TK: Was ist Pflege 4.0? Wie gut ist es Ihnen bisher gelungen, dieses Vorhaben umzusetzen?

Simon Blaschke: "Pflege 4.0" nennen wir den Einsatz digitaler Technologien und vernetzter Systeme in der Pflege. Damit können pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sowie beruflich Pflegende technisch unterstützt werden. Dazu gehören zum Beispiel Apps, die elektronische Pflegedokumentation, Assistenzsysteme und smarte Geräte, die Pflegebedürftigen dabei helfen, so selbstständig und sicher wie möglich zuhause zu leben.

Unser Berliner Landeskompetenzzentrum "LEBEN - PFLEGE - DIGITAL", gefördert durch das Land Berlin und den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Technologien zu den Menschen zu bringen und sie dabei zu unterstützen, diese neuen Möglichkeiten kennenzulernen und sich umfassend zu informieren. Wir haben bereits zahlreiche Informationsveranstaltungen sowohl vor Ort in den Bezirken als auch online durchführen können. 

Es ist uns ein großes Anliegen, Berührungsängste abzubauen und die Vorteile der digitalen Pflege zu vermitteln. Wir freuen uns, dass wir durch unseren spannenden Schauraum in Charlottenburg und unsere Online-Suchhilfe, den "Mein Technik-Finder", praxisnahe Einblicke in die Möglichkeiten der Pflege 4.0 bieten und wertvolle Rückmeldungen aus der Praxis sammeln können. Auf unserer Website www.lebenpflegedigital.de können sich Interessierte zudem umfassenden über die Thematik informieren.

Ein zentrales Problem, ist die oft unzureichende digitale Infrastruktur. Simon Blaschke

TK: Wie digital ist die Pflege in Berlin?

Blaschke: Die Pflege in Berlin ist auf einem guten Weg, immer digitaler zu werden. Viele Bürgerinnen und Bürger haben z.B. durch die Erfahrungen mit der Covid-Pandemie erkannt, wie hilfreich digitale Angebote wie Online-Sprechstunden und Online-Terminbuchungen sein können. Es gibt auch spannende Neuerungen wie das E-Rezept oder die kommende "elektronische Patientenakte für alle". Das sind Themen, mit denen sich alle früher oder später auseinandersetzen werden und die auch die pflegerische Versorgung vereinfachen können.

Viele Pflegeeinrichtungen sind bereits mit großem Engagement dabei, digitale Lösungen zu integrieren. Dazu gehören zum Beispiel die elektronische Pflegedokumentation oder die Anbindung an die sogenannte Telematikinfrastruktur. Allerdings ist der Digitalisierungsgrad zwischen den Pflegeeinrichtungen noch sehr unterschiedlich und hängt oft von den Personalressourcen und den Möglichkeiten der Einrichtungen ab, in neue Technologien zu investieren.

Es gibt natürlich auch einige Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern können. Ein zentrales Problem, ist die oft unzureichende digitale Infrastruktur und technische Ausstattung. Ebenso müssen wir daran arbeiten, die Digitalkompetenz aller zu verbessern. Denn beides ist eine Voraussetzung dafür, dass wir sinnvolle Technologien selbstverständlich nutzen können. Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit Berliner Kooperationspartnern an solchen Angeboten.

TK: Was kann der Mein Technik-Finder? Wonach wählen Sie aus, welche Hilfsmittel dort gelistet werden? Sind Weiterentwicklungen geplant?

Blaschke: Unser "Mein Technik-Finder" ist ein kostenloses, unabhängiges Online-Angebot, das Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen dabei hilft, geeignete technische Helfer zu finden, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Er umfasst eine Vielzahl von Produkten, von Notrufsystemen über smarte Haushaltsgeräte bis hin zu assistiven Technologien.

Die Auswahl der gelisteten Hilfsmittel erfolgt anhand strenger Kriterien, die Qualität, Benutzerfreundlichkeit, Datenschutz und praktischen Nutzen berücksichtigen. Zudem beziehen wir Feedback von weiteren Fachexperten ein, um sicherzustellen, dass die Produkte tatsächlich im Pflegealltag unterstützen.

Wir arbeiten aktuell daran, den Technik-Finder weiterzuentwickeln, indem wir zusätzliche Kategorien und neue innovative Produkte integrieren. Dabei arbeiten wir von Anfang an partizipativ und beziehen Vertreter der Zielgruppen in die Entwicklung und Erprobung ein. Außerdem arbeiten wir an einer verbesserten Benutzeroberfläche und zusätzlichen Funktionen, wie z.B. einem Verweis auch auf nicht-technische Angebote in Berlin. Denn wir sind uns bewusst, dass Technik zwar ein wichtiger, aber natürlich nicht der einzige Lösungsansatz für die Herausforderungen in der Pflege ist.

Die sensiblen Daten von Pflegebedürftigen müssen sicher und verantwortungsvoll behandelt werden. Simon Blaschke 

TK: Wo sehen Sie die Herausforderungen und Grenzen der Einführung digitaler Technologien in der Altenpflege?

Blaschke: Pflege ist ein sensibles Feld und die Einführung digitaler Technologien wirft auch ethische Fragen auf. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, die richtige Balance zwischen technischer Unterstützung und menschlicher Zuwendung zu finden. Technologien sollen die menschliche Interaktion ergänzen und erleichtern, nicht ersetzen!

Ein weiteres Thema ist der Datenschutz. Die sensiblen Daten von Pflegebedürftigen müssen sicher und verantwortungsvoll behandelt werden, um jeglichen Missbrauch zu verhindern. Gleichzeitig muss in gewissen Rahmen auch möglich sein, anonymisierte Daten zu Forschungszwecken zu nutzen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier klare Regelungen und transparente Prozesse etablieren.

Manchmal stoßen digitale Technologien auch an Grenzen, was die Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit betrifft. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Pflegebedürftigen und Pflegekräfte gleichermaßen geübt im Umgang mit digitalen Technologien sind. Deshalb ist es wichtig, dass es ausreichend einfach zugängliche, kostenlose und gut verständliche Lernangebote gibt. Und es ist ebenso wichtig, dass zentrale Versorgungsleitungen auch immer auf eine nicht-digitale Weise genutzt werden können.

TK: Wie wird die Pflege in Zukunft in einer Großstadt wie Berlin aussehen? Wer pflegt wen?

Blaschke: Zukünftig wird die Pflege in Berlin vermutlich noch stärker auf ein Zusammenspiel von professionellen Pflegekräften, (pflegenden) Angehörigen, Nachbar:innen, Freund:innen, Zivilgesellschaft und technischen Assistenzsystemen setzen. Die Digitalisierung bietet dabei die Chance, Pflegeprozesse effizienter zu gestalten, Teilhabe zu erhalten und zu fördern und alle Beteiligten zu unterstützen. So bleibt mehr Zeit für die persönliche Betreuung.

Ebenso wird die Pflege in Zukunft noch häufiger in den eigenen vier Wänden der Pflegebedürftigen stattfinden. Dank Telepflege und smarter Technologien können Pflegebedürftige dann auch aus der Ferne begleitet und unterstützt werden. Digitale Lösungen können dazu beitragen, Einschränkungen zu kompensieren und Teilhabe zu erhalten. Somit leisten sie einen echten Mehrwert für einen möglichst selbstbestimmten Lebensalltag und entlasten pflegende Bezugspersonen.

Doch Technik ist natürlich nicht der einzige Faktor. Ebenso wichtig ist ein starkes Netzwerk an Unterstützungsdiensten und Nachbarschaftshilfe. Denn nur so kann die Pflege gemeinschaftlich getragen werden. All dies erfordert auch eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren im Gesundheits- und Sozialwesen sowie eine kontinuierliche Einbeziehung sinnvoller neuer Technologien, um gemeinsam die pflegerische Versorgung der Zukunft bestmöglich zu gestalten.

Simon Blaschke

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Leiter des Berliner Landeskompetenzzentrums Pflege 4.0 

 

Zur Person

Simon Blaschke ist Gerontologe und überzeugt davon, dass die Digitalisierung die Chance bietet, das Leben in einer Gesellschaft im demografischen Wandel besser und angenehmer zu gestalten. Er ist seit der Gründung im März 2020 Mitglied des Berliner Landeskompetenzzentrums Pflege 4.0 und hat dort zunächst als Referent für Digitalisierung in der Pflege mitgewirkt, bevor er 2023 die Leitung des Zentrums übernommen hat.

"LEBEN - PFLEGE - DIGITAL, Berliner Landeskompetenzzentrum Pflege 4.0" wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e.V. gefördert und gemeinsam durch die Albatros gGmbH und dem DAI-Labor der Technischen Universität Berlin umgesetzt.