"Grundvoraussetzung sind nutzerfreundliche Prozesse."
Interview aus Berlin/Brandenburg
Im Interview: Dr. Anne Sophie Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung, über den Mehrwert der Digitalisierung für Pflegebedürftige und Pflegende.
TK: Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) - und wie sieht es bei den Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) aus?
Dr. Anne Sophie Geier: DiGA kommen zunehmend im Versorgungsalltag an. Für viele Patientinnen und Patienten sind die neuen Versorgungsmöglichkeiten durch DiGA eine echte Hilfe, weil sie oft dort greifen, wo sonst Versorgungslücken bestehen (zum Beispiel bei einer mehrmonatigen Wartezeit auf einen Therapieplatz). Natürlich gibt es weiterhin Potenzial für Verbesserungen, zum Beispiel hinsichtlich der Anbindung an die elektronische Patientenakte (ePA), der Einführung des eRezepts für DiGA und der Einbindung von Leistungerbringenden. Im Bereich der Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) brauchen wir dringend die Rechtsverordnung - ohne sie fehlen relevante Hintergründe zum pflegerischen Nutzen und der Evidenzgenerierung. Hier wünschen wir uns, dass die neue Regierung wie angekündigt Digitalisierungslösungen als einen Beitrag zu zukunftsfähigen Pflegebedingungen in Deutschland ernst nimmt und die Rahmenbedingungen hierfür schafft.
TK: Was ist aus Ihrer Sicht der größte Mehrwert der Digitalisierung für Pflegebedürftige und Pflegende?
Dr. Geier: DiPA können als digitale Technologien in der Pflege effektiv unterstützen. Sie können zum Beispiel zur Erhöhung der Pflegequalität angesichts der Personalknappheit und der verdichteten Pflegezeit des Personals beitragen. Für die rund fünf Millionen ehrenamtlich pflegenden Angehörigen in Deutschland wiederum können DiPA ein wichtiger Baustein sein, die häuslich-pflegerischen Belastungssituationen zu verringern. Es wird sicherlich Anwendungen in verschiedenen Feldern geben, die zum Beispiel Lösungen im Bereich der Mobilitätserhaltung, der Förderung kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten und auch der Teilhabe - mit einem entsprechendem Nutzennachweis - bieten.
TK: Wie kann man Pflegenden und zu Pflegenden, aber auch Ärztinnen und Ärzten die Berührungsängste mit der Digitalisierung nehmen?
Dr. Geier: Indem man ihren Alltag kennt und passgenaue Lösungen entwickelt. Wir haben kürzlich eine Umfrage unter den Gründerinnen und Gründern in unserem Verband gemacht: Über 90 Prozent gaben dabei an, dass sie in dem Bereich, für den sie eine digitale Lösung entwickelt haben, auch selbst gearbeitet haben. Das ist schon einmal ein gutes Vorzeichen. Es braucht aber auch den politischen Rückenwind und Ressourcen, damit Pflegende und Leistungerbringende im stressigen Alltag überhaupt die Möglichkeit haben, sich einem neuen digitalen Ansatz zu widmen. Eine Grundvoraussetzung sind einfache, nutzerfreundliche Prozesse - sonst verliert man alle Anwenderinnen und Anwender auf dem Weg. Und ganz wichtig: Leistungerbringende müssen flexibel in neue, hybride Versorgungswege eingebunden werden.
Zur Person
Die promovierte Pharmazeutin Dr. Anne Sophie Geier ist seit dem 1. Oktober 2020 die Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung. Dr. Anne Sophie Geier hat Pharmazie studiert, im Bereich Real-World-Evidence und Outcomes Research an der WWU Münster und Harvard Medical School promoviert und anschließend in der Unternehmensberatung eines Pharmakonzerns gearbeitet. Zuletzt war sie als Sachgebietsleiterin beim GKV-Spitzenverband für die frühe Nutzenbewertung von neu zugelassenen Arzneimitteln zuständig.