"Die Notaufnahmen müssen entlastet werden"
Interview aus Schleswig-Holstein
Wie versorgen wir Land und Inseln? Wie entlasten wir die Notaufnahmen? Und wie gestalten wir den Pflegeberuf attraktiver? Antworten hierzu und auf weitere gesundheitspolitische Fragen liefert Dr. Bernd Buchholz, der Spitzenkandidat der FDP in Schleswig-Holstein.
TK: Wie versorgen wir zukünftig Land und Inseln? Welche Maßnahmen möchten Sie auf den Weg bringen, um die medizinische und pflegerische Versorgung insbesondere in den strukturschwachen Regionen unseres Landes nachhaltig zu sichern? Welche strukturellen Synergieeffekte lassen sich aus Ihrer Sicht heben? Und wie kommen wir zu neuen Lösungen?
Dr. Bernd Buchholz: Auch im ländlichen Raum muss es eine flächendeckende Gesundheitsversorgung geben. Denn im Krankheitsfall ist der beste Weg zur Arztpraxis möglichst kurz. Wir haben in der vergangenen Legislatur bereits Medizinstipendien geschaffen, die an eine spätere Landarzttätigkeit gekoppelt sind. Wir machen also auf der einen Seite den Hausarztberuf im ländlichen Raum attraktiv, auf der anderen Seite sind wir dabei, neue Strukturen der ärztlichen Versorgung aufzubauen. Das können kommunale Gesundheitszentren sein, in denen ärztliches Personal und ambulante Pflegekräfte direkt bei der Gemeinde angestellt tätig sind. Das können aber auch digitale Angebote der Telemedizin sein, die bestehende Strukturen ergänzen. Die Digitalisierung bietet gerade für strukturschwache Regionen ein enormes Potential, die aber wohlgemerkt ergänzend und nicht komplett ersetzend sein dürfen. Und als Land mit Inseln und Halligen brauchen wir auch eine Luftrettung, die schnell entlegene Orte erreichen kann.
TK: Muss es denn immer die Notaufnahme sein? Wer ein akutes medizinisches Problem außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxen hat, ist oft gar kein Notfall. Dennoch steigen die Patientenzahlen in Notaufnahmen und bei den Rettungsdiensten rasant, ohne dass mehr Menschen stationär aufgenommen werden. Welche Veränderungen sind nötig, um diese Aufwärtsspirale zu stoppen?
Dr. Buchholz: Die Notaufnahmen müssen entlastet werden. In Schleswig-Holstein haben wir bereits sogenannte Portal- und Anlaufpraxen errichtet, an die sich alle Patientinnen und Patienten wenden sollten, die keine lebensbedrohlichen Beschwerden haben. Denn allen sollte klar sein: Die Notaufnahme ist eigentlich nur für Menschen da, die in Lebensgefahr schweben. Wir müssen also zum einen die Hotline des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bekannter machen, der die nächste Anlauf- und Portalpraxis nennen kann. Und dann müssen wir dafür sorgen, dass die Anlaufpraxen rund um die Uhr geöffnet haben. Denn wenn ich Beschwerden habe, aber nur die Notaufnahme geöffnet ist, dann gehe ich natürlich dort hin. Die Anlauf- und Portalpraxen müssen aber bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden die erste Adresse sein.
Denn allen sollte klar sein: Die Notaufnahme ist eigentlich nur für Menschen da, die in Lebensgefahr schweben.
TK: Welche Krankenhäuser brauchen wir in Zukunft? Hand aufs Herz - welches ist für Sie das "richtige" Krankenhaus - das nächste oder das beste? Welche strukturellen Veränderungen der Krankenhauslandschaft müssen aus Ihrer Sicht vom Land konkret angestoßen werden, um den Spagat zwischen Wohnortnähe und Spezialisierung gelingen zu lassen?
Dr. Buchholz: Ganz klar: das beste. Aber ein gutes Krankenhaus zeichnet sich dadurch aus, dass dort viele Fälle einer bestimmten Fachrichtung behandelt werden und somit eine hohe fachliche Kompetenz bei dem Ärztepersonal vorhanden ist. Deshalb müssen wir weg von der Haltung, dass jedes Krankenhaus möglichst viele Fachrichtungen anbieten muss. Wir brauchen daher auf der einen Seite eine sinnvolle Struktur von Grund- und Regelversorgern, die alltägliche Eingriffe und Behandlungen vornehmen können. Aber wir brauchen auf der anderen Seite auch Schwerpunktversorger, die auch spezialisierte Fachrichtungen anbieten. Dafür müssen wir einen "Masterplan Krankenhausinfrastruktur" aufstellen. Wenn ich mir also das Bein breche, sollte das beste Krankenhaus, ein Grundversorger, nah dran sein, denn dort werden jeden Tag gebrochene Knochen gerichtet. Wenn ich eine neue Herzklappe brauche, gibt es das beste Krankenhaus möglicherweise nur in Kiel. Aber dafür weiß ich auch, dass dort kompetente Ärztinnen und Ärzte arbeiten, die einen so schwierigen Eingriff jeden Tag machen. Routine verringert Komplikationen und Sterbefälle, deshalb müssen wir Kompetenzen bündeln statt sie zu verteilen.
Routine verringert Komplikationen und Sterbefälle, deshalb müssen wir Kompetenzen bündeln statt sie zu verteilen.
TK: Wie lösen Sie den Pflegenotstand? Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Schleswig-Holstein steigt. Damit Fachkräfte nicht aus der Pflege aussteigen und sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden gilt es - neben einer angemessenen Entlohnung - attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie wollen Sie das als Teil der Landesregierung erreichen?
Dr. Buchholz: Wir haben als erstes Bundesland in Eigenregie das Schulgeld für Gesundheitsfachberufe abgeschafft. Der Bund und andere Länder sind dann später nachgezogen. Wir brauchen Fachkräfte in diesen Bereichen, deshalb müssen wir Hürden abbauen, statt welche zu errichten. Und wir haben ein Pflegestipendium geschaffen. Sowohl die Ausbildung als auch das Pflegestudium müssen wir künftig weiter ausbauen. Wir brauchen mehr geförderte Ausbildungsplätze und wir brauchen einen zweiten Standort im Land für ein Pflegestudium. Wenn es die Chance gibt, beruflich aufzusteigen, dann machen wir den Pflegeberuf auch für Schulabgängerinnen und Schulabgänger interessant, die sich eine klassische Pflegeausbildung nicht vorstellen können, ein Pflegestudium aber schon. Außerdem müssen wir neue Berufsbilder wie z.B. den Physician Assistant stärken. Und natürlich müssen wir über Gehälter und Arbeitsbedingungen sprechen. Der Fachkräftemangel darf nicht dazu führen, dass wir in Zukunft möglicherweise unsere pflegerische und medizinische Versorgung nicht mehr aufrechterhalten können. Deshalb müssen wir den Pflegeberuf dringend attraktiver machen.
TK: Dafür stehe ich beim Thema Gesundheitspolitik! Woran erkennen wir am Ende der neuen Legislatur - also im Jahr 2027 - die erfolgreiche Handschrift der FDP in der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein?
Dr. Buchholz: Die medizinische Versorgung im ländlichen Raum wird modern und vor allem flächendeckend umgesetzt sein. Es wird junge Ärztinnen und Ärzte geben, die die hausärztliche Versorgung wahrnehmen werden. Wir werden eine Krankenhausfinanzierung haben, die sich nicht danach richtet, dass möglichst viele teure Operationen durchgeführt werden, sondern die durch eine Basisfinanzierung abgesichert wird. Das kommt auch den Patientinnen und Patienten zugute, weil die Zahl unnötiger OPs dadurch sinkt. Wir werden 2027 noch weit davon entfernt sein, dass wir einen Fachkräfteüberschuss in der Pflege haben. Aber die Lage wird sich etwas entspannt haben, weil sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern können. Insgesamt wird sich die Investitionsoffensive in die Gesundheit deutlich bemerkbar machen.