Pflegeentlastung: Siegerprojekt Health Hackathon 2020
Interview aus Niedersachsen
Auf Spracherkennung basiert 'dexter', das Siegerprojekt des Health Hackathons 2020 der Metropolregion. Mit dem Mediziner Marc Margulan und Mitglied des Siegerteams haben wir dazu ein Interview geführt.
Mit Voice-Interfaces hat eine neue Ära der Mensch-Maschine-Interaktion begonnen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Sprache, da die menschliche Stimme im Fokus steht. Auf Spracherkennung basiert auch 'dexter', das Siegerprojekt des Health Hackathons 2020 der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. Das innovative Dreier-Team, bestehend aus einem Mediziner und zwei Entwicklern, will das Gesundheitssystem - mit ihrer auf Spracherkennung basierenden Technologie - verändern und verbessern.
TK: Marc, herzlichen Glückwunsch zu Eurem "dexter-Smart-Speaker"-Projekt! Erzähle uns doch bitte anhand von Beispielen was dexter ist, was es kann und welche Ziele Ihr damit erreichen wollt.
Marc Margulan: Vielen Dank für die Glückwünsche! Mit dexter haben wir uns etwas sehr Menschliches zu Eigen gemacht - unsere Sprache. Dabei geht es darum, eine Technologie zu entwickeln, die sich dem Menschen anpasst und nicht andersherum.
Primär wollen wir mit unserer Technologie die Pflege entlasten, Patientinnen und Patienten mehr Lebensqualität schenken und dabei die Schnittstelle zwischen Pflege und Patient abbilden. Derzeit haben Patientinnen und Patienten beispielsweise nur die Möglichkeit, mithilfe des Notfallknopfes am Bett auf sich aufmerksam zu machen und bei Erscheinen der Pflegekraft ihr Anliegen zu äußern. Ob es sich dabei um einen wirklichen Notfall oder um ein sonstiges Anliegen handelt, ist bis zu diesem Zeitpunkt offen.
Unser Smart Speaker ersetzt den bekannten roten Knopf am Patientenbett, da mit unserer Innovation Patientenwünsche in einer datengeschützten IT-Umgebung über Sprache aufgenommen und den Pflegekräften zur Verfügung gestellt werden. So können Bedürfnisse, die einen pflegerischen Einsatz notwendig machen, von einfachen Hilfstätigkeiten getrennt und der Personaleinsatz optimiert werden. Zum Beispiel: das Öffnen und Schließen von Fenstern, Getränkewünsche, das Aufschütteln von Kissen oder notwendige Toilettengänge. Die Patientenwünsche via Sprachassistent können von den Pflegekräften sofort nach Dringlichkeit priorisiert werden. Für das Pflegepersonal besteht somit mehr Zeit für die eigentliche Pflege am Bett, da einfache Hilfstätigkeiten nicht zwingend pflegerische Aufgaben sind, sondern von Service- oder Hilfskräften erledigt werden können.
TK: Wie ist die Idee entstanden? Welche Impulse waren entscheidend dafür, dass Ihr drei die "Köpfe zusammengesteckt" und einen Sprachassistenten entwickelt habt?
Marc Margulan: Eren und ich sind gemeinsam zur Schule gegangen. Aufgrund eines Krankheitsfalles in meiner Familie, habe ich mich dazu entschlossen, Medizin zu studieren. Eren hat Ingenieurwissenschaften studiert und leider ebenfalls einen Krankheitsfall in der Familie erlebt. Wir beide haben uns aus verschiedenen Perspektiven über diverse Umstände im Gesundheitswesen geärgert. Aus Ärger wurde Pragmatismus und wir haben unsere Köpfe zusammengesteckt und überlegt, wie man bestimmte Probleme, beispielsweise den Pflegemangel, lösen könnte. Dabei ist dexter entstanden.
TK: Als 'Digital Natives' verfügt Ihr hinsichtlich Technologie über eine große Expertise. Warum seht Ihr in Smart-Speakern eine Zukunft? Werden sprachbasierte Mensch-Maschine-Interaktionen relevanter?
Marc Margulan: In den letzten Jahrzehnten haben unsere Eltern, Großeltern und auch wir beobachten können, wie Technologie maßgeblich die Welt verändert hat. Die Zeit vor Bildschirmen und Smartphones hat signifikant zugenommen. Wir vermuten, dass wir in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Zeit vor Bildschirmen verbringen werden. Das heißt aber nicht, dass wir weniger von Technologie umgeben sein werden. Im Endeffekt hat jeder Mensch nur 24 Stunden am Tag Zeit. Niemand möchte diese Zeit damit verbringen, lange nach bestimmten Unterlagen auf dem PC zu suchen oder darauf zu warten, dass eine Anwendung fertig geladen hat. Smart-Speaker werden bestimmte Suchprozesse vereinfachen, Arbeit automatisieren und erleichtern. Im Endeffekt wird jedem Menschen eine persönliche Assistenz zur Verfügung gestellt.
TK: Wie sieht die technische Weiterentwicklung von dexter aus?
Marc Margulan: Als nächstes arbeiten wir weiter an unserem Prototyp und werden diesen noch einigen Tests unterziehen. In wenigen Monaten wollen wir dexter dann auch im Krankenhaus mit einigen Freiwilligen ausprobieren und schauen, wie die Technik sowohl von den Patientinnen und Patienten als auch von der Pflege angenommen wird. Auf die Einblicke aus der Praxis sind wir sehr gespannt und hoffen, vieles vom Patientenbett in die Technologie übertragen zu können, sozusagen 'from bed to code'.
TK: Inwiefern habt Ihr dexter im Praxisalltag - also in Krankenhäusern oder Pflegeheimen - getestet und mit welchen Ergebnissen?
Marc Margulan: Wir haben bisher Interviews mit Pflegekräften, Patientinnen und Patienten sowie mit Ärztinnen und Ärzten geführt und unser System nach den Vorstellungen und Bedürfnissen dieser Personen ausgerichtet. In den nächsten Monaten werden wir unser System erstmals im Krankenhaus und danach im Pflegeheim testen. Wir sind schon sehr auf die Resonanz gespannt.
TK: Datenschutz ist ein sensibles Thema. Wieviel Sicherheit bietet Euer Sprachassistent?
Marc Margulan: Wir sehen uns hier vollumfänglich in der Verantwortung. Wer Sprachassistenten nutzt, muss dem Anbieter Vertrauen entgegenbringen. Für uns ist es gemäß DSGVO essenziell, dass die Nutzer umfassend und klar verständlich über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten informiert werden. Um ein absolut sicheres Konzept für die Umsetzung des Datenschutzes zu erstellen, haben wir Kooperationen mit diversen Lehrstühlen und Universitäten initiiert und machen dieses Thema zu einem zentralen Forschungsschwerpunkt für die kommenden Monate.
TK: Vielen Dank!