Digitale Behandlungspfade bergen noch viel Potenzial
Interview aus Saarland
Fernbehandlungen sind für Ärztinnen und Ärzte seit einigen Jahren möglich. Doch ist diese Option im Saarland schon in der Versorgungsrealität angekommen? Sanitätsrat Dr. Josef Mischo, Präsident der Ärztekammer des Saarlandes, geht im Interview unter anderem auf diese Frage ein.
TK: Sehr geehrter Herr Dr. Mischo, Sie haben sich als Präsident der Ärztekammer des Saarlandes und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer in den vergangenen Jahren sehr für das Thema Fernbehandlung eingesetzt. Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung?
Dr. Josef Mischo: Ich bin nur bedingt zufrieden. Fernbehandlung und Telemedizin erreichen zunehmend Bedeutung in der medizinischen Versorgung. Das Potenzial ist aber bei weitem noch nicht ausgeschöpft!
TK: Während der Coronapandemie hat das Thema auch im Saarland Fahrt aufgenommen. Warum stagniert die Entwicklung aktuell?
Dr. Mischo: In der Pandemie hatten sich die Vorteile der Fernbehandlung deutlich gezeigt: kein Arztkontakt in Präsenz mit dem Risiko der Infektionsübertragung in der Praxis. Obwohl derzeit wieder eine starke Erkältungswelle einschließlich Covid-Erkrankungen herrscht, ist das Risikobewusstsein in der Bevölkerung geringer als in der Zeit der Pandemie. Im Praxisalltag dominieren aktuell andere Probleme, wie zum Beispiel eine hohe Arbeitslast durch nicht besetzte Hausarztpraxen. In dieser Situation besteht weder bei Patienten noch bei Ärzten ein nennenswertes Interesse an Fernbehandlung.
TK: Was muss passieren, um das Potenzial der digitalen Behandlungspfade weiter auszuschöpfen?
Dr. Mischo: Die telemedizinische Versorgung wird in naher Zukunft stark zunehmen. Die Krankenhausreform wird zu intensiverer Kooperation zwischen kleineren Krankenhäusern (Level I /sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen) und spezialisierten Zentren führen. Mit telemedizinischer Unterstützung wird dadurch eine fundierte Diagnostik möglich, ohne dass der Patient beziehungsweise die Patientin verlegt werden muss. Ähnliches gilt für Hausbesuche, die verstärkt durch nichtärztliche Fachkräfte durchgeführt werden können. Die medizinische Fachangestellte kann in Echtzeit telemedizinisch Befunde an den Hausarzt übermitteln und die Therapie abstimmen. Der Arzt kann in der Praxis bleiben und spart die Wegezeit. Dieses Modell funktioniert auch beim Telenotarzt. Der Rettungssanitäter vor Ort stimmt sich telemedizinisch mit dem Notarzt ab. Für die Qualifikation des Telenotarztes hat die Bundesärztekammer ganz aktuell ein Fortbildungscurriculum erstellt.
TK: Welche Rolle spielen dabei e-Rezept, e-AU und ePA?
Dr. Mischo: Die elektronische Patientenakte (ePA) wird eine wichtige Rolle für eine verbesserte, sichere und schnelle Patientenversorgung spielen. Bisher haben wir ein großes "Schnittstellenproblem". Dem behandelnden Arzt, zum Beispiel in der Notaufnahme eines Krankenhauses oder bei einer erstmaligen fachärztlichen Vorstellung, liegen die Befunde von Voruntersuchungen oder zur bisherigen Therapie nicht oder nur lückenhaft vor. Die ePA erlaubt eine deutlich verbesserte Information.
e-Rezept und e-AU spielen aus meiner Sicht für die Verbesserung der Versorgung keine nennenswerte Rolle. Sie können vielleicht Verwaltungsabläufe optimieren.
TK: Können die neuen digitalen Möglichkeiten einen Teil zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung im Saarland leisten?
Dr. Mischo: Ja, die neuen digitalen Möglichkeiten werden einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung leisten.
Zur Person
Sanitätsrat Dr. Josef Mischo ist Facharzt für Chirurgie (Schwerpunkt Unfallchirurgie) und arbeitet in der Marienhausklinik in Ottweiler. 2009 wurde er zum Vizepräsidenten, 2010 zum Präsidenten der Ärztekammer des Saarlandes gewählt. Außerdem ist er seit 2010 Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer.