"Fünf Fragen an ..." Nicole Löhr
Interview aus Niedersachsen
Nicole Löhr ist seit 2023 Vorständin der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Im Interview sprechen wir mit der Juristin anlässlich des ersten Digitalkongresses der KVN über die Digitalisierung im Gesundheitswesen und inwiefern Ärztinnen und Ärzte in einem Flächenland wie Niedersachsen davon profitieren.
TK: Frau Löhr, die KVN hat vor kurzem ihren ersten Digitalisierungskongress veranstaltet. Was würden Sie sagen sind ihre drei Highlights, die sie ganz persönlich mitgenommen haben?
Nicole Löhr: Unser E-Health-Kongress in Hannover hat viel positives Feedback geerntet, was mich sehr freut. Insofern ist mein erstes Highlight, dass die Veranstaltung sowohl bei den Fachleuten als auch bei der von der Digitalisierung betroffenen Ärzteschaft so gut angekommen ist, was mir zeigt, dass wir die richtigen Schwerpunkte gesetzt haben.
Das Zweite, das ich erwähnen möchte, ist dass wir uns sehr konstruktiv ausgetauscht haben, und dass genau dieser Austausch allen Beteiligten sehr wichtig war. Nur im gemeinsamen Gespräch werden wir die Herausforderungen der Digitalisierung meistern, und alle Akteure scheinen sich dessen bewusst zu sein.
Nur im gemeinsamen Gespräch werden wir die Herausforderungen der Digitalisierung meistern, und alle Akteure scheinen sich dessen bewusst zu sein.
Drittes Highlight: Wir haben deutlich gesehen, dass die Ärztinnen und Ärzte und die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einerseits bereit und offen sind, den Weg der Digitalisierung aktiv mitzugehen, andererseits aber auch erwarten, dass die Anwendungen gut gemacht sind und von Sanktionen gegenüber den Praxen abgesehen wird. Der Berufsstand hat also eine sehr klare Sicht auf das Thema.
TK: Im Gesundheitssystem sprechen wir ja schon seit einiger Zeit über die Digitalisierung und vieles hat sich auch schon getan. In welchem Bereich sehen Sie den dringendsten Bedarf?
Löhr: Wir müssen grundsätzlich prozessorientiert denken und alle Beteiligten mitnehmen. Die Anwendungen müssen die tägliche Arbeit in den Praxen entlasten und dürfen sie nicht verkomplizieren. Daher ist der Austausch mit den Anwenderinnen und Anwendern vor Ort so wichtig. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss ein Werkzeug für die Praxis werden. Aktuell besteht der dringendste Bedarf sicherlich in einer erfolgreichen Einführung der "elektronischen Patientenakte" (ePA) Anfang 2025.
Der Digitalisierungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsens hat ein Eckpunktepapier zur ePA mit konstruktiven Vorschlägen erarbeitet, damit die ePA ein Erfolg für die niedergelassene Ärzteschaft und auch für die Patientinnen und Patienten wird. Unsere Vorschläge sind auch bereits auf fruchtbaren Boden gefallen, aber es wird in den kommenden Monaten wichtig sein, den Prozess sehr eng zu begleiten. Nur eine funktionierende ePA wird einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung leisten können.
Nur eine funktionierende ePA wird einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung leisten können.
TK: Niedersachsen kann als Flächenland sicher besonders gut von verbesserter Digitalisierung profitieren. Sind die Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen gut aufgestellt?
Löhr: Ich erwähnte ja, dass grundsätzlich eine große Offenheit gegenüber digitalen Themen herrscht. Zum Beispiel kann Telemedizin in Form einer Videosprechstunde den Patientinnen und Patienten bei zahlreichen Anliegen unkompliziert helfen, ohne, dass eine Ärztin oder ein Arzt direkt vor Ort sein muss, beziehungsweise die Patienten weite Strecken zurücklegen müssen. Ein großer Vorteil in einem Flächenland wie Niedersachsen. Die Arztpraxen werden sich in Zukunft verändern.
Auf unserem Kongress haben wir ein interessantes Pilotprojekt vorgestellt, die so genannte Avatar-Praxis, die viele digitale Anwendungen nutzt, vom Bereich der Anmeldung bis hin zur Untersuchung. Die kann übrigens mithilfe eines telemedizinischen Koffers zum Großteil auch vom nicht-medizinischen Fachpersonal geleistet werden, was die Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel bei Hausbesuchen entlastet. Gleichzeitig werden auch die Medizinischen Fachangestellten (MFA) in ihrer Tätigkeit durch Digitalisierung unterstützt, beispielsweise, wenn Teile der Telefonate oder Terminanfragen digital abgearbeitet werden. Zeit, die den MFA für die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht. Gerade angesichts des großen Fachkräftemangels wird die Digitalisierung zukünftig eine immer größere Rolle spielen. Als KVN unterstützen wir unsere Mitglieder auf diesem Weg.
Gerade angesichts des großen Fachkräftemangels wird die Digitalisierung zukünftig eine immer größere Rolle spielen.
TK: Kann die Politik in Niedersachsen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens unterstützen, oder richten sich Ihre Appelle vornehmlich an die Bundesebene?
Löhr: Vornehmlich wird die Digitalisierung auf Bundesebene im Bundesgesundheitsministerium und bei der Gematik vorangetrieben. Wir stehen eng in Kontakt mit den entscheidenden Stellen, wie mit der Abteilungsleiterin für Digitalisierung beim Bundesgesundheitsministerium, Dr. Susanne Ozegowski. Sie war neben einem Vertreter der Gematik auch bei unserem Digitalisierungskongress zu Gast. Gleichzeitig sind wir als KVN stets mit der Landesebene und auch konkret mit dem niedersächsischen Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi im engen Austausch und können dort unsere Gedanken und Vorschläge vorbringen. Es schadet sicherlich nicht, wenn das Land unsere Sichtweisen kennt und auf Bundesebene vertreten kann. Das gilt für viele Themen, aber eben auch für die Digitalisierung.
TK: Wenn Sie sich mal nicht mit Digitalisierungsfragen beschäftigen, was machen Sie besonders gerne in Ihrer Freizeit?
Löhr: Ich verbringe meine freie Zeit mit meiner Familie und mit Freunden und bin sportlich aktiv. Gerne kombiniere ich auch beides und bin am Wochenende mit meiner Familie in der Kletterhalle zu finden. So ganz lässt mich die Digitalisierung aber auch in meiner Freizeit nicht los. Wir besitzen eine VR-Brille und bei schlechtem Wetter halte ich mich gerne in der virtuellen Realität auf.
Zur Person
Die Juristin Nicole Löhr ist seit August 2005 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) beschäftigt. Zunächst in der KVN-Bezirksstelle Braunschweig als juristische Sachberaterin. Im Jahr 2007 wechselte sie in die KVN-Bezirksstelle Hannover als stellvertretende Abteilungsleiterin in die Abteilung "Allgemeine Verwaltung". 2010 wurde Löhr zur stellvertretenden Geschäftsführerin und 2019 zur Geschäftsführerin der Bezirksstelle ernannt. Im Juli 2019 wechselte sie in die KVN-Hauptgeschäftsstelle, zunächst als Unternehmensbereichsleiterin des Unternehmensbereichs KVN.direkt mit der Verantwortung für die Bereiche Dokumentenmanagementsysteme, Stammdaten, Internet und Extranet. Im Jahr 2020 wurde sie zur stellvertretenden Hauptgeschäftsführerin ernannt. Seit 2023 ist Löhr Vorständin der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Die gebürtige Wolfenbüttlerin hat Jura an der Georg-August-Universität in Göttingen, der Freien Universität Berlin und der University of Groningen/Niederlande studiert.