheitsfürsorge und Prävention und trägt somit zur Gesunderhaltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei.
Beide Maßnahmen sind Zeichen des Respekts, der Wahrnehmung und Wertschätzung gegenüber den Pflegekräften. Gute Erfahrungsberichte der Beschäftigten sprechen sich schnell rum und sind die beste Werbung für ein Unternehmen. Dementsprechend erhöht sich die Attraktivität des Arbeitgebers.
TK: Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten wichtigen Schritte, um eine spürbare Entlastung für Pflegekräfte, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige zu schaffen?
Dr. Jung: Auf Landesebene werden wir nun zügig die Maßnahmen der Konzertierten Aktion Pflege Saar benennen und umsetzen. Diese werden zum Beispiel die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine bessere Personalausstattung, Stärkung der Pflegeprofession und der akademisierten Pflege, Digitalisierung, Vereinfachung von Anerkennungsverfahren und Unterstützung von internationalen Auszubildenden und Pflegekräften sowie Stärkung der Pflegeausbildung und eine bessere Darstellung der Pflege in der Öffentlichkeit betreffen.
Mit dem vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit in Auftrag gegebenen Pflegeinfrastrukturbericht erwarten wir einen vertieften Überblick über die pflegerischen Versorgungsperspektiven der Bevölkerung im Bereich der Langzeitpflege. Daraus möchten wir eine bedarfsgerechte und ressourcen- sowie präferenzorientierte Pflegeinfrastrukturplanung generieren.
Durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege und eine Erhöhung des Personals sowie eine qualifikationsgerechte Aufteilung der pflegerischen Tätigkeiten können zukünftig auch Entlastungs- und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige ausgebaut werden. Hierzu zählen Beratungsstellen, Betreuungsmöglichkeiten im häuslichen, teilstationären und stationären Bereich, sowie Quartiersprojekte. Wir werden zudem auch weiter mit vielen Maßnahmen, wie z.B. der Landarztquote und der "Gemeindeschwester", auf eine gute, flächendeckende Versorgung von pflegebedürftigen Menschen im Saarland hinarbeiten.
Die Saarländische Landesregierung hat Ende März 2023 neue Rahmenverträge mit den Partnern der saarländischen Pflegestützpunkte geschlossen. Durch das Einrichten einer gemeinsamen Fachstelle Pflegestützpunkte im Sozialministerium wird eine wichtige Grundlage geschaffen, um die Situation für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen im Saarland durch fachmännische Beratung und Antragshilfen weiter zu verbessern. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige werden zukünftig zudem auf ein flexibles Entlastungsbudget für Kurzzeit- und Verhinderungspflege zurückgreifen können, das im neuen Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) zusammengelegt wurde.
Mit der Weiterentwicklung der saarländischen Demenzstrategie und der zusätzlichen Förderwelle des Bundes wird in St. Wendel ein Netzwerk Demenz entstehen. Dies kommt insbesondere pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenzerkrankung zugute.
Zur Person
Dr. Magnus Jung gehört seit 2009 dem saarländischen Landtag an. Der SPD-Politiker war von 2014 bis 2022 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und war in der vergangenen Legislaturperiode als gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion auch Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Seit 26. April 2022 ist er als Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit vereidigt.