Gesundheitskommunikation - Zwischen idealen digitalen Angeboten und Cyberchondrie
Interview aus Niedersachsen
Dr. Elena Link ist seit 2013 am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover tätig. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Gesundheitskommunikation. Im Interview erklärt sie unter anderem, was sie an digitaler Kommunikation so reizt, was Cyberchondrie ist und wie eine ideale digitale Gesundheitskommunikation in Zukunft aussehen könne.
TK: Frau Dr. Link, sie befassen sich mit digitaler Gesundheitskommunikation. Was reizt Sie am Thema und warum ist das für uns so wichtig?
Dr. Elena Link: Mir ist es ein Anliegen besser zu verstehen, welche informations- und emotionsbezogenen Bedürfnisse konkret Patient:innen haben und wie man sie besser dabei unterstützen kann, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu tragen und gesundheitliche Herausforderungen zu meistern. Das "Digitale" eröffnet dabei so viele neue Möglichkeiten, wie eine solche Unterstützung aussehen kann oder einfacher zugänglich wird. Daher finde ich es besonders spannend zu erforschen, warum und wie "Dr. Google" zum Einsatz kommt, welche patientenseitigen Anforderungen an Apps bestehen, wie ein hilfreiches digitales Gesundheitsangebot eigentlich aussehen sollte oder wie Patientinnen und Patienten KI-basierten Gesundheitsinformationen gegenüber eingestellt sind. Hier genauer hinzuschauen, kann uns helfen die Weichen für die Zukunft zu stellen und dazu beizutragen, dass es Menschen in allen Lebenslagen zumindest etwas besser geht. Das ist aus meiner Sicht mehr als lohnenswert.
TK: Wer hat in der Zukunft bessere Karten in der Patientenkommunikation: Dr. Google, der Gesundheitskiosk oder die Kommunikationsangebote der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)?
Dr. Link: Die besten Karten hat der- oder diejenige, der die Potenziale dieser verschiedenen Formate kombiniert. Es geht letztlich um einen schnellen und einfachen Zugang zu vertrauenswürdigen, verständlichen und sehr individuell-zugeschnitten Gesundheitsinformationen für eine Bandbreite unterschiedlicher Personen. Ich bin der festen Überzeugung, dass gut umgesetzte digitale Kommunikationsangebote von verlässlichen Akteuren in Zukunft immer weiter an Bedeutung gewinnen, weil wir alle keinen treueren Begleiter in unserem Alltag haben als unser Smartphone und andere Mobile Devices. In Form von Smartphone & Co. haben wir den Gesundheitskiosk in der Hosentasche.
TK: Kann die digitale Kommunikation von Gesundheitsthemen - z.B. über das mobile device - eine Lösung für alle unabhängig von der Lebenslage sein? In welchem Verhältnis steht digitale Kommunikation zum persönlichen Kontakt per Telefon oder in Präsenz?
Gelingt uns dies, dann bieten digitale Angebote sehr umfassende Potenziale Personen in allen Lebenslagen zu erreichen und angemessen zu unterstützen.
Dr. Link: Schauen wir uns den Status quo einmal an, dann ist das Mobile Device zwar zunehmend bei Gesundheitsfragen und für die Organisation der eigenen Gesundheit vertreten, aber es werden längst nicht alle über diesen Weg erreicht. Bei dringlichen, gesundheitlichen Fragen wird weiterhin ein direkter Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin präferiert, muss es allerdings schnell gehen, dann ist das Internet die erste Wahl. Für eine zukünftig noch dominantere Rolle digitaler Angebote sind technisch die Grundlagen zwar vorhanden, aber es zeigen sich Barrieren mit Blick auf die Motivation und Fähigkeiten in bestimmten Personengruppen. Es gilt dabei vor allem zu sensibilisieren und digitale Informations- und Gesundheitskompetenzen zu fördern, um gesundheitlichen Ungleichheiten vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken. Gelingt uns dies, dann bieten digitale Angebote sehr umfassende Potenziale Personen in allen Lebenslagen zu erreichen und angemessen zu unterstützen. Gerade für die Prävention spielen aus meiner Sicht soziale Netzwerke eine bedeutende Rolle, wenn der Kontakt zu bestimmten Botschaften auch zufällig und nebenbei stattfinden kann. Es handelt sich hier eben um digitale Orte, an denen eine Vielzahl von Menschen sowieso viel Zeit verbringen und dadurch leichter Kontakt aufgenommen werden kann. Allerdings bin ich genauso überzeugt, dass der persönliche Kontakt gerade bei gesundheitlichen Herausforderungen unersetzbar ist und in diesem Kontext alle digitalen Lösungen nur eine sinnvolle Ergänzung darstellen können.
TK: Das Stichwort Cyberchondrie wird oft genannt: Können Sie das Phänomen erklären und wo liegt das richtige Maß an digitaler Kommunikation über Gesundheitsthemen?
Dr. Link: Cyberchondrie (eine alternative Bezeichnung ist übrigens Morbus Google) beschreibt, dass durch gesundheitsbezogene Informationen aus dem Internet hypochondrische Tendenzen und Krankheitsängste einer Person ausgelöst oder verstärkt werden. Wir können uns dies als spiralförmigen Prozess vorstellen, bei dem die eigene Krankheitsangst zur Online-Recherche führt, die wiederum die Krankheitsangst verstärkt und erneut die Online-Recherche antreibt. Das typischste Beispiel ist wohl: Man sucht zunächst nur nach den Ursachen von Kopfschmerzen und endet bei einem Hirntumor. Das Phänomen zeigt somit die Grenzen und Gefahren auf, wenn ein Übermaß an Gesundheitsinformationen zu Verängstigung, Verunsicherung und Überlastung des/der Einzelnen führt. Das richtige Maß gibt es allerdings nicht - es ist abhängig von den Bedarfen und auch den Kompetenzen der suchenden Person. Allerdings ist es zu viel, wenn Ängste entstehen oder verstärkt werden. In diesem Fall sollte man dringend Hilfe in Anspruch nehmen, um gemeinsam mit medizinischen Expertinnen und Experten die Informationen einzuordnen.
TK: Wie sieht für Sie die ideale digitale Gesundheitskommunikation der Zukunft aus - wo haben wir die größten Baustellen?
Auf der anderen Seite müssen wir dafür aber auch die Patient:innen befähigen diese Angebote einzusetzen, müssen sie befähigen, wie sie entsprechende Angebote auswählen und an wen sie sich bei Unterstützungsbedarfe wenden sollten.
Dr. Link: Es gibt sicherlich einige Baustellen und Hürden auf dem Weg zu einem digitalen Gesundheitssystem, das intersektional vernetzt ist, eine optimal konzipierte und möglichst flächendeckend akzeptierte eAkte besitzt sowie die Potenziale von KI ausnutzt und sich über ihre Grenzen bewusst ist. Allerdings will ich mit Blick auf meine Forschung lieber die einzelne Patientin bzw. Patient in den Fokus rücken und welche unmittelbaren Unterstützungsbedarfe diese haben, um sich um ihre Gesundheit zu kümmern und sich adäquat an der Genesung zu beteiligen. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiges Ziel der Gesundheitskommunikation. Um dieses zu erreichen brauchen wir auf der einen Seite einen einfacheren Zugang zu evidenzbasierten Informationen, eine bessere Vernetzung zwischen der Beratung des medizinischen Fachpersonals und digitaler Informationsangebote, indem beispielsweise Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten für sie zugeschnittene Informationen für Zuhause über digitale Tools bereitstellen. Auf der anderen Seite müssen wir dafür aber auch die Patientinnen und Patienten befähigen diese Angebote einzusetzen und sie befähigen, wie sie entsprechende Angebote auswählen und an wen sie sich bei Unterstützungsbedarfe wenden sollten.
Termin bei Dr. Google - Gesundheitskompetenz stärken
Dr. Google ist bei vielen Menschen längst etabliert. Allerdings sind die Informationen aus dem Web nicht immer zutreffend oder hilfreich. Zur Einschätzung über die Qualität von Suchergebnissen ist ein kompetenter Blick gefragt. Die wichtigste Regel dabei ist aber immer: Eine Internetrecherche kann einen Arztbesuch niemals ersetzen. Tipps zum Thema Gesundheitskompetenz gibt es in der Themenwelt Gesundheitskompetenz .
Kompetent als Patient ist ein TK-Informationsangebot und bietet unter anderem Überblick zu Gesundheitsapps oder Tipps für eine bessere Verständigung mit Ärztinnen und Ärzten.