Von der Automobilbranche zum etwas anderen "Störfaktor" in der Klinik
Interview aus Saarland
Gerhard Schaller hat 30 Jahre in der Automobilbranche gearbeitet. Nun wartet ein ganz anderer Bereich auf ihn: Er soll die Digitalisierung und die Automatisierung im Klinikum Saarbrücken vorantreiben. Wie es zu der ungewöhnlichen Zusammenarbeit kam und wie diese bisher funktioniert, haben wir in einem Doppelinterview mit ihm und seinem neuen Chef, Dr. Christian Braun, besprochen.
TK: Sehr geehrter Herr Schaller, Sie sind Experte für Digitalisierung, Automatisierung und jetzt auf einmal in einem komplett neuen Umfeld beim Klinikum Saarbrücken. Wie kam der Kontakt zustande und was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe?
Gerhard Schaller: Es war eher ein Zufallsprodukt. Ich war 30 Jahre in der Automobilindustrie und suchte nach neuen spannenden Herausforderungen. So bin ich auf die Stellenanzeige des Klinikums gestoßen. Dabei habe ich mich sofort angesprochen gefühlt, habe mich aber auch gefragt, was versteht eine Klinik unter digitaler Transformation und was hat man dort für Herausforderungen? Nach kurzer Recherche war ich der Meinung, dass ich da helfen kann. Es waren viele Themenfelder beschrieben, die wir in der Automobilindustrie seit Jahren vorangetrieben haben. Warum soll das nicht auch in einer Klinik funktionieren?
TK: Herr Dr. Braun, wie kam es denn zur Idee, einen externen Experten heranzuziehen?
Dr. Christian Braun: Wir haben bewusst den Blick über den Tellerrand gewagt und die Stellenausschreibung branchenübergreifend geöffnet. Ich glaube, es steht außer Frage, dass das Gesundheitswesen im Bereich der Digitalisierung noch Nachholbedarf hat. Es gibt andere Branchen, die hier weiter sind und von denen wir lernen können. Wir wollten deshalb ganz bewusst einen Perspektivwechsel reinbringen und jemand Externes einstellen, der noch nicht im System unterwegs war. Und ich glaube, das ist uns mit Herrn Schaller mehr als gelungen.
TK: In welchen Bereichen sehen Sie bei der Zusammenarbeit denn das meiste Potenzial und wer profitiert letztlich von den Maßnahmen?
Schaller: Da gibt es mehrere Bereiche, allen voran das operative Geschäft, also die direkte Patientenversorgung. Durch gesetzliche Vorschriften ist viel Dokumentation nötig. Hier gilt es, wegzukommen vom Papier, hin zu schlanken Prozessen, die möglichst automatisiert laufen, sodass mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten bleibt.
Ein Krankenhaus ist aber auch ein Wirtschaftsunternehmen. Und wenn Sie Dienstleistungen anbieten, sind Sie natürlich auch daran interessiert, diese zeitnah bezahlt zu bekommen. Dafür muss das Erstellen von Abrechnungen einfacher und schneller gehen - im besten Fall automatisch. So kann das Geld schneller zurück ins Krankenhaus fließen. Auch die Verwaltung und letztlich die Patientinnen und Patienten profitieren von der Digitalisierung. Denn je schneller notwendige Informationen zur Verfügung stehen, desto schneller und besser können Ärztinnen und Ärzte Entscheidungen treffen.
Dr. Braun: Es ist für viele das Sinnbild der Digitalisierung: Ich habe kein Papier mehr, sondern ein Tablet. Das ist am Ende aber nur ein "Abfallprodukt" eines Digitalisierungsprozesses, einer Strategie, für die es eine Struktur und auch Überzeugungsarbeit braucht. Das ist eine der Rollen, die Herr Schaller innehat: Die Belegschaft auf diesem Weg der Digitalisierung mitzunehmen und vor allen Dingen die Strukturen und Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren. Digitalisierung bedeutet letztlich einen tiefgreifenden Wandel und viel, viel mehr als nur dieses viel besungene Tablet. Wir brauchen neue, objektive Impulse von außen. Und das gelingt bisher, glaube ich, ganz gut.
TK: Welches Echo hat die Zusammenarbeit denn ausgelöst - extern, aber vor allem auch hausintern?
Dr. Braun: Als die Stelle ausgeschrieben wurde, wurde das positiv aufgenommen. Als klar war, dass jemand Externes mit nachgewiesen hoher Expertise kommt, hat das neugierig gemacht. Es war aber auch ein klares Signal an die Belegschaft: Ja, wir wollen wirklich etwas verändern. Deshalb war die Entscheidung ein enorm wichtiger Schritt mit hohen Erwartungen. Diese wurden von Herrn Schaller, so die Rückmeldungen bisher, erfüllt, weil er eben diesen frischen Wind reinbringt. Dass Veränderungen an der ein oder anderen Stelle auch mal unangenehm sein können, ist klar und wird im Prozess immer wieder passieren. Aber der Grundtenor ist positiv.
TK: Herr Schaller, wie sind Sie bisher aufgenommen worden?
Schaller: Ich war wirklich extrem positiv überrascht. Wenn man Dinge verändern will und ganz vorne mitspielen möchte, braucht es immer ein Team mit einer gewissen Leidenschaft, das die Ziele kontinuierlich verfolgt. Digitalisierung heißt übergreifend denken, sich also auch mit Nachbarprozessen zu beschäftigen. Diese Bereitschaft habe ich hier bisher sehr stark wahrgenommen! Auch die Unterstützung des interdisziplinären Teams, das ich zur Seite gestellt bekommen habe, ist super. Und das alles, obwohl ich ja irgendwo zunächst mal ein "Störfaktor" bin. Von daher empfinde ich die die Zusammenarbeit als extrem angenehm.
TK: Wenn wir etwa fünf Jahre in die Zukunft schauen, was muss eingetroffen sein, dass die Zusammenarbeit erfolgreich war?
Dr. Braun: Unser Blick geht eigentlich gar nicht so weit, weil wir durch das Krankenhauszukunftsgesetz eine Förderung erhalten und da entsprechende Fristen vorgegeben sind. Der Herbst nächsten Jahres ist daher ein erster wichtiger Meilenstein. Doch damit ist natürlich der Bereich Digitalisierung im Klinikum noch nicht abgeschlossen.
Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck, sondern soll und muss einen Mehrwert bieten - insbesondere für die Mitarbeitenden. Mit Blick auf den Fachkräftemangel kann das ein entscheidender Faktor sein. Außerdem bieten eine gut eingesetzte Digitalisierung Chancen für das Aufbrechen der noch immer recht starren Sektorengrenzen. Das würde alle Beteiligten entlasten. Je besser wir das alles hier umsetzen, desto attraktiver wird auch unser Klinikum im Wettbewerb mit anderen. Und ich glaube, da haben wir uns auf einen ganz guten Weg begeben.
TK: Ist das auch Druck für Sie, Herr Schaller?
Schaller: Was heißt Druck? Ich nenne das immer ‚positive Anspannung‘ und das braucht man, um erfolgreich zu sein. Mir ist wichtig, dass ich die Menschen hier im Klinikum unterstützen kann und durch meine Arbeit keine Stellen gestrichen werden. Das war auch eine Bedingung für mich, bevor ich angefangen habe. Ich habe vor allem ein Ziel: Dass Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte, wie vom Gesetzgeber gefordert, 80 Prozent ihrer Arbeitszeit an den Patientinnen und Patienten ausüben können. Die Zeit zur Dokumentation muss also deutlich reduziert werden. Wenn wir das schaffen, bin ich glücklich - und ich denke, viele andere auch. Das steigert zudem die Attraktivität des Klinikums als Arbeitgeber und hilft bei der Nachwuchsgewinnung.