„Unser Ziel ist es, dass es im Jahr 2030 in jedem Kreis Versorgungszentren gibt“
Interview aus Schleswig-Holstein
Wie stellen wir die Versorgung im Norden sicher? Wie lösen wir den Pflegenotstand? Und wie entlasten wir die Notaufnahmen? Antworten hierzu und auf weitere gesundheitspolitische Fragen liefert Thomas Losse-Müller, der Spitzenkandidat der SPD in Schleswig-Holstein.
TK: Wie versorgen wir zukünftig Land und Inseln? Welche Maßnahmen möchten Sie auf den Weg bringen, um die medizinische und pflegerische Versorgung insbesondere in den strukturschwachen Regionen unseres Landes nachhaltig zu sichern? Welche strukturellen Synergieeffekte lassen sich aus Ihrer Sicht heben? Und wie kommen wir zu neuen Lösungen?
Thomas Losse-Müller: Wir wollen in Schleswig-Holstein wohnortnah sowohl ambulante als auch stationäre Angebote der medizinischen Versorgung sicherstellen. Wesentliche Rahmenbedingungen dafür werden durch den Bund gesetzt. Wir hoffen, dass die von der Ampel-Koalition geplante Reform der Krankenhausfinanzierung eine Stärkung der Qualität in der stationären Versorgung bringt.
Unser Ziel ist es, dass es im Jahr 2030 in jedem Kreis Versorgungszentren gibt, die den Menschen ein umfassendes allgemeinmedizinisches Angebot sichern. Auch häufig konsultierte Fachärztinnen und -ärzte können sich mit den Versorgungszentren in der Fläche ansiedeln. Zudem können Community Health Nurses im ländlichen Raum bei der medizinisch-pflegerischen Versorgung die Praxen unterstützen.
Eine weitere Konzentration von Klinikstandorten sehen wir kritisch, weil dadurch die flächendeckende Versorgung gefährdet wird. Wir wollen die Investitionen in Bauten und Ausrüstung der Krankenhäuser durch öffentliche Mittel sichern. Das spielt im nächsten Jahrzehnt eine besondere Rolle, da sich Klinikstandorte zukunftsfähig aufstellen wollen. Dazu gehört, die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu beschleunigen.
TK: Muss es denn immer die Notaufnahme sein? Wer ein akutes medizinisches Problem außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxen hat, ist oft gar kein Notfall. Dennoch steigen die Patientenzahlen in Notaufnahmen und bei den Rettungsdiensten rasant, ohne dass mehr Menschen stationär aufgenommen werden. Welche Veränderungen sind nötig, um diese Aufwärtsspirale zu stoppen?
Losse-Müller: Die demografische Entwicklung und das Verschwinden von Allgemeinarztpraxen in den ländlichen Regionen sind die Hauptgründe für die stark steigenden Patientenzahlen in den Notaufnahmen. An dieser Stelle müssen wir ansetzen und den flächendeckenden Zugang zur allgemeinmedizinischen Versorgung sichern.
Ich begrüße, dass die Ampel-Koalition die Notfallversorgung mit integrierten Notfallzentren in Zusammenarbeit zwischen kassenärztlicher Vereinigung und Krankenhäusern reformieren will. Davon verspreche ich mir eine Reduktion der Belastung in den Notaufnahmen. Helfen kann auch die Digitalisierung. Wir setzen darauf, dass es auch eine Notfallversorgung durch Sanitäterinnen und Sanitäter geben wird, die durch ärztliche Fernunterstützung angeleitet werden.
Wir setzen darauf, dass es auch eine Notfallversorgung durch Sanitäterinnen und Sanitäter geben wird, die durch ärztliche Fernunterstützung angeleitet werden.
TK: Welche Krankenhäuser brauchen wir in Zukunft? Hand aufs Herz - welches ist für Sie das "richtige" Krankenhaus - das nächste oder das beste? Welche strukturellen Veränderungen der Krankenhauslandschaft müssen aus Ihrer Sicht vom Land konkret angestoßen werden, um den Spagat zwischen Wohnortnähe und Spezialisierung gelingen zu lassen?
Losse-Müller: Wir brauchen beides: eine wohnortnahe Versorgung und Spezialkliniken für komplexe Eingriffe. Deshalb befördern wir eine gut aufeinander abgestimmte Entwicklung der einzelnen Klinikstandorte und eine stärkere Vernetzung untereinander sowie mit dem UKSH.
Kleinere Kliniken spielen eine wichtige Rolle bei der wohnortnahen Grundversorgung. Ihnen wollen wir eine Perspektive geben, sich zu regional ausgerichteten Gesundheitszentren zu entwickeln, in denen die stationäre Grundversorgung mit ambulanten Angeboten und pflegerischen Angeboten verzahnt werden. Wir wollen dafür Modellregionen einrichten, insbesondere dort, wo bisherige Klinikstandorte aufgegeben werden.
Zur Sicherung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum muss eine bedarfsgerechte Grundfinanzierung der Vorhaltekosten von Kliniken erfolgen. Dafür werde ich mich als Ministerpräsident im Bund einsetzen. Der Fokus liegt auf sensiblen Versorgungsbereichen, wie z. B. der Kinder- und Jugendmedizin. Die Krankenhäuser sollen sektorenübergreifende Versorgungsangebote machen können, die eine ambulante, tagesklinische und stationäre Versorgung innerhalb einer Struktur vorsehen.
TK: Wie lösen Sie den Pflegenotstand? Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Schleswig-Holstein steigt. Damit Fachkräfte nicht aus der Pflege aussteigen und sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden gilt es - neben einer angemessenen Entlohnung - attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie wollen Sie das als Teil der Landesregierung erreichen?
Losse-Müller: Um dem Fachkräftemangel im Pflegebereich entgegenzuwirken, setzen wir auf bessere Arbeitsbedingungen. Die Reform der Pflegeberufe mit der Einführung einer Ausbildungsvergütung war dafür ein wichtiger Schritt. Wir wollen die Ausbildungs- und Studienkapazitäten in den Gesundheitsfachberufen und der Pflege erhöhen. Zudem setzen wir uns weiter für eine bessere Bezahlung ein. Das wollen wir über eine stärkere Tarifbindung erreichen.
Die SPD fordert seit Jahren die Einführung eines Personalbemessungsschlüssels. Mit mehr Personal auf den Stationen werden die Dienstpläne verlässlicher und die Arbeitsbelastung reduziert. Des Weiteren braucht es eine spürbare Erhöhung der Zuschläge für ungesunde und familienunfreundliche Schichten, einen Abbau der Bürokratie und die weitere Digitalisierung in der Pflege.
Angesichts des Fachkräftemangels, der fast alle Bereiche des Arbeitsmarktes betrifft, wird all das aber nicht ausreichen. Deshalb müssen wir auch auf qualifizierte Zuwanderung setzen. Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den deutschen Arbeitsmarkt weiter zu öffnen. Das hilft uns auch konkret beim Pflegekräftemangel in Schleswig-Holstein.
TK: Dafür stehe ich beim Thema Gesundheitspolitik! Woran erkennen wir am Ende der neuen Legislatur - also im Jahr 2027 - die erfolgreiche Handschrift der SPD in der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein?
Losse-Müller: Die Handschrift der SPD wird sich darin zeigen, dass wir bis 2027 die richtigen Konsequenzen aus den Erfahrungen der Pandemie gezogen haben. Die Gesundheitsversorgung darf nicht zu stark nach der Logik von Gewinn und Verlust organisiert werden.
Die Gesundheitsversorgung darf nicht zu stark nach der Logik von Gewinn und Verlust organisiert werden.
Die Menschen, die für unsere Gesundheit arbeiten, müssen anständig bezahlt und ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden. Deshalb werden wir 2027 beispielsweise die Beschäftigten in der Servicegesellschaft des UKSH in den TV-L geholt haben.
Eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein wird sich für eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung eingesetzt haben. Das bisherige System soll um ein nach Versorgungsstufen differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt werden. Dadurch haben wir 2027 die medizinische Versorgung gerade in den ländlichen Regionen von Schleswig-Holstein gestärkt.
Außerdem haben wir die Produktion von lebenswichtigen Medikamenten und Medizinprodukten wieder stärker in die EU und nach Deutschland verlagert. Ein Teil der zusätzlichen Kapazitäten ist in Schleswig-Holstein entstanden. Dadurch haben wir die Medizinbranche im Land weiter gestärkt.