Im Osten alles anders?
Position aus Thüringen
Unterscheiden sich die Herausforderungen der Kliniken in Ostdeutschland und die Krankenhausstruktur deutlich von denen im Westen? Ergeben sich deswegen besondere ostdeutsche Bedarfe bei der Krankenhausreform? Guido Dressel, Leiter der TK-Landesvertretung Thüringen, geht der Frage in seinem Kommentar nach - natürlich mit Thüringer Fokus.
Bei den Bund-Länder-Verhandlungen zur Krankenhausreform haben die ostdeutschen Bundesländer kürzlich einen bemerkenswerten politischen Erfolg erzielt. Nach vereintem Druck der Ministerpräsidenten sowie aller Gesundheitsministerinnen sitzt der Osten in Gestalt von Mecklenburg-Vorpommern aktuell mit am Tisch, wenn im Bundesgesundheitsministerium versucht wird, aus den gemeinsamen Eckpunkten ein Gesetz zu machen.
Begründet wurde dies mit spezifischen Herausforderungen und Krankenhausstrukturen, die sich von denen im Westen deutlich unterscheiden. Doch entspricht das auch der Realität?
Teile Thüringens so ländlich wie die Lüneburger Heide und der Bayerische Wald
Als ein zentrales Argument wurde die Bedrohung der wohnortnahen Krankenhausversorgung durch bundesweite (Qualitäts-)Vorgaben ins Feld geführt. In den ostdeutschen Bundesländern sei die öffentliche Daseinsvorsorge durch besonders große Entfernungen bei gleichzeitig geringer Bevölkerungsdichte ganz besonders bedroht und Ausnahmeregelungen daher besonders wichtig.
Allerdings gibt es "den Osten" an dieser Stelle gar nicht wirklich. Während in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns oder Brandenburgs im bundesweiten Vergleich tatsächlich besonders wenige Menschen auf großer Fläche leben, gibt es in Thüringen diesbezüglich kein Problem, das so nicht auch in der Lüneburger Heide, der Eifel oder dem Bayerischen Wald existiert.
Das zweite Argument waren die ostdeutschen Krankenhausstrukturen, die dank der Milliardeninvestitionen nach der Wiedervereinigung und vielen Standortschließungen bereits modern und zukunftsfähig aufgestellt sind. In Verbindung mit den politischen Aussagen, dass zwischen Stralsund und Suhl jeder Krankenhausstandort notwendig sei, konnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Überversorgung, Kleinstrukturen und Investitionsstau weitgehend westdeutsche Phänomene sind.
Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass Überversorgung, Kleinstrukturen und Investitionsstau weitgehend westdeutsche Phänomene sind.
Unterdurchschnittlich viele Kliniken, überdurchschnittlich viele Klinikbetten
Daran ist richtig, dass praktisch alle ostdeutschen Krankenhäuser in den letzten 30 Jahren durchsaniert oder völlig neu gebaut wurden. Davon profitieren sie trotz Einbruch der Landesinvestitionsmittel heute noch.
Nach mehreren Schließungs- und Fusionswellen ist die offizielle Zahl der ostdeutschen Krankenhäuser im Bundesvergleich tatsächlich unterdurchschnittlich.
Die Bettenzahl je Krankenhausstandort liegt dafür deutlich höher. Bei der Bettenzahl je Einwohner verzeichnen alle ostdeutschen Bundesländer Werte über dem deutschen Durchschnitt von 581 Betten je 100.000 Einwohner (Jahr 2021). Mit 727 Betten ist Thüringen dabei mit großem Abstand Spitzenreiter aller deutschen Flächenländer und weist gleichzeitig einen sehr geringen Grad an Spezialisierung seiner Krankenhausstandorte auf.
Die vielen zu betreuenden Klinikbetten treffen im Freistaat auf eine dramatische demographische Entwicklung, die zu einer immer angespannteren Fachkräftesituation führt.
Dies trifft auf eine dramatische demographische Entwicklung, die zu einer immer angespannteren Fachkräftesituation führt.
Moderne medizinische Versorgung bedarfsorientiert sicherstellen
Im Gegensatz zum Westen mag der Reformbedarf im Osten weniger bei Standortfragen und qualitätsnotwendigen Dimensionen von Krankenhäusern liegen. Hier ist die Herausforderung im ländlichen Bereich vor allem, bedarfsorientierte, moderne medizinische Versorgung sicherzustellen. In städtischen Bereichen gilt es dagegen, einen ruinösen Wettbewerb um Patienten, Ärzte oder Pflegefachkräfte zu verhindern, wie er selbst im beschaulichen Thüringen punktuell zu beobachten ist.
Viel wichtiger als vermeintliche Ost-West-Unterschiede ist: Die Bundesländer brauchen für ihre spezifische Krankenhausplanung einen ordnungspolitisch verbindlichen Rahmen. Sektorenübergreifende Bedarfsplanung, Spezialisierung und Qualitätsorientierung sind die übergreifende Basis für Ressourcenschonung, Transparenz und zukunftsfähige Krankenhausstrukturen.
Neben dem allgemeinen Interesse an den konkreten Inhalten des Krankenhausreformgesetzes steht so auch die spannende Frage, wie viel "Osten" letztlich drin sein wird.