Das Gesundheitswesen in M-V braucht Innovationen
Artikel aus Mecklenburg-Vorpommern
Nur in drei Bundesländern sind die Einwohnerinnen und Einwohner durchschnittlich älter als in Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben die daraus entstehenden, besonderen Bedürfnisse an die Gesundheitsversorgung herausgearbeitet.
Mecklenburg-Vorpommern hat über 1.6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Mehr als eine Million Personen sind älter als 40 Jahre. Diese Gruppe stellt damit den gesellschaftlichen Mammutanteil an der Gesamtbevölkerung im Nordosten. Weniger Gesamteinwohnerinnen und -Einwohner haben nur das Saarland und Bremen. Der Bevölkerungsanteil Mecklenburg-Vorpommerns an der Bundesrepublik Deutschland beträgt rund 2.4 Prozent. Gleichzeitig besitzt das Land mit 23.295 km² die sechsgrößte Flächenausdehnung im Bundesgebiet. Der Anteil an der Gesamtfläche Deutschlands beträgt somit 6.5 Prozent.
Die Stadt Rostock hat mehr als 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die weiteren Städte folgen mit großem Abstand und einer Einwohnerzahl von deutlich unter 100.000 Personen. Damit wird deutlich, dass die Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern überwiegend in kleineren Städten sowie in ländlich gelegenen Orten lebt. Diese Bevölkerungsverteilung spiegelt sich nur teilweise in den Versorgungsstrukturen des Landes wieder. Beachtenswerter ist die Verteilung der vier Maximalversorger. Die großen Kliniken des Landes bilden auf der Landkarte ein Viereck, in dessen Mitte mehr als die Hälfte der Gesamtlandesfläche liegt. Mehr als die 20 der 37 Krankenhausstandorte befinden sich in den fünf Städten mit über 50.000 Einwohnern. Während die örtliche Zuordnung der stationären Versorgungsanbieter relativ einfach ist, benötigt die exakte regionale Zuordnung von ambulanten Leistungserbringenden deutlich komplexere Verfahren. Die sogenannten "Mittelbereiche" der ambulanten Bedarfsplanung, lassen keine exakte Übersicht der regionalen Angebotsstrukturen zu. Gleichwohl zeigen die Dokumente der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern, dass insbesondere in den stadtnahen Landkreisen Zulassungsmöglichkeiten für Haus- und Fachärzte bestehen.
Festzuhalten ist, dass die fachärztliche Versorgung beider Sektoren vor allem in den Städten des Landes konzentriert ist. Selbst in ländlichen Gebieten mit unmittelbarer Stadtnähe fehlen Leistungserbringende der Grund- und Spezialversorgung. Im Gegensatz zur Verteilung der Medizinerinnen und Mediziner, wohnen anteilig weniger Mecklenburger und Vorpommerinnen in größeren Städten. Allein aus der oberflächlichen Betrachtung der regionalen Versorgungsstrukturen wird deutlich, dass ein hoher Koordinations- und Abstimmungsbedarf zwischen den Leistungseinheiten besteht, damit Fehl-, Unter- und Überversorgung die Versorgung vor Ort nicht länger gefährden.
Besondere Versorgungsherausforderungen im Nordosten
Die bisherige strukturelle Betrachtung offenbart nur einen Teil der Komplexität der Versorgungssituation in Mecklenburg und Vorpommern. Eine detailliertere Analyse der Gesundheitssituation der Bevölkerung liefert weitere wichtige Informationen. Mehr als 60 Prozent der Menschen leiden hierzulande unter Übergewicht. Nur in Sachsen-Anhalt ist der Anteil übergewichtiger Personen an der Gesamtbevölkerung noch größer. Auch der mit zwölf Prozent hohe Anteil an Diabetikerinnen und Diabetikern an der Gesamtbevölkerung verdeutlicht versorgungspolitische Handlungsnotwendigkeiten. Außerdem sind rund 35 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Hypertonie in Behandlung.
Natürlich stellt die ärztliche Vergabe von Diagnosen noch kein ausreichendes Bild der Versorgungsbedarfe dar. Stattdessen könnte hinter vielen der genannten Erkrankungen auch die optimierte Vergabe von finanzierungsrelevanten Diagnosen durch die Ärztinnen und Ärzte stecken. Ein Gutachten von Prof. Dr. Busse (TU Berlin) zeigte bereits 2017, dass die dokumentierte Krankheitslast in Deutschland stärker stieg, als die von Vergleichsstudien ermittelte Krankheitslast der Gesamtbevölkerung im Land. Ungeachtet einer möglichen Verzerrung durch die Morbi-RSA Kodieroptimierung, zeigen die bundesweiten Spitzenplatzierungen einen grundlegend erhöhten Versorgungsbedarf an.
Bei jüngeren Personen und durch die Sars-CoV-2 Pandemie auch bei immer mehr Älteren, spielt sich der Alltag in "unbewegten" Settings ab. Der klassische Medienkonsum von Fernsehen und Zeitung erfolgt ebenfalls ohne kontinuierliche Bewegungsakzente, wie der überwiegende Teil der Smartphone-Nutzung oder das Spielen von Videospielen. Die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben die Anreize zu Bewegung an der frischen Luft und zur direkten menschlichen Interaktion zusätzlich reduziert. Damit deutet die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung eher auf eine Verschlechterung der Gesundheitssituation der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern hin.
Damit zukünftige Generationen länger und vor allem gesünder in Mecklenburg-Vorpommern leben können, bedarf es einer Optimierung der Gesundheitsversorgung. Dabei spielen sozial- und gesundheitspolitische Reformen eine wichtige Rolle. Denn viele der oben genannten Erkrankungen könnten sich durch eine Veränderung des Lebensstils und der Lebensumstände abmildern oder sogar kurieren lassen. Allerdings stehen diesen Veränderungen starke Mechanismen gegenüber. Oft können Patientinnen und Patienten lebenslang antrainierte Gewohnheiten nicht mehr aus eigener Kraft ablegen und gleichzeitig fehlen den Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen Interventionsmöglichkeiten im Alltag der Betroffenen. Dieses Nadelöhr der Versorgung müssen wir zukünftig angehen.
Mehr Engagement für ein gesundes Leben
Die geschilderten Problemlagen verdeutlichen, dass die Bevölkerungsmedizin über die pandemische Lage hinaus dauerhaft gestärkt werden muss. Als dritte Säule des Gesundheitswesens kann der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern leisten. Die Leistungen des ÖGD und die Versorgungsangebote der Krankenkassen müssen bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Ein stärkerer ÖGD sollte sich vor allem um die bevölkerungsbezogene Prävention kümmern. Der Präventionsauftrag der Gesundheitsämter muss folglich in allen Bereichen durch eine bessere materielle und personelle Ausstattung stabilisiert werden. Der Gesundheitsdienst ist prädestiniert dafür, gemeinsam mit anderen Akteuren, auf allen regionalen und kommunalen Ebenen auf eine bessere Gesundheitssituation hinzuwirken.
Bislang entzieht sich der Alltag der Patientinnen und Patienten den Interventionsmöglichkeiten der professionellen Gesundheitsversorgung. Ratschläge und Empfehlungen zur gesunden Lebensführung kommen dadurch nicht effektiv im täglichen Leben der Betroffenen an. Digitale Versorgungsangebote und Kommunikationsmöglichkeiten können zukünftig eine belastbare Brücke in den Alltag der behandelten Personen sein. Das Smartphone kann somit sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Ärztinnen und Ärzte zum Stethoskop des 21. Jahrhunderts werden. Natürlich birgt die Ausdehnung der Bedeutung digitaler Technologien auch Gefahren. Der tägliche Medienkonsum würde durch eine stärkere Einbindung digitaler Anwendung in die Gesundheitsversorgung noch vergrößert. Daher machen wir uns als Techniker Krankenkasse für einen umfassenden und breiten Ausbau von gesundheitlicher Lebenskompetenz in digitalen Settings stark. Um die Versicherten im Umgang mit neuen digitalen Angeboten zu unterstützen, fordert die TK, dass die "digitale Gesundheitskompetenz" zukünftig ein fester Bestandteil der Prävention sein muss.
Eine stärkere Einbindung digitaler Versorgungsangebote benötigt auch einen Kompetenzaufbau bei den Medizinerinnen und Medizinern. Dazu braucht es eine Förderung der Kommunikationskompetenz auf Seiten der Leistungserbringenden und der Patientinnen und Patienten. Während die Zuständigkeit zur Förderung der Gesundheitskompetenz bei den gesetzlich Versicherten bereits geregelt ist, fehlen auf Seiten der Medizinerinnen und Mediziner klare Zuständigkeiten. Als Techniker Krankenkasse unterstützen wir daher den Vorschlag, dass Leistungserbringerinnen und -Erbringer eine systematische Weiterbildung zu den ethischen, legalen und sozialen Aspekten der digitalen Medizin absolvieren müssen. Nur wenn die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Gesundheitsversorgung bei Ärzten und Ärztinnen sowie Patientinnen und Patienten im Land gleichermaßen verankert sind, kann die Gesundheitssituation in unserem Bundesland maßgeblich verbessert werden.
"Fakt ist, dass sich der Fachkräftemangel durch die demografische Entwicklung zuspitzen wird. Daher können zukunftsfähige Lösungen für die Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern nur aus einem Dreiklang von struktureller Vernetzung, übergreifenden Kooperationen und raschen Innovationen entwickelt werden."
Die Versorgung in M-V braucht mehr Innovationen
Angesichts der geschilderten Versorgungsherausforderungen wird deutlich, dass strategisch ineinander integrierte Veränderungen notwendig sind, um die Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern langfristig auf hohem Niveau zu erhalten. Diese Anpassungen müssen auf Strukturebene die Einrichtungen im Land ebenso betreffen wie auf Prozessebene die Zusammenarbeit zwischen den Leistungseinheiten. Gleichzeitig benötigen wir den flächendeckenden Einsatz digitaler Versorgungsformen. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich Planungstendenzen mit einer Fokussierung auf kleine und kleinste Versorgungsräume kritisch zu hinterfragen. Denn auch wenn partizipative Prozesse wichtig sind, sollte das Ergebnis - also die Gesundheit von Patientinnen und Patienten - im Vordergrund stehen. Versorgungslösungen die zentral entwickelt und regional mit Handlungsspielräumen umgesetzt werden, könnten gleichzeitig für Versorgungsinnovationen und eine bessere Fachkräfteverteilung sorgen.
Auf der strukturellen Ebene sind von der "Enquete-Kommission zur Zukunft der medizinischen Versorgung" im Schweriner Landtag bereits einige gute Pläne gefasst worden. Diese dürfen nun nicht in den Aktenschränken landen. Stattdessen gilt es, z. B. die in Form verstetigter Clusterstrukturen zielgerichtet umzusetzen. Außerdem muss die aktuelle Landesregierung als Taktgeber weitere Anpassungen auf den Weg bringen. Die Weiterentwicklung der Krankenhaustandorte, zu regionalen Gesundheitszentren und damit sektorenübergreifend aktiven Vor- und Versorgungseinrichtungen, wäre ein wichtiger Schritt. Damit die Vergütung zukünftig der Versorgungsqualität folgt, bekennen wir uns als TK in unserer Position zu Qualitätszuschlägen und Vorhaltekosten.
Mit Blick auf die Prozesse im Gesundheitswesen, steht vor allem die Patientensicherheit im Fokus. Nur wenn die Arbeitsschritte aufeinander abgestimmt sind und Informationsverluste vermieden werden, ist eine optimale Patientenbehandlung möglich. Die Informationsketten müssen, insbesondere zwischen den Versorgungssektoren, besser aufeinander abgestimmt werden. Die gute und schnelle Datenverfügbarkeit darf nicht an der persönlichen Beziehung der Leistungserbringenden oder am Ordnungssinn des Patienten liegen. Nur im Falle lückenloser Datenketten wird ein umfassendes Bild der Gesundheitssituation einer Person möglich. Wir als Techniker Krankenkasse setzen darauf, dass die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenhausgesellschaft und die gesetzlichen Krankenversicherungen in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam den Weg in eine patientenzentrierte, fehlerarme und medizinisch hochwertige Versorgungszukunft gehen. Dies bedeutet auch, dass bei Fragen der Leistungsvergütung langfristig gedacht wird und Entlastungseffekte durch bessere Prozesse entsprechend berücksichtigt werden. Ein zügig umsetzbarer Schritt zu einer höheren Prozessqualität im Gesundheitswesen, ist die raschere Verfügbarkeit von ambulanten Versorgungsdaten. Wir hoffen darauf, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen den Quartalsbezug der Honorarabrechnungen bei niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen aufheben und die Daten tagesaktuell übermitteln. So würden beispielsweise echte Versorgungsinnovationen durch digitale Anwendungen möglich.
Der Aufbau einer landesweiten telemedizinischen Versorgungsplattform wäre ebenfalls ein richtiger Schritt in die Versorgungszukunft. Die Plattform darf aber kein abgeschottetes System sein, sondern muss ein Hafen für bestehende Anwendungen und damit ein lebendiger Teil des Versorgungsökosystems in Mecklenburg-Vorpommern sein. Als sektorenverbindendes Element kann eine Telemedizinplattform z. B. Konsilleistungen aus den Maximalversorgern und Universitätskliniken in den ländlich gelegenen Arztpraxen verfügbar machen. Telekonsiliarische Services sind für die meisten Fachrichtungen geeignet. In Regionen, in denen zu wenige Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen, könnten grundlegende telemedizinische Angebote auch von speziell ausgebildeten medizinischen Fachkräften oder Apotheken übernommen werden. Durch dieses Verfahren könnten die bestehenden Strukturen entlastet und zusätzlich neue Versorgungsmöglichkeiten geschaffen werden.
"Wir brauchen im Gesundheitswesen handlungsfähige Gremien, mit einer progressiv orientierten Besetzung. Nur wenn die Sitzungen von einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre geprägt und die Akteure mit Entscheidungskompetenz ausgestattet sind, können wir die Versorgungsituation im Land rasch stabilisieren."