Gesundheit und Pflege als zentrale landespolitische Gestaltungsaufgaben
Artikel aus Thüringen
Der Geschäftsführer einer Thüringer Klinik hält es nicht für ehrlich, wenn politisch gesagt wird, dass jedes Krankenhaus im Freistaat gebraucht wird. Ein Facharzt für Radiologie möchte über Überversorgung sprechen. Ein Thüringer Klinikdirektor fragt, wie und wann die 2.900 Betten, die es im Freistaat zu viel gibt, abgebaut werden. Vom allgemeinen Ruf nach immer mehr Geld im deutschen Gesundheitssystem war bei den Weimarer Gesprächen zum Gesundheitswesen 2024 wenig zu hören.
Ein Großteil der etwa 90 Gäste, die sich auf unterschiedliche Weise für die gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Thüringerinnen und Thüringer einsetzen, teilte die Auffassung, dass das Thüringer Gesundheitswesen zukünftig mit weniger Menschen organisiert werden muss. Die meisten wissen, dass zielgenaue Versorgungsplanung nötig sein wird, bei der alle Akteurinnen und Akteure an einem Strang ziehen. Das Besondere war, dass es am 12. August in Weimar so viele offen aussprachen - obwohl Pressevertreterinnen und -vertreter anwesend waren. Obwohl Wahlkampf ist.
Bilanz und Ausblick im Wahljahr
Zum vierten Mal organisierten das Universitätsklinikum Jena und die TK ihre gemeinsame Fachveranstaltung vor einer Landtagswahl. "Wir wollten immer zeigen, wie wichtig Gesundheitsversorgung und Gesundheitswirtschaft für den Freistaat sind. Schaut man sich die Wahlprogramme an, haben wir das geschafft", sagte Guido Dressel, Leiter der TK-Landesvertretung Thüringen, zur Begrüßung.
Nils Kawig, Chefredakteur der Ostthüringer Zeitung (OTZ), führte durch die Veranstaltung. Die Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner (Die Linke) und Prof. Dr. Mario Voigt, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag und Landesvorsitzender der CDU Thüringen, fragte er unter anderem nach ihren Ideen, um Gesundheit und Pflege in Thüringen zukunftssicher zu gestalten.
Für Ministerin Werner spielen die geplanten Regionalkonferenzen eine zentrale Rolle. In diesen soll mit den Menschen vor Ort analysiert werden, wie Versorgung gut und sektorenübergreifend gesteuert werden kann.
Auch Prof. Voigt sprach sich dafür aus, sektorenübergreifend zu denken und zu arbeiten. Fachkräftesicherung und "die Kosten in den Griff bekommen" nannte er als weitere wichtige Punkte.
Von Ideen zur konkreten Versorgung
Applaus von den anwesenden Vertreterinnen und Vertretern aus Gesundheits- und Pflegeversorgung bekam Tina Rudolph, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD) und dort Mitglied im Gesundheitsausschuss für die Forderung, Debatten zu führen, die den Wahlkampf überdauern. Die Thüringerin gab einen Input aus bundespolitischer Sicht.
Ihren Bundestagskolleginnen und -kollegen erzähle sie häufig von pragmatischen gemeinsamen Projekten Thüringer Gesundheitsakteurinnen und -akteuren. Gleichzeitig sah sie die Verantwortung der Bundesregierung, die eigenen Ideen und Vorgaben immer wieder einem Realitätscheck zu unterziehen. Mit dem Plenum diskutierte sie dafür konkrete Beispiele zu Bürokratieabbau und Digitalisierung.
"Denjenigen zuhören, die die Versorgung tragen" war genau das, was zum Beispiel Dr. Annette Rommel, 1. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, in der Podiumsdiskussion forderte. Sie wünscht sich von der nächsten Landesregierung eine "ideologiefreie, langfristige Planung von Gesundheitsversorgung". Schlagworte wie sektorenübergreifende Versorgung müssten endlich mit konkreten Handlungen und Möglichkeiten gefüllt werden.
Unpopuläre aber nötige Strukturentscheidungen treffen - und erklären
Dr. Thomas Krönert, Geschäftsführer und Chefarzt der Thüringen-Kliniken "Georgius Agricola", schrieb eine klare, bedarfsadaptierte Krankenhausplanung auf den Wunschzettel an die kommende Landesregierung. "Und sie muss entsprechend finanziell hinterlegt werden", sagte er.
Das ginge nur mit einer ehrlichen Analyse. "Angesichts der demografischen Entwicklung glaube ich, dass es nicht ehrlich ist zu sagen, dass wir jedes Krankenhaus brauchen", sagte Krönert.
Der anstehende Transformationsprozess müsse unbedingt gut begleitet werden, meint Dr. Hans-Jörg Bittrich, Präsident der Landesärztekammer Thüringen, denn er sei "ein dickes Brett". "Unsere gesundheitliche Versorgung ist zu teuer, wir machen zu viel und wir haben zu viele Krankenhausbetten. […] Außerdem beachten wir durch den Krankenhausstrukturprozess die ambulante Versorgung zu wenig."
Bei Lösungsmöglichkeiten trafen sich die Medizinerin und die beiden Mediziner mit den Ideen der Politik: Die Planung für Kliniken und ambulante Versorgung gehöre zusammen. Dafür sollte laut Rommel der Erweiterte Landesausschuss genutzt werden. Die TK schlägt vor, auch das sogenannte 90a-Gremium dafür zu nutzen, wie es auch in anderen Bundesländern geschieht.
Vorfahrt für die Altenpflege
Dieser gemeinsamen Planung müsste dann das folgen, was Corinna Jendges, Kaufmännische Vorständin des Universitätsklinikums Jena, sich in der nächsten Podiumsdiskussion wünschte: "[…] dass wir besser heute als morgen konkret darüber sprechen, wie Versorgung organisiert werden soll - mit allen Beteiligten."
Letzteres ist das, was sich Thomas Engemann, Leiter der bpa Landesgeschäftsstelle Thüringen, und andere Vertreterinnen und Vertreter der ambulanten und stationären Pflege seit vielen Jahren wünschen.
"Wenn eine Arztpraxis eine Blutprobe braucht oder Pflegebedürftige Anleitung bei telemedizinischen Angeboten, wäre es doch sinnvoll, wenn der Pflegedienst, der ohnehin dort ist, das macht. Das würde Ressourcen schonen. Gleichzeitig muss es vergütet werden", sagt Engemann.
Diese Vernetzung würde den Pflegeberuf weiter aufwerten. Damit könnte sie ein weiterer Baustein sein, um dem Fachkräftebedarf zu begegnen. "In den letzten Jahren konnten wir etwa 1000 zusätzliche Pflegekräfte pro Jahr gewinnen. Trotzdem sind es nicht genug, weil die Nachfrage Demografie bedingt so stark steigt", sagt Engemann.
"Wir brauchen in der nächsten Legislatur in Thüringen deutliche Vorfahrt für die Altenpflege", sagt auch Dressel. "Damit geht einher, dass wir Doppelstrukturen so gut wie möglich vermeiden, damit Ressourcen - personell wie finanziell, für die Pflege bleiben."
Außerdem ergänzt Dressel auf den Wunschzettel an die nächste Landesregierung: ein ÖGD-Gesetz , das die Chance für gezielte Prävention vor Ort nutzt und die Sicherstellung einer wohnortnahen Primärversorgung.