Die digitale Zukunft der Pflege: Pragmatisch und unbürokratisch
Interview aus Hamburg
Die Pflege steht vor riesigen Herausforderungen - bereits aktuell, aber auch langfristig. Auf der einen Seite stehen eine immer älter werdende Gesellschaft und hoher Pflegebedarf, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Pflegefachkräfte.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind neue Ideen und Lösungen gefragt. Im "Zur Sache" stellt Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, vor, was digitale Angebote und Prozesse hier leisten können und wo ihre Grenzen liegen.
TK: Frau Puttfarcken, Welche Ideen hat die TK, um die Pflege von morgen zu gestalten?
Maren Puttfarcken: Als TK beschäftigen wir uns ja schon länger mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen und damit auch in der Pflege. Um den wachsenden Herausforderungen für Pflegende und Pflegebedürftige, aber auch für die Pflegefachkräfte zu begegnen, kann die Digitalisierung helfen. Davon sind wir überzeugt. Eine Option, um Entlastung zu schaffen, ist der Einsatz digitaler Lösungen - sei es beim Organisieren und Dokumentieren von Pflegeleistungen, in der Kommunikation aller Beteiligten, in der Pflegeschulung, als Sensortechnik im Sinne von Smart Home-Lösungen für zu Hause - die Möglichkeiten sind vielfältig.
Die TK hat in einem Positionspapier zehn Ideen entwickelt, wie eine digitale und unbürokratische Pflege die Menschen unterstützen kann. Eine der Ideen ist zum Beispiel die Einführung eines bundesweiten Onlineportals für freie Pflegekapazitäten. Vor allem die Suche nach Kurzzeitpflegeplätzen, die ein wichtiges Angebot für die Entlastung pflegender Angehöriger sind, gestaltet sich für die Betroffenen oft schwierig. Daher: Wo es freie Kapazitäten gibt, müssen pflegende Angehörige davon erfahren, um zielgerichtet entlastet zu werden. Dafür muss der Gesetzgeber die Grundlage schaffen und alle Einrichtungen verpflichten, ihre freien Kapazitäten auf dem Portal transparent zu machen.
Wir befürworten ebenso die neuen Zulassungsmöglichkeiten für digitale Pflegeanwendungen, damit sie möglichst bald in der Praxis genutzt werden können. Gleichzeitig müssen aber auch alle Maßnahmen ergriffen werden, dass die digitale Gesundheitskompetenz der Pflegenden insgesamt - also der pflegenden Angehörigen und der professionell Pflegenden - erhöht wird. Daher ist eine Förderung der Kommunikationskompetenz aufseiten der Leistungserbringer nötig. Die TK schlägt daher vor, dass Leistungserbringer eine systematische Aus- und Weiterbildung absolvieren müssen zu allen für Pflege und Therapie relevanten ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Ideen.
Als TK leitet uns die Frage, wie wir den Pflegenden helfen können, damit möglichst viel ihrer knappen Zeit für die tatsächliche Hinwendung zu den Gepflegten übrigbleibt. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung hier eine entscheidende Rolle spielt.
TK: Und woran hakt es bei der Umsetzung am meisten?
Puttfarcken: Wir sehen im Bereich der Pflege dieselben Umsetzungsprobleme bei der Digitalisierung, die wir auch im Gesundheitswesen insgesamt haben. Das deutsche Gesundheitswesen besteht aus vielen unterschiedlichen Akteuren und Interessen. Das erschwert die digitale Transformation. Weiterhin sind wir sehr sicherheitsaffin. Wir konzentrieren uns stets auf die Risiken und Gefahren, bremsen so aber Innovationen aus. In der aktuellen Situation können wir es uns aber nicht mehr leisten, langsam nach allumfassend fertigen Lösungen zu schauen. Wir müssen jetzt handeln, um das aktuelle Versorgungsniveau halten zu können. Dazu gehören auch mal neue, unfertige Ideen.
Insgesamt wurden in der Pflege durch die Gesetzgebung und die Konzertierte Aktion Pflege wichtige Impulse gesetzt. Daraus resultiert eine gesellschaftliche und finanzielle Anstrengung, die sowohl in der Bezahlung der professionellen Pflege als auch in der Absicherung der pflegenden Angehörigen Wirkung zeigen wird. Als TK leitet uns die Frage, wie wir den Pflegenden helfen können, damit möglichst viel ihrer knappen Zeit für die tatsächliche Hinwendung zu den Gepflegten übrigbleibt. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung hier eine entscheidende Rolle spielt. Wesentliche Schritte in Richtung dieser Strategie sind die Anbindung aller Beteiligten aus Pflege und dem Gesundheitswesen an die Telematik-Infrastruktur und der flächendeckende Roll-out der elektronischen Patientenakte. Pflege darf bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht einfach nur "mitgemeint" werden. Wir brauchen klar definierte Zielvorgaben zur digitalen Grundversorgung von Pflegebedürften.
TK: Und meinen Sie, dass diese Lösungen auch angenommen werden?
Puttfarcken: Der private Alltag der Menschen wird immer digitaler. Wir sehen, dass digitale Prozesse Aufgaben erleichtern und beschleunigen können, Bürokratie abbauen und die Menschen entlasten. In einer repräsentativen Forsa Umfrage im Auftrag der TK im Jahr 2023 gaben 89 Prozent der Norddeutschen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Niedersachsen an, sich vorstellen zu können, im Falle ihrer eigenen Pflegebedürftigkeit oder als Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen bestimmte digitale Technologien und Angebote zu nutzen. Vorausgesetzt, dass diese die Organisation ihres Pflegealltags erleichtern oder ihnen mehr Sicherheit im Alltag geben. Wir sehen also durchaus eine Offenheit gegenüber digitalen Hilfsmitteln in der Pflege.
Wichtig ist uns, dass die Pflege durch die Digitalisierung nicht "entmenschlicht" wird. Wir hoffen viel mehr darauf, dass die digitalen Lösungen mehr Zeit für menschliche Zuwendung schaffen.
Hintergrund
Für die bevölkerungsrepräsentative, telefonische Umfrage "Mix-Befragung 2023" im Auftrag der Techniker Krankenkasse befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa vom 11. April bis 2. Mai 2023 bundesweit insgesamt 1.400 Personen ab 18 Jahre. Die hier ausgewiesenen Teilergebnisse der bundesweiten Studie beziehen sich auf Norddeutschland; also die nördlichen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.
In der Umfrage " TK-Meinungspuls 2021 " finden sich weitere zentrale Ergebnisse aus dem Jahr 2021, wie Deutschland sein Gesundheitssystem sieht.